Second Life - wann eine Präsenz lohnt

17.04.2007
Von Bernd Schmitz
Der Hype um die virtuelle 3D-Welt stellt viele Unternehmen vor die Frage, ob sie selbst dort einziehen sollen. Ohne klares Konzept kann dabei viel Geld verloren gehen.

Das "Metaversum" Second Life (SL) gilt als eine der meistdiskutierten Erscheinungen des Web 2.0. Fast keine Zeitung, fast kein Radio- oder Fernsehsender, der sich dieser virtuellen Welt nicht gewidmet hätte. Die Palette der Ansichten ist entsprechend breit gefächert, reicht von der Lobeshymne auf kreatives Potenzial bis hin zur Bescheinigung von Suchtgefahren. Nach Angaben des Betreibers, des kalifornischen Unternehmens Linden Labs, sind derzeit über fünf Millionen User registriert und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Auch wenn vom großen Hype angelockte Unternehmen erste Enttäuschungen vermelden, steigt die Zahl der Benutzer stetig an.

Tipps zu Second Life

• Einstieg mit Maß und Ziel

Da sich nur jeder zehnte der fünf Millionen Benutzer regelmäßig in Second Life einloggt, tun Firmen gut daran, sich keine kurzfristige Rentabilität zu erwarten. Genauso wenig wie im echten Leben genügt es, gigantische Firmengebäude aufzubauen, um Benutzer für ein Unternehmen und seine Angebote zu interessieren. Öffentlichkeitsarbeit ist auch in Second Life nicht kostenlos zu haben.

• Benutzerfreundlichkeit

Empfehlenswert ist eine gute Usability. Dazu kann eine Registrierung über die Unternehmens-Homepage ge- hören, Tutorials für Neueinsteiger und eine Echtzeit-Hilfestellung "Inworld". Nicht fehlen sollten in der virtuellen Firmenpräsenz Informationen zur Orientierung und zu den Aktionsmöglichkeiten, die sich dem User dort bieten. Wesentlich außerdem: Die Möglichkeit, auf ein- fache Art zwischen unterschiedlichen Orten hin- und herzuwechseln und wieder an eine zentrale Position zurückzukehren.

• Mehrwert bieten

Der Mehrwert sollte sowohl zur Marke als auch zur virtuellen Welt passen. Die SL-Promotion von Red Bull mit Hilfe eines Skydiving-Events ist dafür ein gutes Beispiel. Die Einbindung von virtuellem Engagement als Bestandteil der Corporate Communication kann sich ebenfalls lohnen. Fehlende Aktionsmöglichkeit bietet einem Second-Life-Benutzer wenig Reize, um zu verweilen.

• Angepasste Architektur

Beim Bau der virtuellen Firmenzentrale ist es ratsam, die architektonischen Besonderheiten von Second Life zu beachten: Pseudoreales Design, das sich nicht mit der Abbildung der Realität begnügt, stößt bislang auf die größte Resonanz der Bewohner. Treffpunkte zur Kom- munikation und eigenes Personal, das Besucher begrüßt und führt, ist im Metaversum genauso von Vorteil wie im echten Leben, will man potenzielle Kunden an sich binden. Und: Die Fortbewegung in Second Life geschieht meist fliegend, weite Entfernungen lassen sich durch den "Teleporter" überwinden, Rolltreppen sind daher überflüssig.

• Informationen vor Ort anbieten

Die Bindung der Benutzer gelingt in Second Life schlecht, wenn sich die Information über ein Unternehmen lediglich durch einen Link zur Homepage erschließt. Denn die 3D-Welt bietet mehr als genug Möglichkeiten, Informationen in Wort, Schrift und bewegten Bildern direkt an Ort und Stelle zu präsentieren. Ganz ohne Umwege.

• Kontinuierlicher Content

Eine einzelne oder stets gleiche Aktion wird nicht in der Lage sein, Besucher über längere Zeit zu halten. Wechselnde Inhalte sollten selbstverständlich sein, genauso wie die kontinuierliche Steuerung und Überwachung des Angebots. Was sich ebenfalls bezahlt machen kann, ist die Bildung virtueller Brand-Communities und die Erstellung von Gruppen.

• Kommunikation

Zum Hinweis auf eigene Events eignen sich die Kommunikationskanäle in Second Life. Zeitungen, Radio- und Fernsehsender sind dort präsent, Anzeigen, Außenwerbung, Sponsoring sowie Events - all das ist möglich. Neben einer passenden Einführungskampagne ist auch auf Second Life der Einsatz ursprüngliche Kommunikations- medien zu empfehlen.

• Second Life verstehen

Basis für eine funktionierende Präsenz in Second Life, mit welchem Ziel sie auch immer eröffnet werden mag, ist die gründliche Beschäftigung mit dieser virtuellen Welt. Alle in das Projekt involvierten Personen sollten im Vorfeld der Planung diese Welt ausführlich kennen lernen und die Reaktion der User auf verschiedenste Angebote im Auge behalten.

Fazit

Benutzer suchen interessante Orte und Interaktivität. Auch emotionale Aspekte, die eine Interaktion zwischen den Benutzern fördern, sind im Metaversum gern gesehen. All dies sind die Mittel, die einen "Value-to-the-Costumer" aufbauen. Linden Labs ist im Jahr 2007 unter Zugzwang, da mittlerweile - so Insider - bereits zehn neue Konkurrenz-Plattformen für virtuelle Welten in den Startlöchern stehen. Auf ihrem noch großen Vorsprung kann sich die Softwareschmiede nicht ausruhen, wenn sie der zukünftige Standard für 3D-Welten werden will. Nur eins ist sicher: Alle Unternehmen, die sich heute intensiv mit Second Life beschäftigen, sind im günstigen Fall mit ihren ersten Erfahrungen gegenüber Zauderern in diesem Medium einen Schritt voraus.

3D-Mehrwert bieten

Angesichts des Rummels um Second Life fühlen sich viele gar in die Aufbruchstimmung des frühen Web zurückversetzt. Einige neue virtuelle Präsenzen realer Unternehmen erinnern allerdings tatsächlich an Fehler, die in den 90er Jahren häufig gemacht wurden. Viele Firmen-Homepages waren damals eine Eins-zu-eins-Übertragung der letzten gedruckten Imagebroschüre, die Möglichkeiten einer Online-Version wurden weitgehend ignoriert. Ähnliche Ansätze sind bei langweiligen Second-Life-Dependancen zu beobachten, die einfach aus dem klassischen Internet-Auftritt übertragen werden und keinen 3D-Mehrwert bieten. Im schlimmsten Fall werden die SL-Nutzer per externen Link sogar ins Web geschickt, und der Avatar ist außen vor.

Reale Kosten, virtueller Nutzen

Die Preise für eine Präsenz mit einem kleinen Stück Land sind vergleichbar mit den Beträgen, die für Erstellung und Unterhalt einer einfachen Website anfallen. Eine solche kostengünstige Lösung birgt jedoch die Gefahr unangenehmer Nachbarschaft in sich. Eine eigene Insel schlägt mit einer einmaligen Anschaffungsgebühr von 1675 Dollar zu Buche, pro Monat müssen 295 Dollar Hosting-Gebühren entrichtet werden. Große Präsenzen sind ab rund 15000 Euro zu haben - nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Die Mitte April 2007 eröffnete EnBW-Dependance lässt beispielsweise durch eine äußerst repräsentative Architektur und aufwändige Konzeption auf ein kleines sechsstelliges Budget schließen.

Dafür bietet die virtuelle 3D-Welt jedem Nutzer die Möglichkeit, seine käuflich erworbene oder gemietete Umgebung selbst zu gestalten, in Form eines Avatars mit anderen in Kontakt zu treten, Gegenstände selbst zu erstellen, zu verkaufen oder Dienstleistungen anzubieten. Eines der größten Themen in Second Life ist die Interaktion - die Möglichkeit, Unterhaltungen zu führen, den eigenen Avatar zu gestalten, zu animieren, aber auch Musik abzuspielen oder Videos zu sehen. Die medienspezifischen Vorteile der Plattform sollten bei der Planung einer Firmenpräsenz nie außer Acht gelassen werden, wenn sich irgendjemand "Inworld" für die Firma interessieren soll.

Wer über eine Firmenpräsenz in Second Life nachdenkt, muss sich vor Augen halten, dass die Anzahl der damit erreichbaren Menschen im Vergleich zum Einsatz von Massenmedien sehr gering ist. Doch es gibt Unternehmen, denen schon eine recht kleine - dafür extrem Internet-affine - Gemeinschaft genügen kann. Ein Beispiel dafür bildet der Einsatz virtueller Prototypen, deren Gebrauch vor ihrer physischen Umsetzung in einer virtuellen Umgebung von Second-Life-Bewohnern getestet werden kann. Diese Methode kann wertvolles Feedback potenzieller Kunden preisgünstig liefern.

Marketing und Shopping

Eine zweite Vorgehensweise hat sich in Second Life bisher bewährt: eine virtuelle Präsenz als Ergänzung zu klassischen PR-Maßnahmen. Mit Erfolg umgesetzt hat diese Idee unter anderem Schuhhersteller Reebok: Kunden erhielten dabei die Möglichkeit, sich auf der Reebok-Website einen individuell gestalteten, virtuellen Schuh für ihren Avatar zu ordern - und sich bei Gefallen das reale Pendant nach Hause zu bestellen. Nutzen lassen sich die Möglichkeiten, die Second Life bietet, zudem für die Pflege bereits existierender Gemeinschaften - und damit auch als Arbeitsplattform für Entwickler und interne Kommunikation.

Setzen Unternehmen die zur Verfügung stehenden Mittel überlegt und gezielt ein, können sie durchaus Vorteile aus Second Life ziehen. Virtuelles Online-Shopping etwa bietet Benutzern, insbesondere durch visuelle Gemeinsamkeiten mit dem Originalprodukt, ein echtes Shopping-Erlebnis. Dagegen wird bei einem gewöhnlichen Online-Shop zum Einkauf nur ein Button gedrückt und damit das Ablegen in einem virtuellen Warenkorb lediglich angedeutet. Die Plattform Second Life eignet sich zudem zur Markenprägung, dem Imageaufbau, zur Pflege von Kundenbeziehungen und zur Bildung eigener Communities. Konzentriert man sich auf die intensive Kommunikation mit relativ wenigen Rezipienten, können sich Erfolge einstellen. Aufgrund der Interaktionsmöglichkeiten ist Second Life zudem gut geeignet für Trainings, künftig wohl auch für Web-Konferenzen. Nicht zuletzt lassen sich Architektur, Kunst und touristische Attraktionen präsentieren, und Non-Profit-Organisationen haben in Second Life bereits erfolgreich Geld gesammelt.

Kinderkrankheiten

Sicher, Second Life leidet noch unter einer ganzen Reihe ungelöster Probleme. Zunächst beschränken die relativ hohen Hardwareanforderungen und der nötige Breitband-Internet-Aanschlusses die Zielgruppe und damit die Anzahl potenzieller Kunden. Dazu kommen die Instabilität des Systems und der hohe Lernaufwand, den SL-Unternehmer in spe auf sich nehmen müssen. Nicht zuletzt ist die Anzahl der Avatare, die sich gleichzeitig an ein und demselben Ort aufhalten können, momentan auf 50 begrenzt. All diese Unzulänglichkeiten aber sind zu beheben und werden mit der technischen Weiterentwicklung verschwinden. Ob Second Life als Plattform auch für wirtschaftliche Zwecke Bestand hat, wird die Zukunft zeigen und hängt auch von den Ideen der teilnehmenden Unternehmen ab. Es ist durchaus möglich, dass Plattformen wie Second Life die Computer basierte Kommunikation in ähnlichem Maße verändern werden wie die Erfindung von E-Mails. Geht der Trend weiterhin in Richtung virtueller Welten, können sich mit Bedacht in Second Life umgesetzte Pläne und die dabei gewonnenen Erkenntnisse bezahlt machen.

Die Frage, ob eine Präsenz in Second Life für Unternehmen sinnvoll ist, lässt keine pauschalen Antworten zu. Der Erfolg ist von vielen Faktoren abhängig. Grundsätzlich gilt: Der Einsatz in einer virtuellen Welt kann die übliche Kommunikation eines Unternehmens zu seinen Kunden nicht ersetzen. Eine Second Life-Repräsentanz nützt wenig, wenn klassische Kommunikationswege nicht effizient genutzt werden. (ws)