Verfügung gegen Verbreitung und Nutzung von AIX beantragt sowie Schadensersatzforderung verdreifacht

SCO weitet die Klage gegen IBM aus

27.06.2003
MÜNCHEN (CW) - SCO hat vor Gericht eine Verfügung beantragt, IBM wegen Verletzung von Urheberrechten die Lizenz für das Unix-Derivat AIX zu entziehen.

Die IBM hatte am 13. Juni ungerührt ein Ultimatum SCOs verstreichen lassen, bis zu dem sie eine Milliarde Dollar Schadensersatz zahlen sollte. Daraufhin stellte SCO vor Gericht den Antrag, IBM die Nutzung, den Vertrieb und den Support von AIX auf Dauer zu untersagen. SCO verlangt damit keine einstweilige Verfügung, sondern erweitert die gegen IBM erhobene Klage. Der Lizenzentzug würde also erst wirksam, wenn IBM das Verfahren verlieren würde. Gleichzeitig hat SCO die Schadensersatzforderung auf drei Milliarden Dollar heraufgeschraubt.

IBM will Gerichtsverfahren

Darl McBride, President und Chief Executive Officer (CEO) von SCO, erklärte: "IBM hat nicht mehr das Recht, AIX zu verkaufen oder zu verbreiten, und ihre Anwender haben nicht mehr das Recht, AIX-Software zu verwenden." IBM antwortete nur mit einer knappen Erklärung, die 1985 erworbene Unix-Lizenz sei "unwiderrufbar, zeitlich unbegrenzt und vollständig bezahlt. Sie kann nicht gekündigt werden." Die Angelegenheit müsse nun in einem Rechtsverfahren entschieden werden. "IBM wird weiter AIX ausliefern, unterstützen und entwickeln, denn mit ihm sind jahrelange IBM-Innovation, Hunderte Millionen Dollar Investitionen und viele Patente verbunden. IBM wird hinter seinen Produkten und Kunden stehen."

Die SCO-Verfügung sei für AIX-Anwender kein Grund zur Beunruhigung, ist die einstimmige Meinung aller Beobachter. Larry Rosen, ein auf Technologierecht spezialisierter kalifornischer Anwalt, kommentierte: "Das würde mir keine schlaflose Nacht bereiten, und ich würde gewiss keine einzige Anwendung deinstallieren." Das SCO-Vorgehen bedeute "erst einmal gar nichts", erklärte Illuminata-Analyst Gordon Haff. "Selbst im schlechtesten Szenario ist es schwer vorstellbar, dass AIX vom Markt genommen wird. Man müsste fast jeder Fortune-500-Company sagen, sie hätte diese oder jene Anwendung zu stoppen."

Derweil versucht Sun, bei möglicherweise verunsicherten AIX-Anwendern einen Fuß in die Tür zu bekommen. SCO-Chef McBride hatte dem Unternehmen attestiert, nichts befürchten zu müssen, weil es für Solaris eine über alle Zweifel erhabene Unix-Lizenz besitze und dafür mehr als 100 Millionen Dollar bezahlt habe. Sun startete darauf eine Anzeigenkampagne für die Migration auf Solaris: "Achtung AIX-Anwender: Sun kommt zur Hilfe. (...) Unglücklicherweise haben unsere blauen Freunde ein Problem mit Lizenzverträgen, die es für jeden, der AIX verwendet, sehr teuer machen könnten."

Die unverändert kühle Reaktion von IBM auf die SCO-Vorwürfe lässt ein aufwändiges und langwieriges Gerichtsverfahren erwarten. Ob SCO das finanziell durchstehen könnte, wird bezweifelt. Der Kurs der SCO-Aktie, der am 13. Juni bei großem Handelsaufkommen noch auf 11,21 Dollar geklettert war, fiel nach der IBM-Antwort um bis zu zehn Prozent und hat seinen zeitweiligen Höchstwert seitdem nicht wieder erreicht. Der SCO-Vice-President Finance, Michael Olson, nutzte die Situation rechtzeitig, um 6000 SCO-Aktien zu verkaufen. Marketing-Vice-President Jeff Hunsaker schlug 5000 Aktien los. Und Opinder Bawa, Vice-President Global Services, löste seine Aktienoption ein, um sich noch am gleichen Tag von all seinen 15000 Anteilscheinen zu trennen.

Diskrete SCO-Helfer

SCO hatte in den letzten Jahren permanent in Schwierigkeiten gesteckt. Doch nun scheint erst einmal das Schlimmste überstanden. Eine ungenannte Firma, die SCO gegenüber der US-Börsenaufsicht nur als "langjährigen Lizenznehmer des Unix-Sourcecodes" und "gewichtigen Teil der Unix-Industrie" beschrieb, hat ein neues Lizenzabkommen unterzeichnet. Zugleich hat das mysteriöse Unternehmen eine Zeichnungsberechtigung für 210000 SCO-Aktien, 1,6 Prozent der Gesamtanteile, zu einem Stückpreis von 1,83 Dollar erhalten. Kurz zuvor hatte Microsoft eine neue Unix-Lizenz erworben, was SCO die Finanzierung des Prozesses gegen IBM erleichtern dürfte.

Inzwischen hat SCO den Vorwurf ausgeweitet, IBM habe Techniken aus Unix System V der Linux-Gemeinde zur Verfügung gestellt. So habe Big Blue die mit der Übernahme von Sequent erworbenen Sourcecodes und Methoden der Community spendiert. Sequent hatte für sein Unix-Derivat Dynix die Techniken "Non-Uniform Memory Access" (Numa) und "Remove Copy Update" (RCU), das Dateisystem JFS sowie Funktionen für besseres symmetrisches Multiprocessing (SMP) entwickelt. Die Unix-Lizenz von Sequent verbot nach Darstellung von SCO die Weitergabe abgeleiteter Techniken an Dritte.

SCO hat eine Reihe von Analysten und Unix-Beobachtern eingeladen, sich von der Richtigkeit der Vorwürfe zu überzeugen. Nach Unterzeichnung eines Non-Disclosure-Agreements wurden ihnen Auszüge aus System-V- und Linux-Quellcode vorgelegt. Nach Angaben der Augenzeugen belegten die ausgewählten Passagen frappierende Übereinstimmungen. Allerdings sei fraglich, ob IBM oder andere den Code für Linux kopiert haben. Außerdem bedürfe es einer genauen Überprüfung, welches System zuerst den Code enthalten habe. Genau in diese Kerbe schlägt zunehmend die Linux-Entwickler-Community, der SCO-CEO McBride einen laxen Umgang mit Urheberrechten vorgeworfen hat. So ist die Frage aufgekommen, ob SCO beziehungsweise seine Vorgängerin Caldera als Linux-Distributor System-V-Code zur Entwicklung des quelloffenen Systems beigetragen hat.

Gegenangriffe der Community

Umgekehrt soll SCO das altersschwache System V mit Linux-Code aufgemöbelt haben. So enthalte die "Linux Kernel Personality" umfangreiche Sources aus dem quelloffenen Betriebssystem (siehe CW 25/03, Seite 4). Ein Linux-Kernel-Programmierer hat von SCO verlangt, von ihm geschriebenen Code nicht weiter über einen FTP-Server zu verbreiten, solange man andere Teile des Codes als SCO-eigen betrachte. Die General Public License (GPL) gestattet keine Vermischung von GPL- und proprietärem Code.

Mit anderen Mitteln versucht Eric Raymond, die SCO-Klage auszuhebeln. Der Autor des Open-Source-Manifests "The Cathedral and the Bazaar" setzt an einem der Klagepunkte an, wonach IBM Geschäftsgeheimnisse missbraucht habe. Raymond hat alle aufgerufen, sich bei ihm zu melden, die Einblick in System-V-Quellcode bekommen haben, ohne Non-Disclosure-Agreement unterzeichnet zu haben. Angeblich haben bereits 60 Personen darauf reagiert. Dies würde bedeuten, dass System V faktisch keinem Geschäftsgeheimnis unterlag, was folglich auch nicht missbraucht werden hätte können. (ls)