CW-Wert

Selbst Journalisten weinen

22.11.2005

Eigentlich hatte der Tag ja gut angefangen. Frühstück, dampfender Tee. Der bei Redaktionsschluss Noch-Kanzler Gerhard Schröder hat seinen Frieden mit der nach Redaktionsschluss Kanzlerin Angela Merkel geschlossen. Das Deutsche Wirtschaftsinstitut stellt bei deutschen Firmen mehr Optimismus denn je in diesem Jahr fest. Abends sollte in Münchens Vorzeige-Arena die einstweilige Hinrichtung eines subalternen Clubs aus der Ex-KuK-Region angerichtet werden.

Alles wäre so perfekt gewesen - aber dann diese Meldung! "Sieglinde" soll verschwinden!

Was sind gegen solch ein Weltereignis schon Ankündigungen wie jene, mit denen wir Schreiberlinge uns sonst beschäftigen? Dass Hewlett-Packard wieder Tausende entlässt? Dass Infineon zerschlagen wird? Dass Google wieder einen neuen Markt erobert? Peanuts gegen die Nachricht, dass Sieglinde unser aller Leben nicht mehr, nie mehr begleiten wird.

Zwei Generationen war sie unter uns, war Teil von uns, gehörte zu unserem Leben wie zu unserem Tod. Beim Klang ihres Namens lodert sofort germanisches Mythenspiel auf, hören wir Wagners Sieglinde "Erquickung schaff’ ich. Labung biet’ ich dem lechzenden Gaumen..." säuseln.

Jetzt also das Ende.

Seit 1935 angebaut, wird die Kartoffelsorte Sieglinde ab sofort vom Markt genommen. Solche erschütternden News gräbt natürlich nur die "Financial Times Deutschland" aus, wer sonst? Es sind diese Meldungen, bei denen sogar Journalisten weinen. Und wie gesagt: Es hätte ein so schöner Tag werden können. Aber es wurde der Tag, an dem Sieglinde von uns ging.