Relevante ISDN-Zielgruppen noch nicht erkannt (Teil 1):

Serie: DFÜ-Kosten im künftigen ISDN

31.07.1987

Erst als genaue Kosten/Nutzen-Vorstellungen für Bildschirmtext vorlagen, gelang dem neuen Medium ein wirklicher Start, schreiben die Autoren dieser CW-Serie. Sie haben sich vorgenommen, dieses Manko beim Start des ISDN nicht auftreten zu lassen, und haben nach Vorliegen der TKO sofort zu rechnen begonnen. Teil 1 befaßt sich mit den Voraussetzungen.

Die Diskussion über die Einführung von ISDN ist in vollem Gange. Seminare, Vortragsveranstaltungen und Kongresse über den Themenkomplex ISDN werden durchgeführt. Kaum eine DV-Messe findet ohne eine begleitende ISDN-Veranstaltung statt. Betrachtet man aber Referenten, Besucher und Themeninhalte dieser Veranstaltungen genauer, so wird man zunächst viererlei feststellen:

- Die guten ISDN-Referenten reisen von einer Veranstaltung zur anderen. Es gehört zum Beispiel zum "guten Ton" einer Veranstaltung, die ausgezeichneten, allseits bekannten Experten des Bundespostministeriums oder des FTZ vortragen zu lassen.

- Auch unter den Besuchern "kennt man sich". Die Besucher setzen sich zum überwiegenden Teil zusammen aus Technikexperten der ISDN-Anbieter, das heißt, sie sind die Experten solcher Unternehmungen, die zukünftig ISDN-Komponenten, sei es die ISDN-fähige Nebenstellenanlage oder ein ISDN-fähiges Endgerät, auf dem Markt anbieten wollen.

- Die Themen der Referate sind eindeutig technikorientiert. Dabei geht das Ausmaß dieser Technikorientierung teilweise soweit, daß der Kreis der Experten, die dem Referenten folgen können, nochmals eingeengt wird.

- Weitgehend vergessen bei der Vorbereitung der Veranstaltung hat man den "Anwender". So wichtig technikorientierte Informationen über den Stand und den Ausbau des ISDN-Netzes zum jetzigen Zeitpunkt auch sind, derzeit mangelt es eindeutig an Informationen über organisatorisch und wirtschaftlich sinnvolle ISDN-Anwendungen.

Dies führt unter anderem dazu, daß eine genaue Bestimmung relevanter ISDN-Zielgruppen noch nicht vorgenommen werden konnte. Jedoch ohne Kenntnis der organisatorisch und wirtschaftlich sinnvollen ISDN-Anwendungsmöglichkeiten als Datenübertragungssystem und ohne genaue Kenntnis von ISDN-Anwender-Zielgruppen kann auch eine Abgrenzung der benötigten ISDN-Endgeräte kaum vorgenommen werden.

Generell kann die heutige Situation der ISDN-Einführung verglichen werden mit der Situation der Btx-Einführung vor fünf oder sechs Jahren: Die technische Konzeption war weitgehend bekannt, und das Netz wurde stufenweise aufgebaut.

Daß sich Btx (schließt man den privaten Nutzer einmal aus) im geschäftlichen Bereich nicht auf Anhieb durchsetzen konnte, lag ganz eindeutig unter anderem auch an fehlenden Kosten/Nutzen-Vorstellungen der potentiellen Anwender, bezogen auf ganz konkrete, klar abgegrenzte Anwendungssituationen. Erst als diese mit einem Time-lag von zwei bis drei Jahren - bezogen auf einzelne Btx-Zielgruppen - vorlagen, startete Btx durch. Heute ist Btx der mit Abstand am schnellsten wachsende DFÜ-Dienst der Post mit einem Zuwachs in den Monaten April und Mai 1987 von etwas über 3000 Teilnehmern, die Btx zu über zwei Dritteln ausschließlich für die geschäftliche Kommunikation nutzen.

Wird heute von ISDN-Anwendungen gesprochen, so werden im allgemeinen fünf Anwendungsbereiche aufgezählt:

- Fernsprechen,

- Telefax,

- Teletex,

- Btx und

- Datenübermittlung.

Eine Befragung von Unternehmungen der IHK-Bezirke Bielefeld, Münster und Detmold hat ergeben, daß die ISDN-Datenübermittlung nach dem ISDN-Fernsprechen der zweitwichtigste ISDN-Nutzungsbereich sein wird. Während der Nutzen der drei erstgenannten Dienste für potentielle Anwender unmittelbar transparent und insbesondere die qualitativen Vorteile bei ISDN-Telefax und ISDN-Teletex sofort einsehbar sind, herrscht bei potentiellen Anwendern noch weitestgehend Konfusion darüber, welche Anwendungen im Bereich der Datenübermittlung zukünftig über das ISDN abgewickelt werden sollten.

Diese Konfusion hat Ursachen:

a) ISDN ist nur ein Bestandteil der Datenübertragungs-Infrastruktur in Deutschland. Es muß darauf hingewiesen werden, daß die Post parallel zum Ausbau des ISDN die heutigen Spezialnetze weiter ausbaut:

- Die bestehende und mit zirka 15000 Teilnehmern ausgelastete Datex-P-Infrastruktur wird zur Zeit vollkommen erneuert. Die in den nächsten Jahren neu zu installierende Datex-P-II-Infrastruktur weist komplett neue Vermittlungssysteme in den 17 Datex-P-Vermittlungsstellen auf. Langfristig wird die Kapazität auf zirka 150000 Teilnehmer erhöht. Insgesamt wird die neue Datex-P-II-Infrastruktur wesentlich leistungsfähiger als die heutige sein.

- Intensiv wird weiterhin die Btx-Infrastruktur ausgebaut. Zum einen wird die Anzahl der zur Zeit existierenden zirka 60 Btx-Vermittlungsstellen zukünftig bedarfsgerecht weiter erhöht. Zum anderen werden die Rechner in den Btx-Vermittlungsstellen durch Austausch von Prozessoren leistungsfähiger. Darüber hinaus ist eine Erhöhung der Verbundrechner-Kapazität vorgesehen.

Dies sind nur zwei Aspekte, die verdeutlichen sollen, daß dem Anwender auch nach einer bundesweiten ISDN-Einführung weiterhin Spezialnetze für Dialoganwendungen zur Verfügung stehen werden.

b) Die ISDN-Gebührenstruktur ist den potentiellen Anwendern noch weitgehend unbekannt. Dies trifft insbesondere auf die aus der Verordnung zur Änderung der Telekommunikationsordnung resultierenden Gebührenänderungen zu.

c) Die Möglichkeiten einer zukünftigen ISDN-Nutzung als Datenübertragungssystem sind bisher kaum in die Anwendungsplanungen potentieller Nutzer integriert worden. Zum Teil liegen keine Aussagen von Anwendern darüber vor, daß heute bereits zum Beispiel klassische Dialoganwendungen auch schon im Hinblick auf ISDN konzipiert werden. So ist zum Beispiel wahrscheinlich, daß schnelle RJE-Anwendungen (RJE = Remote Job Entry) in Verbindung mit lokaler Intelligenz auf der Basis einer ISDN-Wählverbindung wesentlich wirtschaftlicher werden, als die heutigen Dialoganwendungen in den klassischen Wählnetzen der Deutschen Bundespost.

Die nachfolgenden Teile dieser Serie verfolgen insgesamt drei Ziele:

1. Auf der Basis der Telekommunikationsordnung mit Änderungen aufgrund des Entwurfs der "Verordnung zur Änderung der Telekommunikationsordnung" vom April dieses Jahres wird die ISDN-Gebührenstruktur in ihren wesentlichen Grundzügen verdeutlicht.

2. Anhand einer Beispielrechnung wird das methodische Vorgehen der Ermittlung der monatlichen ISDN-Übertragungskosten aufgezeigt.

3. Auf der Basis von einfachen Berechnungsbeispielen werden insbesondere die Datenübertragungskosten von zwei typischen Anwendungen, einerseits eine Batch-Anwendung auf der Basis des öffentlichen Direktrufnetzes (HfD), andererseits eine Dialoganwendung auf der Basis "Btx-Rechnerverbund", den jeweiligen Kosten einer ISDN-Nutzung gegenübergestellt. Hierdurch wird herausgestellt, wie vielfältig die Überlegungen zur wirtschaftlichsten Form der Datenübertragung auf der Basis konkreter Anwendungen sein können. Erste, bei weitem nicht vollständige Ansätze zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von ISDN-Nutzungsschwerpunkten werden vorgestellt. wird fortgesetzt

*Bernhard Langen und Marita Kampfing, beide Cognit, Köln.