Zweiter Bericht von der Fachtagung der Gesellschaft für Informatik:

"Scientific troubadour" in Linz gesichtet

19.09.1980

LINZ (CW) - Dies ist der zweite Bericht über die gerade zu Ende gegangene Informatiktagung an der Universität Linz, die im Rahmen der ARS Electronica abgehalten wurde. Während Theoretiker und Praktiker der Informatik über "Informationssysteme im technischen und gesellschaftlichen Wandel" diskutierten, wurden Brucknerhaus und ORF-Studio zu Schauplätzen elektronischer Musik und darstellender Kunst. Die zweite gemeinsame Fachtagung "Informationssysteme für die 80er Jahre" war der Stellung des Benutzers im Informationssystem gewidmet.

Interessante Schlüsse aus der wachsenden Komplexität der Informationssysteme zog Prof. Gernot Wersig aus Berlin. Seine These: Mit zunehmendem Organisationsgrad wird das Gesamtsystem auch störanfälliger. Menschliche Komponenten müssen daher vermehrt zur Beseitigung von Störungen eingesetzt werden und nicht zur Aufrechterhaltung von Routine. Wersig sieht zahlreiche neue Berufsbilder, darunter, als Gag mit ernstem Hintergrund, den "Scientific troubadour", der als Berichterstatter von Tagung zu Tagung zieht und jeweils über Inhalt und Ergebnis der vorhergehenden berichtet. Ein ähnlicher Gesichtspunkt wurde auch in der Podiumsdiskussion, die übrigens einigermaßen unfruchtbar war, ausgesprochen. Hier lautete die Aussage, ein Forscher müsse heute eine Entscheidung treffen. Entweder er studiert die angebotene Literatur, dann verbleibt ihm keine Zeit für eigene Forschung, oder er forscht ohne Rücksicht auf andere Forschungsvorhaben, dann findet er mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits Bekanntes.

Benutzerorientierte Gestaltung des Mensch-Rechner-Dialogs wird als Voraussetzung für menschenwürdige Informationssysteme gesehen. Da die Benutzerforschung sowohl mit Versuchen einer Benutzertypologie als auch mit den bisherigen Erfassungsmethoden für Benutzeranforderungen eher gescheitert ist, bleibt als Ausweg das Angebot einer Vielfalt von kombinierbaren Dialogtypen innerhalb eines Informationssystems. Insbesondere aus finanziellen Gründen wird Benutzerfreundlichkeit allgemein noch nicht als selbstverständlich angesehen. Es ist aber ein wachsendes Bewußtsein der Notwendigkeit zu bemerken.

Kreisen um den Entwurf

Breiter Raum war glücklicherweise auch der praktischen Anwendung der Informationstechnik gewidmet. Daß wir uns nach wie vor in stürmischer Ausdehnung der Anwendungsgebiete befinden, wird dadurch illustriert, daß Beiträge zu softwaretechnologischen weiterhin um Entwurf und Entwurfswerkzeuge kreisen. Nach wie vor scheint der Einsatz von Entwurfswerkzeugen stark von der Eigenmotivation des jeweiligen Erfinders abzuhängen. Und da Werkzeuge häufig die spezielle Entwicklungsproblematik des Erfinders widerspiegeln, ist auch ihre Portabilität derzeit relativ gering.

Einen Blick in eine Welt wesentlich umfassenderer Informationssysteme gestattete die Sitzung Text-, Bild- und Sprachkommunikation. Klar erkennbar ist die große Diskrepanz zwischen den bereits getätigten Investitionen in analoge Datenübertragung (Telefonie) und der grundsätzlichen Forderung der Informatiker nach digitaler Übertragungstechnik (Fellbaum, Berlin). Mit den gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten von Teletext befaßte sich Gerhard Moll, München. Er sieht die Überwindung der jetzigen Beschränkungen durch Seitenanzahl und Zugriffszeit in einem Bildschirmtext-Rechner, mit dem dann auch private Datenbanken in einen Rechnerverbund einbezogen werden können.

Selbstverständlich kann man gerade bei umfassendem Ansatz zum Informationsaustausch den Benutzeraspekt nicht weglassen. So stellt Michael Pieper, Bonn, für das System "Computerkonferenz" die Existenz einer "kritische Masse" genannten Mindestzahl (8-12) von Teilnehmern fest. Die Bereitschaft zur Entpersönlichung der Kommunikation ist also nur dann gegeben, wenn der einzelne Teilnehmer sich wesentlichen Informations. nutzen von einer größeren Zahl von Diskussionsbeiträgen erhofft. Die Entpersönlichung kommt wohl auch darin zum Ausdruck, daß gruppenorientierte Aktivitäten gleichsam zur Pausenfüllung wegen des zunächst mechanischen Gesprächspartners unterbleiben, wodurch Kommunikationspausen besonders stören. Grundsätzlich dürfte eine recht hohe, wenn auch abbaubare Akzeptanzschwelle in der Mensch-Maschine-Mensch-Kommunikation bestehen. Ähnlich wie die nun bereits legendäre Anekdote über Queen Viktoria, die ersucht wurde, einige Worte in den damals gerade erfundenen Edison-Phonographen zu sprechen. Sie sagte bloß: "I ? Talking to a device?"

Eine ausführliche Dokumentation der Vorträge erschien in zwei Bänden zu Beginn der Tagung. Einzelne Exemplare sind noch verfügbar. (Wird fortgesetzt)

Informationen: ÖGI - Österreichische Gesellschaft für Informatik, Prof. Schulz, Universität Linz, A-4045 Linz-Auhof, Tel.: 07 32/31 38 10.