Segmentierung des Ethernets mit performanten Hubs In Stralsund laufen Schiffe mit Hilfe von FDDI vom Stapel

14.10.1994

Aufbau Ost heisst in ehemaligen Ost-Betrieben nicht nur wirtschaftliches Umdenken, sondern auch eine revolutionaere Neugestaltung der DV- und Netzinfrastrukturen. So auch bei der Volkswerft Stralsund, einer Tochter der Bremer Vulkan, deren Netzkonzept auf FDDI-Basis Robert Baeuerle* skizziert.

Wer das Gelaende der Volkswerft Stralsund betritt, fuehlt sich zunaechst in gute alte Zeiten versetzt. Von DV auf den ersten Blick keine Spur, der Tagesausweis fuer Besucher wird auf einem Block mit zwei Lagen Kohlepapier ausgestellt. Doch der Schein truegt. Hier ist nicht die Treuhand mit der Schliessung eines ehemaligen volkseigenen Betriebes beschaeftigt, sondern es entsteht die modernste Werft Europas. In einer 75 Meter hohen und 300 Meter langen Halle sollen in drei Jahren Schiffe mit bis zu 230 Meter Laenge gebaut werden koennen. Statt des traditionellen Stapellaufs werden diese Schiffe dann auf Schienen ins Freie gerollt und mit einer Absenkanlage ins Wasser verfrachtet.

Rund 650 Millionen Mark sind fuer den Umbau vorgesehen, der 1997 im wesentlichen abgeschlossen sein soll. Die erste Million davon ist bereits verbaut, ohne dass auf dem Gelaende grosse Veraenderungen sichtbar waeren. Eine unterirdische Medientrasse verbindet alle zukuenftig fuer die Produktion relevanten Bereiche der Werft miteinander. "Wir legen derzeit wenig Wert auf Aeusserlichkeiten", erklaert Norbert Kinzel, Leiter Rechenzentrum, die Situation auf dem Gelaende, wo Abrissbagger und Bautrupps das Szenario praegen. Viel wichtiger sei es, fuer kommende DV-Anwendungen eine zukunftssichere Infrastruktur zu schaffen.

Obwohl die Volkswerft seit der Wende einige groessere Auftraege - unter anderem aus Norwegen und Indonesien - gewinnen konnte, wurde schnell klar, dass die bisherige Massenfabrikation keine Zukunft mehr hat. Kleinen Serien und Einzelfertigungen gehoert die Zukunft. Mit den vorhandenen Fabrikationsanlagen war dies nicht zu realisieren - die Werft benoetigte eine vollkommen neue Ausstattung. In Zusammenarbeit mit der Bremer Vulkanwerft wurde deshalb das Konzept der "Kompaktwerft" entwickelt - einer Werft der kurzen Wege, die einen hocheffizienten Arbeitsablauf und damit Kostenreduzierungen ermoeglicht.

Im Zuge des geplanten Umbaus nach diesem Modell musste natuerlich auch die DV von Grund auf neu eingerichtet werden. Waehrend DV- Abteilungen in den alten Bundeslaendern ueber Jahre relativ harmonisch mit den Betrieben mitwuchsen, hatte die DV-Division der Volkswerft mehrere Entwicklungsspruenge auf einmal zu machen, allerdings mit dem Vorteil, bereits bei der Planung auf modernste Technik setzen zu koennen. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, ist die DV-Konzeption der Volkswerft westlichen Unternehmen teilweise einige Jahre voraus.

Begonnen hatte es vor der Wende wie in vielen oestlichen Betrieben mit der Gross-DV - ein IBM-kompatibler Grossrechner EC1056 in einem extern gelegenen Rechenzentrum wurde fuer kaufmaennische und wissenschaftliche Anwendungen eingesetzt. Die Anbindung der Terminals innerhalb der Werft erfolgte ueber eigene Vierdraht- Modemleitungen.

Nach der Wende kam jedoch rasch das Aus fuer diese Anlage - die hohen Betriebskosten fuer den Grossrechner liessen sich nicht mehr rechtfertigen. Statt bestehende DV-Konzepte zu ueberarbeiten, entschloss sich die Volkswerft zu einem gesamtheitlichen Neuaufbau der Strukturen mit der Einrichtung eines neuen Rechenzentrums im Verwaltungshauptgebaeude. In weniger als drei Monaten war die Umstellung vom Grossrechner auf zwei AS/400-Rechner sowie eine VAX- 6000-Maschine vollzogen.

Parallel zu diesem Umzug wurde im Verwaltungsgebaeude das erste Ethernet-Netzwerk, basierend auf einer Thinwire-Verkabelung, installiert. Der Bestand an PCs wuchs kontinuierlich, das Netz wurde je nach Bedarf erweitert.

Mit der Wende stiegen aber auch die generellen Anforderungen an die DV. Urspruenglich nur als Arbeitshilfe eingesetzt, musste sie nun den schwindenden Mitarbeiterstamm kompensieren, denn von urspruenglich rund 8000 Mitarbeitern sind heute nur noch rund 2700 im Unternehmen beschaeftigt. Weitere 700 Arbeitsplaetze sollen noch abgebaut werden. Dennoch wird die DV in der Volkswerft nicht als Jobkiller verstanden, sondern vielmehr als wichtiges Element einer lange ueberfaelligen Umstrukturierung.

Als 1992 das Weiterbestehen der Werft im Vulkan-Verbund feststand, wurde die DV-Entwicklung noch forciert. Um die extremen Belastungen in dem als logisches Segment aufgebauten und staendig erweiterten Ethernet-Netz zu reduzieren, implementierte man nach Plaenen des Systemintegrators Telemation und der LANtec GmbH einen Power Hub von Alantec.

An den Knoten lassen sich bis zu zwoelf Ethernet-Subnetze anschliessen, die jeweils mit der vollen Bandbreite von 10 Mbit/s unterstuetzt werden. Dadurch konnte das Netz in mehrere, zentral vom Hub gesteuerte logische Segmente untergliedert werden. Ferner liess sich der Datendurchsatz in den einzelnen Netzabschnitten erhoehen.

Die voellige Reorganisation der DV machte bei der Volkswerft auch den Weg zu unkonventionellen Loesungen frei. Bei dem heute in der Medientrasse verlegten Glasfasernetz handelt es sich um eine physikalische Backbone-Struktur mit derzeit 20 Multimode- und vier Monomode-Fasern. Die vorhandenen Rechnersysteme sind ueber FDDI- Controller an diesen Backbone angeschlossen, die Ethernet-Subnetze ueber mittlerweile vier Hubs mit dem FDDI-Backbone verbunden. Ressourcen fuer zukuenftige Subnetze sind bereits vorhanden. Waehrend die Ethernet-Netze mit den ueblichen 10 Mbit/s arbeiten, schicken die Hubs ihre Daten mit 100 Mbit/s ueber den Backbone.

Als es notwendig wurde, die alten Telefonanlagen zu ersetzen, wurde kein komplett neues, gebaeudeuebergreifendes Telefonnetz verlegt, sondern das inzwischen vorhandene Glasfasernetz genutzt. Ohne zusaetzlichen Verkabelungsaufwand erfolgt heute die gesamte Kommunikation innerhalb der Werft ueber Glasfaser - lediglich beim Uebergang ins Netz der Telekom greift man wieder auf konventionelle Vermittlungstechnik zurueck.

Wo es innerhalb der Werft unrentabel erschien, einen Glasfaserzugang zum FDDI-Backbone zu schaffen, wird die Verbindung ueber ISDN hergestellt. ISDN dient in der Volkswerft also nicht nur der Datenkommunikation, sondern auch als Uebertragungstechnologie fuer die Sprachkommunikation. Ueber eine ISDN-Karte im PC und bereits vorhandene Telefonleitungen wird via ISDN-Gateway der Zugang zum zentralen Backbone hergestellt. "Bei uns wachsen Telekommunikation und Datenverarbeitung zu einem Kommunikationssystem zusammen", erklaert DV-Chef Kinzel das informationstechnische Konzept in Stralsund.

Kinzel raeumt zwar ein, dass aus Kosten- und Zeitgruenden in der Anfangszeit mitunter auf das falsche Pferd gesetzt wurde, es in dieser Phase aber auch "ums nackte Ueberleben" ging. In allen strategisch wichtigen Punkten, so der DV-Verantwortliche, haetten sich die Entscheidungen jedoch als richtig erwiesen. In der ersten Stufe sei durch die Implementierung eines leistungsstarken Hubs das Netz in logische Segmente unterteilt worden. In der zweiten Stufe habe man durch FDDI-Schnittstellen in den zentralen Rechnersystemen ein Backbone mit 100 Mbit/s gebildet und den Wechsel auf ATM vorbereitet.

Ueber die Hubs erfolgt laut Kinzel auch die Kontrolle der einzelnen Netzsegmente, um so das Netzwerk-Management zu optimieren. Dabei ist vom Rechenzentrum aus feststellbar, welche Belastungen in welchem Netzwerksegment auftreten. Nach Bedarf lassen sich Segmente beliebig zusammenschalten oder trennen. Genutzt wird diese Funktion zur Bildung von virtuellen LANs, beispielsweise fuer spezielle Arbeitsgruppen.

Mit der jetzt realisierten DV-Ausstattung ist die Volkswerft innerhalb der Bremer Vulkan Verbund AG fuehrend. "Wir hatten das Glueck, eine Loesung praktisch auf der gruenen Wiese realisieren zu koennen", erklaert Norbert Kinzel und ist davon ueberzeugt, dass die Netzkonzeption zur Sicherung der Wettbewerbsfaehigkeit der Volkswerft beitragen wird.

Volkswerft Stralsund

Die Volkswerft Stralsund wurde 1948 auf Befehl der Sowjetischen Militaeradministration gegruendet. Bis 1990 lag die Aufgabe des Betriebs darin, Fischereiboote in Grossserien zu produzieren. In 43 Jahren wurden rund 1500 Schiffe vom Fischkutter bis zum hochseetuechtigen Fabriktrawler gefertigt. Mit der Wende brachen die angestammten Maerkte weg, weil die Schiffe wegen der teuren Mark fuer die ehemaligen Ostblockstaaten nicht mehr finanzierbar waren. Im Juni 1990 erfolgte deshalb die Umwandlung der Volkswerft in eine GmbH, im Januar 1993 wurde das Unternehmen privatisiert. Seither ist es einer Investorengruppe unter Fuehrung der Bremer Vulkan Verbund AG angegliedert.