Selbsthilfe

08.08.1980

Was einige US-Branchen-Insider über die bevorstehende Marktpremiere von IBMs H-Serie sagen (vergleiche Seite 1), ist zweifellos mehr als vage Vermutung.

Von Gene Amdahl stammt der Satz: "Die Zukunft der Datenverarbeitung wird als Tangente zum Bestehenden verlaufen." Was die H-Serie angeht, so erübrigt sich jede Spekulation. Die Richtung dieser Tangente wird erneut IBM festlegen. Fragt sich: Welches Maß in der Großrechnertechnologie wollen die IBM-Denker diesmal setzen? Machen wir uns nichts vor: Der Marktführer diktiert das Entwicklungstempo. Wie IBMs nächste Rechnergeneration auszusehen hatte, bestimmte stets die kleinste Menge von Verbesserungen, die ausreichte, die Kunden zum Systemwechsel zu animieren - nach dem Motto: Immer brav auf dem IBM-Wachstumspfad.

Was dann noch an zusätzlichen Bonbons verteilt wurde, hing im wesentlichen von der jeweiligen Konkurrenzsituation ab, wobei der Universalrechner-Gigant davon ausgehen konnte, daß ihm die Hauptkonkurrenten mit Abguck-Announcements auf dem Fuße folgen würden.

Dieses ungeschriebene Vertriebsgesetz gilt nach wie vor. Und so ist es leicht vorauszusagen, wie schnell IBMs Mainframe-Mitbewerber nachziehen werden, wenn IBM die H-Serie Anfang 1981 ankündigen sollte.

Man muß freilich sehen, daß sich die Kräfteverhältnisse im EDV-Markt geändert haben. Es gibt in der Computerszene nicht nur den kopierwütigen IBM-Konkurrenten, für den ein Spickzettel vom Klassenprimus Gold wert ist, sondern auch massenweise Kunden, die gar nicht mehr so brav sind. Da werden die Jahresmeetings von Benutzervereinigungen wie Guide und Common genutzt, um aktiv an der Verbesserung von Hardware- und Software-Systemen mitzuarbeiten. Und auch der einzelne Benutzer weiß sich seiner Haut zu wehren.

Es wäre zwar übertrieben, schon von einer Initiative "Mündiger Anwender" zu sprechen. Und doch wird jetzt klar, daß sich die Benutzer nur noch wenig einreden lassen, daß sie sehr wohl wissen, wie sie ihre anwendungsspezifischen Forderungen zu formulieren haben - und zwar so, daß die Hersteller auf diese Wünsche eingehen müssen.

Die Tatsache, daß 4341-Benutzer jetzt von IBM auch volle MVS-Unterstützung erhalten (siehe Seite 1), ist ein Beispiel für diese Form gelungener Selbsthilfe.

Im Rahmen der bisher durch die 4341-Betriebssystem-Software (DOS/VSE, VM/370, OS/ VS1) gebotenen Möglichkeiten ließ sich ein Rechnerverbund mit /370- und 303X-Systemen unter MVS nicht aufbauen.

Dies ist IBM offenbar von denjenigen Großsystemkunden verübelt worden, die die 4341 als Subrechner in einem Distributed Data Processing-Netz einsetzen wollen. Dazu ist relevant, daß MVS das bevorzugte Betriebssystem der IBM-Großsystemkunden ist.

Dem Druck dieser Anwender hat IBM nachgegeben - aus einem einleuchtenden Motiv: Man will sich das lukrative DDP-Geschäft, Hauptzielrichtung für die Rechner 4300, nicht durch Software-Unverträglichkeiten innerhalb der eigenen Produktreihe blockieren.

Der Marktführer nimmt sogar in Kauf, daß die bisher kleinste MVS-Maschine, Modell 3031, gegenüber der 4341 erheblich an Attraktivität verliert, da sie wesentlich teurer ist als das größte E-Serien-Modell. Man darf gespannt sein, wie IBM den Knick in der Preis-/Leistungskurve geradebiegen will. Eine drastische Preissenkung bei der 303X-Serie wäre das Naheliegendste.

Warten wir's ab.