Sechs KM-Tools auf dem Prüfstand

31.10.2001
Von Stefan Überhorst
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Mit Konfigurations-Management lässt sich jeder Schritt im Software-Entwicklungsprozess haarklein dokumentieren. An dieser Disziplin führt kein Weg vorbei, wenn IT-Systeme schnell und funktionssicher zur Verfügung stehen sollen. Wer dafür als Kontrollinstrument eine Lösung von Merant, MKS oder Telelogic erwägt, ist laut IT-Research gut beraten.

Konfigurations-Management (KM) gehört ähnlich wie Testing nicht gerade zu den Lieblingsthemen der Softwareentwickler. Die mit KM einhergehende Dokumentationsdisziplin und Projekttransparenz zählen manche Tüftler gerne zum ungeliebten Overhead. Doch im Gegensatz zum Testen stellt Konfigurations-Management einen Prozess dar, der sich über sämtliche Phasen der Entwicklung erstreckt. Von der Aufnahme einer Anforderung über das Design des Datenmodells und die Anwendungsentwicklung bis hin zum Test, der Freigabe und den folgenden Änderungswünschen: Jeder Schritt wird bis ins Detail mit seinen Auswirkungen und Verantwortlichkeiten festgehalten. Experten sind sich einig: So wie Java-Kenntnisse immer mehr zum Grund-Know-how eines Entwicklers gehören, wird demnächst in Vorstellungsgesprächen auch die Erfahrung mit KM-Tools vorausgesetzt.

Wer bei der Produktentwicklung über bloße Korrekturen hinauskommen und echte Verbesserungen erreichen will, schafft dies nur durch einen möglichst effizienten Änderungsprozess, konstatiert IT-Research in der jüngsten Marktstudie "Konfigurations-Management". KM und davon speziell die "Einarbeitung von Änderungen" seien die Schlüsselfaktoren für Wettbewerbsvorteil.

Die Autoren haben für ihre Studie die Programme sechs namhafter KM-Hersteller verglichen: Merant ("PVCS Dimensions"), MKS ("Source Integrity"), Perforce Software ("Perforce"), Rational ("Clear Case"), Serena ("Change Man") sowie Telelogic ("Continuus CM Suite"). Der Produktbewertung vorangestellt ist eine Art Best-Practice-Beschreibung des KM-Prozesses. So weisen die Experten darauf hin, dass sich ein dickes Pflichtenheft nicht als Ablage von Anforderungen eignet. Stattdessen wird eine hierarchische Struktur empfohlen, bei der ein Produkt in kleinstmögliche Einheiten zerlegt wird (bis auf Quellcode-Ebene) und eine Verknüpfung der Anforderungsdokumente auf der entsprechenden Ebene stattfindet. Auf diese Weise entständen

sehr kleine Dokumente, die viel einfacher zu lesen und zu bearbeiten seien als ein umfangreiches Pflichtenheft.

Zwei Zyklen für den Änderungsprozess

Was die Empfehlungen für den Umgang mit Produktänderungen anbetrifft, halten sich die Autoren ebenfalls an die jüngsten, vom Institute of Configuration Management definierten CM-II-Prozesse, die in den USA bereits viele Anhänger finden, in Deutschland allerdings erst allmählich Einzug halten. Eine Änderung vollzieht sich demnach in zwei Zyklen. Im ersten werden nur die Dokumente aktualisiert und gegenüber den Änderungsmitteilungen validiert. Auf diese Weise lassen sich Unklarheiten, Missverständnisse oder gar Fehler bei der Formulierung einer Anforderung ausräumen. Anschließend setzt der zweite Zyklus ein, in dem die Überarbeitung des Produkts auf Grundlage eines Arbeitsauftrags erfolgt. Der Prozess schließt sich, wenn das Ergebnis des Produkts mit der aktualisierten Dokumentation auf Übereinstimmung geprüft wird.

Was die Einführung eines KM-Systems betrifft, warnt IT-Research vor einer häufig beobachteten Praxis: die Festlegung auf ein Werkzeug, noch bevor die zu unterstützenden Prozesse klar definiert sind. Dieses Vorgehen löse die wenigsten Probleme. Groß sei vor allem die Gefahr, dass dann die gewählte KM-Lösung den Prozess vorgibt. Gerade in unternehmensweiten KM-Projekten müsse der umgekehrte Weg beschritten werden, also zuerst die Prozessdefinition, dann die Produktwahl. Dies habe auch den Vorteil, dass sich große Teile eines Kriterienkatalogs zur Tool-Entscheidung fast automatisch ergäben, ebenso die Szenarien für eine Testinstallation.

Drei Anbieter in die engere Wahl ziehen

Die Vorauswahl sollte die in Frage kommenden KM-Lösungen auf zwei, maximal drei Werkzeuge eingrenzen - gerade in dieser Hinsicht kann die Studie aufgrund der unabhängigen Tests einen geeigneten Leitfaden bieten. Neben Herstellerpräsentationen vor Ort und Besuchen bei Referenzkunden kann es auch hilfreich sein, wenn die KM-Anbieter aufgefordert werden, einen gewünschten Prozess nachzubilden. Die Testinstallation sollte sich jedoch aufgrund des meist hohen Aufwands auf ein Produkt beschränken. Auf keinen Fall dürfe der Fehler gemacht werden, echte Daten ohne Rückfallstrategie in das Werkzeug einzustellen.

Fehler kosten Geld: Marktforscher gehen davon aus, dass ein Entwickler im statistischen Mittel jährlich 20 Fehler in ein Produkt einbaut. Geht man davon aus, dass zur Behebung jedes dieser Probleme durchschnittlich 1500 Dollar veranschlagt werden müssen, betragen die Kosten für das Bugfixing 30000 Dollar im Jahr. Analysten von Gartner, IDC und Ovum sind der Meinung, dass sich bei einem sorgfältig betriebenen KM-Prozess bis zu 30 Prozent dieser Kosten vermeiden lassen.

Für den Test wählten die Autoren ein Beispielszenario mit einer in Microsofts Embedded Visual C++ entwickelten Anwendung: "Pocket Wine", so die Bezeichnung, dient der Weinverwaltung und ist ausschließlich für den Einsatz auf Pocket-PCs unter Windows CE vorgesehen. Alle an eine vorhandene Version 1 gestellten Anforderungen (Requirements) beziehungsweise Änderungswünsche sollten möglichst unter der Kontrolle des KM-Tools erfolgen, wobei es nicht nur um die Verwaltung des Quellprogramms ging, sondern um sämtliche Informationen, die einen Einfluss auf die Software hatten.

Benutzeroberflächen in der Kritik

Anhand von 16 Einzelkriterien wie Architektur, Funktionalität, Rollenkonzepte und Administration konnte jedes Werkzeug maximal 70 Punkte erreichen. Den ersten Platz belegt mit 56 Punkten PVCS Dimensions von Merant. Das Produkt wird als umfassende KM-Lösung beschrieben, mit der sich alle Prozesse mit Hilfe des Process Modeller abbilden lassen. Aufgrund des mächtigen Funktionsumfangs sei die Benutzung des Instruments allerdings nicht leicht zu erlernen. Kritik gab es unter anderem an der Oberfläche und der fehlenden Dokumentation des mitgelieferten Beispielprojekts. Beide Mängel wurden nach Angaben der Merant GmbH, Ismaning, mit der im Test noch nicht verfügbaren Version 7 behoben. Probleme bereitete den Autoren auch die Integration der Software mit Embedded Visual Studio, während die Anbindung von Visual Studio C++ auf Anhieb gelang.

Dicht auf Merants Fersen folgt die MKS-Lösung Source Integrity 4.0 in der Enterprise Edition (55 Punkte). Einige ihrer Schwächen werden darauf zurückgeführt, dass es sich bei dem bewerteten Release um eine Betaversion gehandelt hat. So weisen die Experten auch hier auf das Verbesserungspotenzial im Bereich der Integration in Entwicklungsumgebungen hin. Als störend wird die Trennung des Versions- und des Änderungs-Managements in Form zweier Client-Oberflächen bezeichnet. Die Integration der beiden Tools sei zwar gut gelungen, für manche Aktionen müsse jedoch oft zwischen den Clients gewechselt werden. Insgesamt bescheinigen die Prüfer dem Hersteller, mit der Client-Server-Version, die er seit Ende 2000 ausliefert, einen großen Schritt vorangekommen zu sein. Die umfangreiche Funktionalität, gute Skalierbarkeit

und Performance bei geringem administrativem Aufwand hätten das MKS-Produkt in das obere Feld der KM-Tools katapultiert. Vor allem das flexible Lizenzierungsmodell mit seinen günstigen Anschaffungs- und Wartungskosten seien positiv aufgefallen und stellten eine echte Alternative zu den Konkurrenzwerkzeugen mit unternehmensweitem Fokus dar. Eine "Named"-Lizenz des Enterprise-Client von Source Integrity kostet etwa 870 Euro, von Integrity Manager 750 Euro. Der Integrity Server schlägt mit 4640 Euro zu Buche.

Zum Spitzentrio des Tests gesellt sich mit 54 Punkten auch die Continuus CM Suite. Deren gleichnamiger US-Hersteller fusionierte Mitte letzten Jahres mit der schwedischen Firma Telelogic, wodurch die Position des Produkts in Europa erheblich gestärkt wurde. Als Plus hebt die Studie die leistungsstarke Verwaltung von Konfigurationen, die aufgabenorientierte Arbeitsweise sowie die Unterstützung von Entwicklerteams hervor. Auch der modulare Aufbau und die Erweiterbarkeit unter anderem durch Fremdprodukte zählen zu den Stärken. Noch erheblich verbessern ließen sich dagegen die Gestaltung und Funktionalität der grafischen Oberfläche. Der Hersteller sei sich dessen jedoch bewusst und habe einige Schritte in diese Richtung eingeleitet, heißt es in der Studie.

Mit der deutlich niedrigeren Einstufung der übrigen drei Produkte - Clear Case (47 Punkte), Change Man (46 Punkte) und Perforce (35 Punkte) - wollen die Autoren diese Lösungen keineswegs abqualifizieren. In der Studie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Bewertung nicht gewichtet ist und Anwender selbst entscheiden müssen, auf welche Stärken der Tools sie besonderen Wert legen. So wird dem Tabellenletzten Perforce durchaus ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie eine gerade für die verteilte Softwareentwicklung ausreichende Performance bescheinigt. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, dass der Hersteller seine europäischen Anwender bislang ausschließlich von England aus betreut, also in Deutschland weder über eine Niederlassung noch über Vertriebspartner verfügt.

Studie: Sechs KM-Produkte im Vergleichstest: Die Studie "Konfigurations-Management" beschreibt anhand von 16 Bewertungskriterien ausführlich die Einsatzgebiete sowie Stärken und Schwächen gängiger Produkte in diesem Segment. Hinzu kommen Angaben über Preise, Installationen und die Position des Herstellers. Die vier Autoren sind Mitarbeiter der Gesellschaft für Konfigurationsmanagement mbH (GfKM) in Nürtingen. Das Beratungsunternehmen forciert in Deutschland den vom amerikanischen Institute of Configuration Management definierten, werkzeug- und branchenneutralen KM-Prozess CM II. Die Studie kostet 1450 Euro und wurde von IT-Research, Höhenkirchen, herausgegeben.

In einer Zusammenfassung für das Management unterstreichen die Autoren nochmals, dass Produktqualität abhängig von der Prozessqualität ist, also auch von den eingesetzten Werkzeugen und Methoden. Letztlich geht es neben Fehlervermeidung und Projekttransparenz auch darum, schnell zu den vom Markt erwarteten Produktinnovationen und Varianten zu kommen. Welche Bedeutung manche Anwenderunternehmen deshalb dem Konfigurations-Management beimessen, lässt sich zum Beispiel den Case Studys von MKS entnehmen. Dort beschreibt Detlef Zerfowski, für die Softwareentwicklung des Automobilzulieferers Knorr-Bremse verantwortlich: "Für uns besteht keine Möglichkeit, Updates oder Patches unserer sicherheitskritischen Software vorzunehmen, da die Produkte auf den Straßen unterwegs sind - wir können uns keinen Fehler erlauben." Zerfowski erwartet eine reproduzierbare Codegenerierung im gesamten Entwicklungsprozess.

Ähnlich argumentiert Erhard Binder, zuständig für die Qualitätssicherung und das Release-Management in Großprojekten der Daimler-Chrysler Technical Sales Support (TSS) GmbH. Der Konzernableger entwickelt für die Mutter unter anderem B-to-C-, B-to-B- und Data-Warehouse-Lösungen. Binder fordert, dass kein Sourcecode unkontrolliert gelöscht oder überschrieben werden kann, sich alte Versionen wiederherstellen lassen müssen und die Entwicklung überschaubar bleibt.