Die Telekom sieht (private) Hindernisse auf einem letztlich erfolgreichen Weg

Schwierige Etappen auf der ostdeutschen TK-Durststrecke

15.03.1991

DRESDEN (gh) - In die verfahrene Situation der ostdeutschen TK-Landschaft kommt Bewegung. Nach monatelangen Beschwichtigungen und Durchhalteparolen demonstrierte die Deutsche Bundespost Telekom vor Ort in den neuen Bundesländern erste bescheidene Baufortschritte. Angesichts der katastrophalen Rahmenbedingungen sind die bei der großflächigen Sanierung auftretenden Probleme - das wurde bei dieser Gelegenheit deutlich - vielfältig und nicht immer im Verantwortungsbereich des Postunternehmens anzusiedeln.

"Die Gesamtsituation in den fünf neuen Bundesländern ist zum jetzigen Zeitpunkt schlechter und dramatischer, als sie von allen politisch Verantwortlichen vor sind unmittelbar nach der Wiedervereinigung vorausgesagt wunde." Zu dieser Einschätzung kam Dieter Gallist, Telekom-Vorstandsmitglied sind Leiter der Stabsstelle Berlin für die neuen Bundesländer, anläßlich einer Besichtigung von Baumaßnahmen in diversen Ortsvermittlungsstellen der sächsischen Landesmetropole sind machte dies auch für die TK-Situation Ostdeutschlands geltend. Hierbei war der bundesdeutsche TK-Monopolist sichtlich bemüht, die heftige Kritik der letzten Monate zu entkräften.

Besonders betroffen zeigt sich die Telekom nach Gallists Worten von den Vorwürfen der Unbeweglichkeit und mangelnder Initiative dort, wo es gilt, dem TK-Notstand durch rasche Lösungen Abhilfe zu schaffen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die grundsätzlich schwierigen Rahmenbedingungen, mit denen sich sein Unternehmen auseinanderzusetzen habe. Dabei sei entscheidend, so Gallist weiter, daß nicht nur die Erblast des 40jährigen SED-Regimes zu bewältigen sei, sondern daß sich in den vergangenen Monaten die Situation, bedingt durch die Probleme des Übergangs, noch weiter zugespitzt habe.

Eigentumsfrage immer noch ungeklärt

Die Telekom ist vornehmlich konfrontiert mit der gegenwärtigen Rechtslage in den neuen Bundesländern, insbesondere durch die weiter ungeklärte Eigentumsfrage. Der Carrier benötigt für den Aufbau einer funktionsfähigen TK-Infrastruktur Grundstücke für rund 2000 Gebäude.

Erwerb dieser Baufläche gibt es laut Gallist trotz aller Kritik und Besserwisserei keinerlei Alternative, auch nicht für den kurzfristigen Übergang. Solange Politik und Rechtssprechung hier nicht mit einer Grundsatzentscheidung für eine Entflechtung der verworrenen Besitzverhältnisse sorgen, fühlt sich das Postunternehmen allein gelassen. Denn, so Gallist zu diesem Punkt abschließend, wir bekommen die Grundstücke oft nicht, weil es keine Eintragung, im Grundbuch gibt oder der entsprechende Vermerk geschwärzt ist beziehungsweise überhaupt kein Grundbuch vorhanden ist".

Vor dem Hintergrund dieses Szenarios habe sich die Telekom "intensiv gegen die desolate Situation gewehrt' und bereits vor dem 3. Oktober 1990 gehandelt.

Gallist verwies auf die frühzeitige Gründung von gemeinsamen Arbeitsausschüssen mit der vormaligen Deutschen Post und auf das Sonderprogramm "Telekom 2000", das nach Auffassung der Telekom den einzigen vollständigen Infrastruktur-Erstellungsplan der Wirtschaft in den Gebieten der ehemaligen DDR darstellt.

Umgesetzt in konkrete Zahlen, bedeutet dies nach Telekom-Angaben, daß 1990 die Zahl der Leitungen, die die alten mit den neuen Bundesländern verbinden, mehr als vervierfacht und knapp hunderttausend neue Telefonanschlüsse eingerichtet wurden. Im laufenden Jahr 1991 will das Postunternehmen 500 000 neue Anschlüsse hinzufügen und damit einen Innovationsgrad erreichen, der dem der ehemaligen DDR im letzten Jahrzehnts ihres Bestehens entspricht. Für 1992 hat sich der Carrier das Erreichen der Millionengrenze zum Ziel gesteckt und hofft, bis 1997 durch "Telekom 2000" die östlichen Bundesländer auf den gegenwärtigen TK-Stand Westdeutschlands zu bringen.

Dazu müssen laut Telekom insgesamt 7,2 Millionen Telefonanschlüsse, 68 000 Münz- und Kartentelefone sowie 360 000 Telefax-Anschlüsse neu gelegt werden. Hinzu kommen 50 000 Datex-P-Anschlüsse und rund 300000 DI-Mobilfunk-Einrichtungen. Um diesen Erfordernissen gerecht zu werden, ist nach Ansicht der Telekom-Techniker ein einheitliches, digitales und ISDN-fähiges TK-Netz unabdingbar. Aufgrund des völlig veralteten analogen Telefonnetzes in den östlichen Bundesländern bedeutet dies einen weitgehenden Ersatz der vorhandenen, untragbaren TK-Strukturen.

Eine Leitung für zwei Haushalte

Fast 70 Prozent der Vermittlungstechnik sind älter als 30 Jahre, in Fünftel davon sogar älter als 60 Jahre. Etwa 400 000 sogenannter Hebdrehwählsysteme aus den 20er und 30er Jahren sind in den ostdeutschen Vermittlungsstellen noch immer in Betrieb. 80 Prozent der Hauptanschlüsse waren zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung als Zweieranschluß geschaltet, das heißt, zwei Haushalte teilten sich je eine Leitung mit der Folge, daß immer nur einer telefonieren konnte. 1989 kamen in der Bundesrepublik auf 100 Einwohner rund 48 Hauptanschlüsse, in der DDR waren es gerade mal 11. Während in Ostberlin nahezu jede zweite Wohnung über ein Telefon verfügte, gehörte der Telefonanschluß in Dresden und Rostock nur bei knapp 13 Prozent der Einwohner zum Inventar. Rund 2000 Dörfer und Landgemeinden waren bis zu November 1989 ohne jeglichen Telefonanschluß.

Angesichts dieser katastrophalen Bilanz plant die Telekom eine zeitlich befristete Verbindung alter und neuer Techniken. Das antiquierte analog ostdeutsche Netz soll mit eine digitalen Overlay-Netz überlagert werden, das bis 1997 in drei Ausbaustufen entstehen wird Diese Verbindung ist jedoch nicht nur technisch äußerst problematisch, sie ist auch wirtschaftlich im Sinne einer Investition in veraltete Technologie fragwürdig. Um aber den akuten Bedarf zumindest halbwegs abzudecken und um Zeit zu gewinnen, will die Telekom betriebswirtschaftliche Bedenken bei ihrer Vorgehensweise zurückstellen und rund zehn Prozent des mit 55 Milliarden Mark veranschlagten Finanzbedarfs in die alten Strukturen lenken.

Vor einem Dilemma steht die Telekom auch in puncto der in der ehemaligen DDR vorgefundenen nicht-öffentlichen Fernmeldenetze, Derzeit sind 23 dieser "Sondernetze" aus unterschiedlichen Industriebereichen der ehemaligen NVA und des Stasi bekannt.

Sie arbeiten mit zum Teil verschiedenen Vermittlungstechniken und können aufgrund ihre größtenteils rudimentären Topologie nur bedingt, als Netz klassifiziert werden. Dennoch könnten sie mit ihren mehrere 100000 Anschlüssen eine vorübergehende Entlastung bringen.

Der "Bremser" sitzt in Bonn

Das Postministerium sie sich hier, wie Staatssekretär Görts in Bonn ausführte, in einem Zielkonflikt, da einerseits diese Netze so schnell wie möglich in das öffentliche Netz übergeführt werden sollen, (...)gleich aber die vorgefundene Kapazitäten eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Weiterentwicklung bestimmten Industriezweige seien Diese Haltung dokumentiert sich auch in Dresden. Dieter Gallist sah in Übereinstimmung mit Werner Adloff, dem Leiter der neigen Telekom-Direktion Leipzig, die ordnungspolitische Frage beim Ministerium angesiedelt. Die Netze mit großflächiger Ausdehnung sollen nach Möglichkeit in das öffentlich Netz integriert werden, dazu benötigt man aber das Know-how derjenigen, die mit den Strukturen vertraut sind, Für die Praxis bedeute dies nach Ansicht Gallists, daß die derzeitigen Nutze in die Lage versetzt werden müssen, ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, daß aber nicht benötigte Kapazitäten für öffentliche Belange freigegeben werden. Ein Gebührenpflicht tritt, wie Adloff betonte, erst beim Übergang ins öffentliche Netz ein.

Erste Übergänge in das öffentliche Netz sind bereits realisiert.

So arbeitet die Berliner Zentrale der Treuhand seit längerem mit ehemaligen NVA-Netzkapazitäten.

Größere Leitungsressourcen aus den früheren Kombinaten der chemischen Industrie sollen ebenfalls in absehbarer Zeit denn Telekom-Netz zugeschaltet werden.

Manches in dieser Angelegenheit geht allerdings nur schleppend voran und der Bremser sitzt nach vorherrschender Meinung der "Telekom-Pioniere" in Bonn.

Karlheinz Bork, Leiter des Fernmeldeamtes Ulm Lind seit Ende letzten Jahres Projektleiter beim Aufbau der Hauptvermittlungsstelle Dresden, wußte zum Beispiel von einer ganzen Etage im Dresdner Fernmeldezentrum zu berichten, die im SED-Staat eine Schaltzentrale der NVA war und seit der Wiedervereinigung vom Bonner Verteidigungsministerium unter Verschluß gehalten wird.

Unabhängig davon kündigte die Telekom für Mitte 1991 die Fertigstellung der ersten Ausbaustufe ihres digitalen Overlay-Netzes an. Die dann abgeschlossenen Baumaßnahmen werden in erster Linie die Errichtung von sieben digitalen Hauptvermittlungsstellen in Rostock, Neubrandenburg, Berlin, Leipzig, Erfurt, Dresden und Chemnitz umfassen. Bis zur Jahresmitte können so rund 75 000 digitale Fernsprechanschlüsse in Betrieb gehen. Die zweite Etappe des Projektes mit weiteren 60000 digitalen Anschlüssen soll in der zweiten Jahreshälfte realisiert werden. Dann sollen laut Telekom alle Hauptvermittlungsstellen der neuen Bundesländer digitalisiert und durch hochkanalige, digitale Übertragungswege miteinander verbunden sein.

Alle Leitungen, die neu oder zusätzlich zu verlegen sind, werden bis hinunter zum jeweiligen Ortsnetz aus Monomode-Glasfasern bestehen. Einzig die Leitungsanbindung zu den einzelnen Teilnehmern erfolgt noch mittels der herkömmlichen Kupferverdrahtung. Dabei ist man seitens der Telekom auch bereit, unkonventionelle Wege in Form oberirdischer Verkabelungen zu gehen - zumindest als Zwischenlösung, der erst in einigen Jahren die unterirdischen Kabeltrassen folgen werden.

Als eine für die Telekom nach wie vor heikle Frage entpuppte sich die Beteiligung privater Anbieter. Zwar sollen noch in diesem Jahr mit Hilfe des sogenannten "Turn-Key-Programmes" durch private Firmen zusätzlich zum Programm "Telekom 2000" 200 000 fertige Anschlüsse vor allem für gewerbliche Kunden errichtet werden, bei den Telekom-Technikern vor Ort war jedoch entgegen der offiziellen Sprachregelung unter der Hand Skepsis und Ablehnung zu registrieren.

Einerseits sieht man dort die Beteiligung der "Haus- und Hoflieferanten der Bundespost" als Einbruch in die ureigene Domäne der Fernmeldehoheit und befürchtet zudem fehlende Kompetenz und Kapazität der privaten Konkurrenz, die aufgrund der ja auch für sie geltenden schwierigen Rahmenbedingungen letztlich nur "Pfusch" abliefern können.

Andererseits führte der Unter dem Druck der Öffentlichkeit gefaßte "einsame Vorstandsbeschluß" zunächst zu weiteren Verzögerungen. Fernmeldeamtsleiter Bork rechnete vor, daß eine öffentliche Ausschreibung nach den vorgegebenen Bestimmungen rund zehn Wochen in Anspruch nimmt. Immerhin verkürzte das Ministeriums dieses Procedere und gab Aufträge in einer Höhe bis zu 200 000 Mark zur sogenannten "freihändigen Vergabe" frei. Insgesamt sind jetzt 85 Bauvorhaben in 29 Turn-Key-Projekten zusammengefaßt, die bis Ende 1991 realisiert werden sollen.

Angesichts der rund 1,2 Millionen Telefonanträge, die derzeit in den neuen Bundesländern auf ihre Bearbeitung warten, setzt die Telekom zunächst verstärkt auf öffentliche Fernsprecher und will in einem ersten Schritt zumindest die flächendeckende Versorgung mit Telefonzellen gewährleisten. Wenn es um den eigenen Anschluß geht, haben bis auf weiteres gewerbliche Kunden und wichtige öffentliche Einrichtungen Priorität. Nach wie vor sieht man sich aber seitens der Telekom in der Lage, das Problemfeld Ostdeutschland vollständig in den Griff zu bekommen. "Die Zeit läuft gegen uns", gab Gallist unumwunden zu, "aber kein anderer Investor in den neuen Bundesländern kann auch nur annähernd die Finanzkraft sowie die organisatorische und logistische Kapazität der Telekom vorweisen".

Mit rund sieben Milliarden Mark Investitionen im laufenden Jahr und der Übernahme nahezu aller Mitarbeiter der ehemaligen Deutschen Post zähle die Telekom zu den größten Arbeitgebern in den neuen Bundesländern. 45 Prozent der im Rahmen von "Telekom 2000" veranschlagten 55 Milliarden sollen der ostdeutschen Wirtschaft durch Auftragsvergabe zugute kommen. Dies bedeute, so Gallist abschließend, nicht nur Investitionsmaßnahmen

von gewaltigem Ausmaß, sondern erfordere auch Flexibilität, Mobilität und Motivation der Mitarbeiter bei allen noch auftretenden Unwägbarkeiten. Für dieses Jahr ließ sich Gallist immerhin ein konkretes Versprechen entlocken: "Unser Ziel lautet, daß Ende 1991 diejenigen in Ostdeutschland, die dann ein Telefon besitzen, vernünftig telefonieren können."