SEL: Wir haben die ITT-Leadhouse-Funktion auch für das Bild- und Dokument-Handling

18.04.1986

Mit Werner Brendel, Generalbevollmächtigter der SEL AG, sprach Fritz J. Schmidhäuser

Herr Brendel, Integration und Bürokommunikation sind zwei Schlagworte, die zur diesjährigen Hannover-CeBIT-Messe viele Anbieter benützen. Auch SEL verwendet diese Begriffe, spricht aber außerdem vom Bürokommunikations-Konzept Office 2000. Ist dieses Konzept nur ein Konzept im Sinne einer Idee oder Ausdruck einer neuen Strategie - oder verbergen sich dahinter auch konkrete Produkte?

Das Konzept ist einerseits eine strategische Aufstellung unseres Unternehmens mit der Zielsetzung, die unterschiedlichsten Kundengruppen auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen und ihnen das gesamte Produktspektrum der ITT Europa verfügbar zu machen. Das Konzept ist kundenorientiert; aber auch paneuropäisch: Das gilt sowohl für das Angebot der europäischen ITT-Gesellschaften als auch für die Offenheit des Systems für Produkte anderer Hersteller. Natürlich stehen hinter dem Konzept auch konkrete Produkte.

Was bedeutet für Sie "Kundenorientierung"?

Wir unterscheiden drei wesentliche Zielrichtungen: kleine Betriebe, mittlere Unternehmen und die Großindustrie. Jeder Unternehmenstyp braucht andere Lösungen. Der kleine Unternehmer verlangt nach Lösungen mit verschiedenen - möglichst einfachen und billigen - Geräten. Das mittlere Unternehmen möchte eine komplette Lösung - also Hardware, Software, Service, Beratung und Schulung - aus einer Hand. Das Großunternehmen legt besonderen Wert darauf, seine bestehenden Investitionen zu schützen und im Rahmen der Bürokommunikation vorhandene Insellösungen zu verbinden, sprich: zu vernetzen; für ein solches Unternehmen sind wir eine Art System-Integrator oder Connectivity-Company.

Und welche Produkte find et man nun unter dem Dach des neuen Konzepts?

Es handelt sich um Hardware- und Softwareprodukte; hardwaremäßig unterscheiden wir zwei Bereiche: erstens die Arbeitsplatzsysteme unterschiedlichster Leistung, angefangen vom einfachen Telefonapparat und den hostorientierten Bildschirmsystemen über Mehrplatzsysteme und multifunktionale Geräte - beispielsweise unser neues Bildschirmtext-Telefon "Infotel" bis hin zu Systemen der Bild- und Dokumentenverwaltung; zweitens den Kommunikationspart, der sicherstellt, daß in einem System der Bürokommunikation die Integration unterschiedlichster Geräte gewährleistet ist. Hierbei denke ich besonders an unser System 12B, aber ebenso an Daten-Kommunikationsrechner wie etwa die Netz-Steuereinheit ITT 9450 VLC und auch unser Textkommunikationssystem ADX.

Gibt es bei SEL einen konkreten "Integrationsplan"?

Wer unseren Ausstellungsstand besucht hat, konnte sicherlich erkennen, daß Office 2000 nicht nur eine Absichtserklärung ist, sondern daß wir auf dem Wege der Realisierung sind. Wir bieten heute alles an was bei der Sprachkommunikation "verbindbar" ist, und wir haben die ersten Schritte getan, Sprache auch mit Daten zu verbinden.

Auch im Bereich Textkommunikation zeigen wir, was Systemintegration heißen kann: Textsysteme verschiedener Hersteller, Mikros und Fernschreiber können untereinander Nachrichten austauschen (Electronic Mail).

Wer ist im ITT-Verbund für dieses Entwicklungsprogramm zuständig?

Im Rahmen unserer Systemhaus- oder Leadhouse-Philosophie ist festgelegt, welches Haus (Anmerkung: Haus = ITT-Tochter) für welche Produkte beziehungsweise Produktgruppen zuständig ist. Außerdem sind Prioritäten vergeben worden, die regelmäßig in gemeinsamen Gesprächen zwischen den Gesellschaften upgedatet werden. Es gibt keine Zentralstelle, die bestimmt, was wo in welcher Reihenfolge zu entwickeln ist.

Die SEL, die übrigens mit weit mehr als 50 Prozent des ITT-Gesamtumsatzes im Kommunikationsbereich die wichtigste Säule im Konzept Office 2000 darstellt, hat natürlich die Leadhouse-Funktion für das System 12B übernommen, außerdem aber für das Bild- und Dokument-Handling - zum Beispiel Fernkopieren und Fernschreiben, für Bürocomputer (CTM) mit kommerzieller Anwendungssoftware und die Gebäudeverkabelung, das sogenannte Building-Wiring.

Sehen Sie den Begriff Office 2000 eigentlich als Synonym für Bürokommunikation und "Büro der Zukunft"?

Man könnte Office 2000 als Synonym für die Anforderungen interpretieren, die an ein Bürokommunikationssystem gestellt werden. Diese Anforderungen sind aus unserer Sicht: sicherzustellen, daß die verschiedenen Kommunikationsformen - Daten, Texte, Sprache, Bilder - und die verschiedenen Verarbeitungsarten in ein geschlossenes System eingebracht werden, um sie am Arbeitsplatz verfügbar zu machen, und dann in einem zweiten Schritt alles, was heute noch getrennt ist, miteinander zu verbinden.

Diese Idee haben auch andere Anbieter. Wo sehen Sie die SEL in diesem Markt? Und mit wem würden Sie sich vergleichen?

Ich sehe uns in einer sehr guten Position, weil wir Nachrichtentechnik und Computertechnik abdecken, über das erforderliche Know-how und entsprechende Produkte verfügen und ein vernünftiges Marketingkonzept haben. Natürlich sind wir nicht allein am Markt. Was so sind einige sicherlich in Teilbereichen Konkurrenten, weniger aber, wenn wir Bürokommunikation in unserem Sinne - also als ein umfassendes System, das alles miteinander verbinden kann - definieren. Man sollte nämlich nicht übersehen, daß wir antreten, um Wang-Systeme mit DEC-Systemen, DEC-Systeme mit HP-Systemen, HP-Systeme mit ITT-Systemen und das alles dann noch mit einem IBM-Host zu verbinden und zu vernetzen.

Wird es denn dann beispielsweise Kompatibilität zwischen CTM-, RC- und den "herkömmlichen" ITT-Produkten geben? Oder wird aus dem ganzen Produktspektrum vielleicht sogar eines Tages eine paneuropäische Produktfamilie?

Wir haben vor, das Ganze im Sinne einer paneuropäischen Produktfamilie zu unterstützen, es wird sicher gegenüber dem zur Zeit angekündigten Status noch Veränderungen in der Produktpalette geben müssen. Anstöße dazu sind sowohl von den Kunden als auch aus dem Markt und vom Wettbewerb zu erwarten. Konzernintern legen wir uns mit Betriebssystem- und Programmierstandards fest, um auf der Anwendungsebene Portabilität und Homogenität zu schaffen.

Wenn Sie als System-Integrator auftreten wollen, benötigen Sie Mitarbeiter eine anderen Art als beim Vertrieb von Telefonapparaten. Wie wollen Sie diese Umstellung schaffen - durch Schulung Ihrer nachrichtentechnischen Vertriebsbeauftragten in Bürokommunikation?

Diese Frage bewegt mich sehr, weil das Problem nicht aus dem Stand heraus zu lösen ist. Wir haben uns entschlossen, ein sehr intensives Schulungsprogramm zu starten.

Wir haben aber nicht vor, den Personalbestand aufzustocken.

Office 2000 umfaßt ja auch Produkte aus anderen Ländern, sehen Sie nicht auch zusätzlich durch die Deutsche Bundespost der paneuropäischen Idee Grenzen gesetzt?

Wir müssen - wie jeder Mitbewerber - bestimmte Spezifikationen und Normen erfüllen, die in der Bundesrepublik Gültigkeit haben. Aber der Markt wird sich öffnen und vermehrt Chancen für ausländische Firmen bieten; natürlich müssen diese sich an die Spezifikationen "heranarbeiten", aber das ist kein unlösbares Problem. Ich gehe davon aus, daß die Öffnung des Marktes zu einem verstärkten Druck durch ausländische Anbieter - und damit letztlich auch zu einem zusätzlichen Druck auf das Preisgefüge - führen wird. Logischerweise muß deshalb das Schwergewicht bei jedem Anbieter auf Kostensenkungsmaßnahmen liegen. Und deshalb ist die paneuropäische Ankündigung des Office 2000 auch das Bekenntnis der ITT zu einem Markt, der sich mit dramatischen Zuwachsraten entwickeln und für ein Unternehmen wie die ITT große Chancen bieten wird, wenn es geschlossen auftritt und durch Arbeitsteilung sicherstellt, daß jede "Unternehmeneinheit" möglichst optimal für den Unternehmensverbund arbeitet.