Selbstanalyse als Beginn einer leistungsfaehigen DV Gartner Group zeichnet das Szenario einer neuen IT

15.12.1995

"Spielregeln fuer Sieger", diesen Titel des Bestsellers von Management-Beraterin Gertrud Hoehler, haette die Gartner Group auch ihrem Symposium "The Future of Information Technology Industry" verleihen koennen. Denn dort wurden den IT-Verantwortlichen Wege zu einer leistungsfaehigen Inhouse-DV aufgezeigt. Fazit: Deren Fokus sollte auf der nutzbringenden Unterstuetzung der Geschaeftsprozesse liegen. Die beste Garantie, dass die Informationstechnik das Geschaeftsleben nicht nur unterstuetzt, sondern auch vorantreibt, ist demnach ein staendiges Benchmarking. Ausserdem wird Outsourcing grundsaetzlich nicht abgelehnt, sofern es gezielt und mit voller Akzeptanz der DV-Mitarbeiter erfolgt.

Eigentlich muessten sich die IT-Abteilungen angesichts der Zahlen, die Gartner-Group-Vice-President Al Case zum besten gab, freuen: Bei 90 Prozent aller erfolgreichen Business-Process-Re- Engineering-(BPR-) Projekte wurden neue IS-Loesungen eingefuehrt, und bei mehr als 70 Prozent waere ein Umbau des Unternehmens ohne neue Informationssysteme nicht moeglich gewesen. "Technologie ist ein Schluesselfaktor fuer Business Process Re-Engineering", konstatierte der Analyst.

Fragt man allerdings, ob traditionelle IS-Abteilungen einen zufriedenstellenden Beitrag dazu leisten koennen, lautet die Antwort in der Regel nein. Gemeint sind dabei die Teams, die sich in einem Mainframe-zentrierten Umfeld als Bereitsteller von Technik verstehen. Ihre Aufgabe besteht in der Kontrolle der IT- Ressourcen. Im Vordergrund steht die Optimierung der Hardware, gemessen wird der Erfolg an der dadurch erzielten Effizienz.

BPR fuehrt den Analysten zufolge in der Idealform zu einer sich dynamisch weiterentwickelnden, lernenden Organisation - ein Ziel, das laut Gartner Group erst im Jahr 2000 bei den meisten Firmen erreicht sein wird. Voraussetzung sei eine neue Art von Informationssystemen, die Case auch als "Repository" bezeichnete. Darin muessten Informationen ueber den Verlauf und das Zusammenwirken der Prozesse sowie der darin eingebundenen Daten zur Verfuegung stehen.

Das ist nur eine der Anforderungen an eine moderne Unternehmens- DV, die von den nach alten Mustern gestrickten IT-Abteilungen nicht erfuellt werden koennen. Deshalb wandeln sich laut Gartner bis zum Jahr 1999 rund 60 Prozent aller IT-Organisationen zu Serviceanbietern, die unter Nutzung einer firmenweiten DV- Infrastruktur und auf Basis von Standards entsprechende Loesungen nahtlos den Erfordernissen anpassen. Wer sich nicht umstelle, werde sich damit anfreunden muessen, ausgelagert zu werden, wiesen die Analysten immer wieder auf die vermutlich nicht erfreuliche Alternative hin. Nicht mehr der Mainframe, sondern das Netz und die Middleware stehen in Zukunft technologieseitig im Mittelpunkt. Messkriterium ist die Effektivitaet der DV-Loesungen in bezug auf die Unterstuetzung des Geschaefts.

Die Gartner Group hat sechs sogenannte "Business Drivers" definiert: die Finanzen, operationale Bereiche, die Produkte selbst, die Mitarbeiter, die Prozesse sowie die Kunden. Die IT- Abteilung sei daran zu messen, welchen Beitrag sie in den einzelnen Bereichen leistet. Man muesse sich dar Automatisieren, den Umgang mit und die Bereitstellung von Informationen verbessern sowie mit dem Einsatz von Computern neue Moeglichkeiten fuer das Unternehmen schaffen.

Im Finanzbereich koennte dies beispielsweise erreicht werden, indem gleichzeitig mit der Auslieferung eines Produktes die Rechnung elektronisch erstellt werde. Im operationalen Sektor lassen sich Electronic-Data-Interchange-(EDI-)Loesungen fuer die Bestandsverwaltung oder aufgeschluesselte Marketing-Datenbanken einfuehren. Auch die Vertriebsautomatisierung kann die Schlagkraft eines Unternehmens in diesem Bereich verbessern. In bezug auf die Produktion sind CIM, Prozessautomatisierung und Qualitaetsinitiativen Beispiele fuer den IT-Einsatz. Die Qualitaet der Kundenbeziehung kann mit Call-Centern erhoeht werden.

Bei diesen neuen Anwendungen ist die DV untrennbar mit dem eigentlichen Geschaeft verknuepft. Aendern sich Ablaeufe oder ergeben sich neue Aktivitaeten, muss sie die Bewegung aktiv unterstuetzen. DV-Profis muessen also in Zukunft mehr vom Geschaeft verstehen, wollen sie den Anforderungen gerecht werden. Ratsam sei dies auch, weil die IT-Budgets von der zentralen DV abgezogen und fuer dezentrale Loesungen in die Fachabteilungen verlagert wuerden. Diese Entwicklung verringert nach Meinung der Gartner-Analysten den Einfluss der zentralen IS auf die IT-Entscheidungen. Wird der Wert, den die Unternehmens-DV fuer das Erreichen der Geschaeftsziele leistet, nicht anerkannt, besteht Gefahr, dass die langjaehrige Institution unter Beschuss geraet.

In diesem Zusammenhang bekommt auch Outsourcing eine andere Bedeutung. Die Auslagerung sollte nicht als Massnahme des Topmanagements erfolgen, um sich des kostentraechtigen DV-Bereichs zu entledigen, sie sollte vielmehr von der zentralen DV-Abteilung selektiv eingesetzt werden, um Freiheiten fuer den Aufbau neuer Systeme zu schaffen. "Transformation ueber Outsourcing" ist aus Sicht von Gartner Groups Outsourcing-Spezialistin Rita Terdiman heute einer der Hauptgruende fuer die externe Dienstleistung, waehrend frueher primaer Kostenaspekte ausschlaggebend waren. Besonders die Desktop-Services werden in den naechsten Jahren bevorzugt fremdvergeben. "Die meisten Desktop-Bereiche sind ausser Kontrolle geraten", erklaerte Terdiman.

Insgesamt gehe der Trend mehr zur Auslagerung von Funktionen, die nicht das Kerngeschaeft betreffen, etwa die Wartung von Applikationen oder auch Programmierarbeiten, die sich in Indien oder Irland billiger und schneller erledigen lassen. Die interne DV-Abteilung konzentriert sich mehr auf die Unterstuetzung der zum Hauptgeschaeft gehoerenden Funktionen und behaelt die Verantwortung ueber die IT-Architektur.

Der Aufbau einer IT-Architektur gehoert zu den wichtigsten Aufgaben des zentralen IS-Bereichs. "Ein Viertel bis ein Drittel der grossen Organisationen wird innerhalb der naechsten drei Jahre keine passende IT-Architektur aufbauen und dadurch Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen muessen. Die IT-Funktionalitaet laesst nach, die Reaktionszeiten werden laenger, und die IT-Kosten steigen", behaupten die Marktforscher.

Allerdings ist der Aufbau einer neuen Technologiebasis nicht einfach. Verwirrung entsteht durch die grosse Vielfalt an Produkten und Anbietern. Hinzu kommt, dass die Integration auf die Schultern der Kaeufer verlagert wurde, die technische Komplexitaet jedoch zugenommen hat. Die Ansprueche bezueglich der Funktionalitaet nehmen zu, ebenso greifen mehr Personen als frueher in den Entscheidungsprozess ein.

Gartner Group fuehrte als positives Beispiel Wacker Siltronic an, deren DV-Spezialisten sich mit der Erstellung einer IT-Architektur beschaeftigt haben. In diesem Zusammenhang wurden IT-Prinzipien aufgestellt. Eine Regel lautet: Alle Daten haben einen Besitzer, der verantwortlich ist fuer Richtigkeit, Quelle, Definition, Updating-Frequenz und Sicherheitsanforderungen. Ferner hat sich das DV-Team zum Beispiel bereit erklaert, eine Datenenzyklopaedie zusammenzustellen, in der die Zugriffsberechtigungen registriert sind.

Mit den neuen Aufgaben der DV aendern sich auch die erforderlichen Faehigkeiten der Mitarbeiter, was zu einem Shake-up der IT- Abteilung fuehrt. Davon ist auch der Kopf der Truppe nicht ausgenommen. "Bei Xerox werden IS-Manager daran gemessen, wie sie die Veraenderungsprozesse bewaeltigen und wie viele Mitarbeiter sie dafuer motivieren koennen", zieht Gartner-Analyst Gene Raphaelian das mehrmals als vorbildlich bezeichnete Beispiel Xerox Corp. heran.

Trennen sollten sich die Manager von dem Gedanken, Herr ueber die Hardware zu sein und dabei mit einer Plattform auszukommen. Die Aufmerksamkeit sollte der Software gelten, wobei es empfehlenswert sei, statt auf eindrucksvolle unternehmensweite Pakete und standardisierte Anwendungen auf funktionierende Gateway- Verbindungen Wert zu legen. Auch in bezug auf relationale Datenbank-Management-Systeme sprechen sich die Marktforscher nicht fuer den Fokus auf einen Hersteller aus, sondern favorisieren standardisierte APIs sowie Makros statt Stored Procedures.

Die Planung von IT-Investitionen aendert sich einschneidend. "Traditionelle Modelle funktionieren nicht mehr. Die meisten IT- Manager werden bis 1997 neue Methoden einfuehren, die eine staendige Anpassung und Planung erlauben", konstatiert Chuck White in seinem an die Chief Information Officers gerichteten Vortrag. Zu den kritischen Punkten zaehle jedoch, die richtigen Mitarbeiter zu finden.

"Die technologischen Anforderungen aendern sich alle zwei Monate. IT-Fachleute hinken den Erwartungen an ihre technischen Faehigkeiten immer hinterher", erklaert Analyst Raphaelian, der sich mit der personellen Situation im Bereich Datenverarbeitung beschaeftigt. Vorbei sind demnach die Zeiten, in denen Computerfreaks, die sich ohne Interesse an ihrem Umfeld im stillen Kaemmerlein mit endloser Geduld durch Zeilen von Codes wuehlen, zu den bevorzugten IT-Spezialisten zaehlen.

Was zeichnet also den neuen Topmitarbeiter aus? Er braucht Geschaeftssinn, sollte den Wert seiner Arbeit vermitteln koennen. Das Denken muss immer der Firma und dem Team gelten. Qualitaet, Service und Bereitschaft zur staendigen Verbesserung werden ebenso vorausgesetzt wie Innovationsfreudigkeit und Kommunikationsfaehigkeit.

Das DV-Team der Zukunft setzt sich aus Spezialisten zusammen, die unterschiedliche Faehigkeiten kombinieren. Business-Analysten und Entwicklungsprofis muessen dabei zum Beispiel sowohl technisches Verstaendnis fuer die Infrastruktur als auch fuer Entwicklungs-Tools mitbringen. Sie muessen aber ebenfalls ueber den Markt, in dem das Unternehmen taetig ist, die Kunden und ueber die Geschaeftsablaeufe Bescheid wissen.

Bei Beratern und Managern aus dem IT-Bereich kommt es neben dem Wissen ueber den Geschaeftshintergrund und die Prozesse auch auf Kriterien wie Kommunikationsfaehigkeit, Qualitaetsanspruch und Marketing-Denken an. Architekturspezialisten und Projektverantwortliche sollen neben den technischen Faehigkeiten unter anderem ebenfalls kommunizieren koennen oder in der Lage sein, Veraenderungen zu realisieren.

Hybride Organisation heisst das Schlagwort, dass dann auch auf die DV-Abteilung zutrifft. IT-Spezialisten werden dabei nach Raphaelian "just in time" mit speziellen Aufgaben betraut und erhalten neue Karrierepfade eroeffnet, die nicht zwingendermassen im Management enden. Diese Veraenderungen erfordern aus Sicht der Analysten jedoch eine neue Entlohnungsstruktur. Heute seien 95 Prozent des Gehalts Fixbezuege. Gartner-Group-Analyst Raphaelian haelt ein Fixum von maximal 75 Prozent fuer angebracht. Der Rest des Salaers sollte vom Unternehmenserfolg abhaengig gemacht werden.

Die Zielvorgaben schliessen unternehmens-, Workgroup- und personenbezogene Kriterien ein. Allerdings geben die Branchenkenner zu, dass sich diese Ideen nur schwer in die Praxis umsetzen lassen werden, angesichts geringer Ressourcen in den IT- Abteilungen und der Schwierigkeiten sowohl in dem DV- als auch im Fachbereich, auf Serviceebene Messkriterien zu entwickeln.

Um eine kontinuierliche Leistungsanalyse kommt der IS-Sektor jedoch nicht herum. Fuer das "Wie" hat die Gartner Group eine eindeutige Antwort: Benchmarking. Diese Methode der schonungslosen Selbstanalyse deckt die Defizite im personellen wie im technischen Bereich auf. Man muss IT messen, um IT managen zu koennen, dekretieren die Analysten. In der IT-Abteilung koennen zum Beispiel die Kategorien Service (Qualitaet, Zufriedenheit, Serviceebenen), Personal (Organisation, Faehigkeiten, Training), Effizienz (Produktivitaet, Umgang mit Ressourcen), Kosten, Zeit (Reaktionszeiten, Verfuegbarkeit, Zuverlaessigkeit) oder Management (Personen, Prozesse und Produkte) als Spektrum fuer Benchmarking dienen.

Der Referent raet dabei allerdings von einer einmaligen Inszenierung eines Projekts ab. Ziel muesse die staendige Verbesserung und damit ein kontinuierlicher Benchmarking-Prozess sein - der zudem durch die im Laufe der Zeit aufgebaute Infrastruktur immer weniger koste.