Sex and Druck and Rock’n’Roll

10.11.2005
Mit "Heires" entwickelte die Heidelberger Druckmaschinen AG ein intelligentes Service- und Supportsystem mit Fernzugriff. Damit gewann sie in der Kategorie Großkonzerne den Wettbewerb Anwender des Jahres.

Druckmaschinen sind komplexe Anlagen, die jahrelang möglichst rund um die Uhr im Kundeneinsatz "drucken" sollen. Um dieses sicherzustellen, ist neben einer hohen Produktqualität auch ein exzellenter Service mit kurzen Reaktions- und Instandsetzungszeiten unabdingbar. Zur Erfüllung dieser Serviceanforderungen nutzen die Experten beim Marktführer Heidelberger Druckmaschinen AG (Heidelberg) die neuen Möglichkeiten des Remote Service.

Heidelberger Druckmaschinen

Die Heidelberger unterhalten das größte Vertriebs- und Service-Netzwerk in der Printmedien-Industrie.

Umsatz 2004: 3,36 Milliarden Euro;

Mitarbeiter: 18679

Projektsteckbrief: Heidelberger Druckmaschinen

Das Projekt "Heires" (Heideberg Remote Service) soll die Druckmaschinen des Konzerns an eine Internet-basierende Service-Plattform anbinden. Das System verbessert den Service und die Verfügbarkeit der Maschinen.

• Begonnen wurde Heires im Jahr 2002. Das interne Team besteht aus 25 Mitarbeitern.

• Gesamtbudget: mehrere Millionen Euro.

• Über die IT-Plattform können Service-Techniker per Ferndiagnose und - wartung auf Druckanlagen zugreifen.

• Die Maschinen versenden kontinuierlich Daten an die zentrale Service-Plattform.

• Ein Expertensystem wertet die Informationen aus und erleichtert so die Diagnose, wenn der Kunde eine Störung meldet.

Das Projekt Heires (Heidelberg Remote Services) entwickelte dazu eine globale, Internet-basierende Serviceplattform, die Informationen über Zustand und Fehlersituationen der Maschinen global erfasst und für Heidelberg-Techniker bereitstellt. Darüber hinaus dient das System als Zugriffsplattform auf die angeschlossenen Maschinen und gewährleistet den sicheren, interaktiven Zugang von Experten über das Internet für die Störungsbehebung und für Trainings. Die Experten betreuen Druckereien von 250 Vertriebs- und Service-Stützpunkten aus in 170 Ländern.

Das System wurde in zwei Stufen implementiert und in Betrieb genommen. Während sich die erste Ausbaustufe auf den reaktiven Fernzugriff konzentrierte, unterstützt das neue System automatisierte Serviceprozesse und proaktive Systeme.

Moderne Druckmaschinen und die dazu gehörenden Geräte in Vorstufe und Weiterverarbeitung sind in der Lage, auf Fehler und Störungen hindeutende Daten an die Servicezentrale in Heidelberg zu senden, und zwar von überall in der Welt. Ruft der Kunde wegen eines Problems an, haben die Spezialisten anhand der gesammelten Informationen schon erste Anhaltspunkte über den Hintergrund der Schwierigkeiten.

Für eine effiziente Analyse der übermittelten Diagnosedaten steht ein selbstlernendes Expertensystem bereit, welches die empfangenen Daten auswertet und basierend auf dem gespeicherten Expertenwissen Lösungsvorschläge erstellt. Diese Schnittstelle wurde im Projekt Heires so integriert, dass weltweit alle Heidelberg-Techniker darauf zugreifen können. Bei einem Störfall hat so der Servicemitarbeiter jetzt bereits eine technische Analyse mit Lösungsvorschlägen "auf dem Tisch, das heißt im Web-Browser" vor sich, wenn der Kunde anruft. Mussten sich Techniker bisher Schritt für Schritt und in der Regel vor Ort an die Ursache herantasten, lassen sich so heute viele Serviceeinsätze vermeiden.

Nicht alle Serviceanfragen sind jedoch Störungen, die sich aufgrund vorab übermittelter Daten klären lassen. Manchmal, zum Beispiel für die Unterstützung des Maschinenbedieners beim Navigieren durch neue Touchscreen-Menüs ist es notwendig, dass der Heidelberg-Mitarbeiter sich über eine gesicherte Internetverbindung auf das Gerät aufschaltet. Hierbei ist das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Techniker besonders wichtig. Der Heidelberg Remote Service erfordert daher eine Autorisierung des Kunden für diesen Fernzugriff. Ist ein Techniker live aufgeschaltet, so übermittelt das System Namen und Passbild des Technikers auf den Kundenbildschirm. So wird Anonymität beim Remote Service vermieden.

Darüber hinaus erlaubt das neue Supportkonzept, Ersatzteile nach einer bestimmten Laufleistung auszutauschen und nicht, wie bisher, in regelmäßigen zeitlichen Abständen. Dies ist möglich, da die tatsächliche Nutzungsdauer und der Zustand der Anlagen aus den gesendeten Datenprotokollen ersichtlich sind. Das führt zu einem nutzungsbasierten Austausch von Teilen genau zum rechten Zeitpunkt, ohne das es zu einem Maschinenstillstand kommt. Der Serviceeinsatz wird für Kunden und den Heidelberg-Dispatcher besser planbar.

Verschleißvorhersage

Für Heidelberg und seine Klientel hat das System klare Vorteile: Erstens wird eine Erhöhung der Verfügbarkeit der Anlagen durch die schnelle Diagnose, eine erfolgreiche Vorklärung - der Techniker kommt gleich mit dem richtigen Ersatzteil vor Ort - oder direkte Störungsbehebung erreicht. Dieser Kundenvorteil wird durch den Ausbau der Plattform in Richtung Ausfall- und Verschleißvorhersage in Zukunft noch weiter verstärkt. Zweitens können Kunden mit Heidelberg Remote Services ein hohes Produktivitätsniveau sichern. Drittens bieten Remote-Dienstleistungen für Hersteller und Kunden Kostenvorteile. Die höhere Serviceeffizienz und Planbarkeit macht sich beim Kunden in klar kalkulierbaren Servicevertragskosten bemerkbar. Für Heidelberg selbst werden Gewährleistungseinsätze unter Nutzung der neuen Technik effizienter.

Modems eingemottet

Die Vorläufer von Heires waren modembasierte Supportverfahren, bei denen sich der Techniker in die Maschine "einwählte". Jedoch war dieses Verfahren nicht nur wegen der Geschwindigkeitsnachteile gegenüber Internet-Verbindungen nicht zukunftsfähig. Es bot auch keine Möglichkeit, proaktive Kommunikation von der Maschine ausgehend zuzulassen. Daher entschied sich Heidelberg mit diesem Unternehmensprojekt für den kompletten Wechsel der Plattform, die nun konsequent auf sicherer Internettechnologie beruht. Die browserbasierende Ausbaustufe eins des Projekts konzentriert sich auf die Heidelberg-Produkte im Bereich der Druckvorstufe. Hier werden die typischen Supportprozesse abgewickelt, wie sie aus dem Office-Umfeld der IT bekannt sind. Mit einer installierten Basis von 20000 Softwareprodukten besteht hier langfristig ein großes Potenzial.

410 Maschinen online

Die Integration einer Internet-basierenden, proaktiven Kommunikation in ein Maschinen-Steuerpult mit Touchscreen aber ohne Maus und Tastatur erforderte für die Ausbaustufe 2 eine andere, embedded Lösung. Integrierte Intelligenz ist hier für die Datenaufbereitung und Versendung im Hintergrund verantwortlich. Der interaktive Fernzugriff wurde mit einem "One-Button-Interface" so einfach gestaltet, dass ein einziger Knopfdruck zum Verbindungsaufbau mit der regionalen Servicezentrale genügt. Heute, wenige Wochen nach Abschluss des Feldtests, sind bereits über 410 Heidelberg-Maschinen an dieser Plattform in Betrieb. Zudem ist das zentrale Data-Center des Unternehmens auf den Ausbau bis 5000 Maschinen bereits vorbereitet.

Sicherheit ist für jede Internet-basierende Lösung heute ein zentrales Thema. Darüber hinaus hat die Firma TÜV Informationstechnik GmbH Essen (TÜV-IT) als unabhängiger Gutachter der Lösung das Zertifikat "Trusted Site Security" erteilt.

Da Heidelberg in Zukunft seine Services-Palette weiter ausbauen möchte, investiert das Unternehmen in ausgefeilte wie ganzheitliche Service- und Supportsysteme. Laut Konzernchef Bernhard Schreier sollen mittelfristig 30 Prozent der Heidelberg Konzernumsätze in diesem Segment erzielt werden. Im Durchschnitt ordert der Kunde alle sieben Jahre eine Anlage. Mit attraktiven Serviceangeboten sollen diese Kunden an das Unternehmen gebunden werden.

Längere Verfügbarkeit

Nach Darstellung des Unternehmens zählt zu den Besonderheiten des Projekts, dass Produktinnovation durch die Vereinigung einer globalen Enterprise-IT mit der Entwicklung von Maschinenbau und Elektronik erreicht wird. Moderne Remote Services erhöhen schließlich Verfügbarkeit und Produktivität der Anlagen für die Heidelberg-Kunden. Das Projekt Heires hatte eine Laufzeit von drei Jahren. Das Gesamtbudget liegt bei mehreren Millionen Euro bei einem internen Projektteam von 25 Mitarbeitern.