Supply-Chain-Management/Was das Referenzmodell für ein effizientes Supply-Chain-Management leistet

SCOR - das Esperanto der SCM-Prozesse

18.04.2003
Um bereichs-, funktions- oder unternehmensübergreifende Wertschöpfungsketten zu modellieren, nutzen immer mehr Unternehmen das vom Supply Chain Council (SCC) erarbeitete SCOR-Modell. Es dient als einheitliche Sprache für die Beschreibung der Supply-Chain-Prozesse.Von Thomas Becker und Andreas Gärtner*

Die geringere Fertigungstiefe in einzelnen Unternehmen und die erhöhte Arbeitsteilung steigern die Komplexität der unternehmensübergreifenden Wertschöpfungskette und damit den Planungs- und Koordinationsaufwand unter den Supply-Chain-Partnern. Modular aufgebaute Transaktionssysteme bilden heute zwar alle wichtigen Unternehmensfunktionen und -bereiche ab, tragen jedoch nur zur Lösung von Teilproblemen bei. Werden die Herstellungskosten in der einen Produktlinie gesenkt, zum Beispiel durch eine Standortverlagerung oder einen Materialwechsel, steigen oft parallel hierzu der Koordinationsbedarf und die Logistikkosten an einer anderen Stelle, beispielsweise durch erhöhte Frachtkosten. Die ursprünglich erzielten Einsparungen werden dadurch unter Umständen überkompensiert - vielfach sogar unsanktioniert, weil die Supply-Chain-Aufwände als Gemeinkosten verbucht werden und deshalb in der gängigen Unternehmenskostenrechnung nicht hervortreten.

Namhafte Mitglieder aus der Industrie

Die Erkenntnis, dass lokale Optima häufig dem Gesamtoptimum entgegenstehen, hat dem Gedanken des Supply-Chain-Managements (SCM) zum Durchbruch in den Unternehmen verholfen. Um eine effiziente Kommunikation über Bereichs-, Funktions- und Unternehmensgrenzen hinweg zu gewährleisten, sind jedoch standardisierte Prozesse nötig. Mit dem Supply Chain Operations Reference (SCOR-) Model hat das Supply Chain Council dafür einen branchenübergreifenden Standard entwickelt. Die erste Modellversion dieses Standards wurde 1996 veröffentlicht. Das große Interesse an einem derartigen Modell belegen namhafte Industriemitglieder des SCC - darunter BASF, Siemens, Tetra Pak und Lego, um nur einige zu nennen.

In der Praxis überwiegen heute heterogene Softwarelösungen, fehlende Prozessverantwortungen, unterschiedliche Auffassungen von Supply-Chain-Abläufen und mangelhaft oder überhaupt nicht standardisierte Kennzahlensysteme. Gleichzeitig finden SCM-Standardlösungen führender Anbieter wie i2, Manugistics und SAP zunehmend Akzeptanz und setzen so Standards für die Zukunft. Das SCC liefert mit dem SCOR-Modell einschließlich der darin verankerten Standardprozesse, Kennzahlen und branchenspezifischen Best-Practice-Hinweise eine weitere wichtige Basis für die Ausgestaltung des Supply-Chain-Management. Sie wird zunehmend auch von den Softwareanbietern berücksichtigt. Beispielsweise bildete SCOR die Grundlage für die Entwicklung der aktuellen SAP-Lösungen.

Bei SCOR handelt es sich um ein Prozess-Referenz-Modell, das allen beteiligten Partnern eine einheitliche Sprache für die Kommunikation (unternehmensintern und -übergreifend) zur Verfügung stellt. Hauptsächlich liegt sein Zweck darin:

- Unterschiedliche Prozessketten ("vom Lieferanten des Lieferanten zum Kunden des Kunden") in heterogenen Wertschöpfungsnetzwerken zu gestalten und zu beschreiben,

- die Performance der vorhandenen Supply-Chain-Konfigurationen zu analysieren und zu bewerten sowie

- Hinweise darauf zu geben, welche Stellen der Prozesskette sich für eine Softwareunterstützung eignen.

Hierfür stellt SCOR die Basisprozesse Plan, Source, Make, Deliver und Return zur Verfügung. Sie werden in zwei Detaillierungsebenen beschrieben, sowie mit den jeweiligen Prozess- und Kennzahlendefinitionen, Best-Practice-Hinweisen und den erforderlichen Systemvoraussetzungen hinterlegt.

Ketten nach dem Baukastenprinzip

Diese Definitionen und Hinweise lassen sich von allen Unternehmen in einem Wertschöpfungsnetz anwenden. Bei der Modellierung der Supply Chain werden aus den Prozessen Source, Make, Deliver und Return sowie den damit verbundenen Prozesskategorien nach dem Baukastenprinzip Teilprozesse zu Prozessketten verschmolzen. Auf diese Weise lassen sich Kunden-Lieferanten-Beziehungen zwischen den jeweiligen Teilprozessen schaffen. Diese Angebots- und Nachfragebeziehungen werden durch die übergreifenden Planungsprozesse ausgeglichen.

Im Rahmen einer dritten Ebene erfahren die Prozesskategorien durch eine Aufteilung in einzelne Elemente eine weitere Detaillierung. Zudem werden sie durch "Enable"-Prozesse ergänzt. Letztere erstellen, pflegen und steuern die Informationen oder Beziehungen, auf denen die Planungs- und Ausführungsprozesse basieren. Die Prozesselemente beschreiben die wesentlichen Teilprozesse einer Kategorie sowie deren Input- und Output-Beziehungen zu anderen Elementen. Die spezifischen Kennzahlen werden über alle Modellebenen aggregiert und dienen dazu, den Durchsatz der jeweiligen Supply-Chain-Konfiguration zu messen und zu steuern.

Der Hauptvorteil einer Prozessmodellierung nach SCOR besteht in einer einheitlichen Sprache für alle beteiligten Partner. Ein gemeinsames Prozessverständnis und ein übereinstimmendes Kennzahlensystem bilden die Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Die Performance-Messung ermöglicht dabei eine intern ausgerichtete aktive Prozessoptimierung und -steuerung sowie ein branchenbezogenes Benchmarking des Prozessdurchsatzes.

Bei Wertschöpfungsketten handelt es sich im Regelfall nicht um lineare Systeme, sondern um dynamische, mehrdimensionale Netze. Unter dieser Voraussetzung lassen sich sinnvolle Entscheidungen im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise nicht immer mit vertretbarem Aufwand erfüllen. Zur intelligenten Nutzung des SCOR-Modells gehört daher auch die Kunst, die für eine Situation relevanten Komponenten herauszufiltern.

Eine gesamtwirtschaftliche Optimierung der Supply Chain scheitert in der Praxis oft an den unterschiedlichen Einzelinteressen der Beteiligten. Das Vorenthalten von Informationen gegenüber externen Partnern (um damit eigene Vorteile zu erzielen) reduziert die Transparenz und verhindert eine ganzheitliche Verbesserung. Die verschieden gewichteten Machtverhältnisse innerhalb des Netzes resultieren häufig in einseitigen Vorteilen für einen oder mehrere Teilnehmer, was die Bereitschaft zur Offenheit weiter verringert. Deshalb ist der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten die Voraussetzung für die erfolgreiche Optimierung der gesamten Supply Chain. Ein Weg dazu könnte die Einbindung externer Berater als Moderatoren zwischen den verschiedenen Parteien sein.

Erhöhte Vorsicht beim Benchmarking

Ein wesentlicher Anreiz für den Aufbau eines auf SCOR basierenden Logistikmodells ist die sinnvolle Kopplung des Referenzmodells mit entsprechenden Kennzahlen. In der Praxis bereitet diese Kennzahlenbasis allerdings Probleme. Die Versuchung ist groß, über Benchmarks der ersten Ebene (zum Beispiel Logistikkosten dividiert durch Umsatz oder Lagerumschlagshäufigkeiten) einfache und schnelle Rückschlüsse auf die Performance des Systems abzuleiten.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich dann heraus, dass die Werte auf unterschiedliche Rahmenbedingungen bezogen wurden: Die Begrifflichkeiten in der Inbound- und Outbound-Logistik des Frachtbereichs ("frei Haus"/"ab Werk"), die Artikel- und Variantenvielfalt im Lager, die Liefermengen, die geografische Verteilung der Lieferanten und Warenempfänger sowie deren Verhalten unterscheiden sich innerhalb einer Branche oft beträchtlich. Erst bei der Analyse von Benchmarks auf der unteren Prozessebene (zum Beispiel bei den Transporttarifen) ergeben sich zuverlässige Vergleichswerte.

Grundvoraussetzung ist eine aktuelle Datenbasis

Last, but not least gehört zu den Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche SCOR-Umsetzung eine aktuelle Datenbasis, zum Beispiel ein breit angelegtes Data Warehouse. Was nützt das beste Referenzmodell, wenn nach Fertigstellung erst langfristig Daten gesammelt werden müssen, um entscheidende Rückschlüsse zu ziehen und die Amortisation des Projektaufwands zu erreichen?

Fazit: Die optimale Nutzung von SCOR setzt eine intensive Beschäftigung mit dem Themenkomplex voraus. Der Aufwand für die Anpassung des Modells an die eigenen Rahmenbedingungen ist beträchtlich und für den Nutzer nur mit erheblichen Anstrengungen zu leisten. (qua)

*Thomas Becker ist Senior Manager bei der Bearingpoint GmbH in Düsseldorf, Andreas Gärtner arbeitet dort als Consultant.

Angeklickt

Anbieter wie SAP und IDS Scheer implementieren es in ihren Produkten; Anwenderkonzerne wie Bayer oder Procter & Gamble arbeiten aktiv an seiner Gestaltung mit: Das SCOR-Modell ist auf dem besten Weg, sich als Standard für die Modellierung unternehmensübergreifender Prozesse zu etablieren. Dieser Artikel erläutert:

- Warum ein solches Modell dringend notwendig ist,

- worin sein Zweck im Einzelnen besteht,

- wie es sich im Groben zusammensetzt,

- welche Fußangeln es gibt und

- welche Voraussetzungen die Unternehmen erfüllen müssen, um es anwenden zu können.

Abb: Aufbau und Umfang der SCOR-Version 5.0

Quelle: Supply Chain Council 2002; Bearing point