Cyrix und Digital klagen wegen Patentrechtsverletzung

Schwere Vorwürfe gegen Prozessorkrösus Intel

23.05.1997

Ironischerweise scheint Intels CEO Andy Grove seinen Kontrahenten Robert Palmer selbst auf die Spur gesetzt zu haben. Der DEC-Chef gibt an, zu dem jetzt eingeleiteten Schritt durch einen Artikel im "Wall Street Journal" vom August 1996 angeregt worden zu sein. In diesem hatten Grove und dessen Managerkollege Craig Barrett angekündigt, Intel selbst wolle nun in die Entwicklung von Prozessortechnologien investieren, um auch weiterhin zur CPU-Avantgarde zu zählen. Bislang habe man praktisch keine eigenständige Prozessorforschung betrieben.

Diese Bemerkung hat Palmer auf die Idee gebracht, Intels Chips auf ihre Innereien hin zu untersuchen. Sowohl DEC als auch Cyrix verlangen finanziellen Ausgleich für die angeblich erlittenen wirtschaftlichen Einbußen. Diese könnten sich - würde etwa DEC sich mit seiner Ansicht vor einem Gericht durchsetzen können - auf Hunderte von Millionen Dollar belaufen.

Aus Intel-Sicht schlimmer noch wären die einstweiligen Verfügungen, die die Kontrahenten erwirken wollen. Dem kalifornischen Halbleiterproduzenten soll untersagt werden, in den aktuellen Prozessorgenerationen Pentium, Pentium Pro und Pentium II weiter die beanstandeten Technologien zu nutzen. Das käme praktisch einem Verbot gleich, diese Chips ab sofort und künftig weiter zu vermarkten.

DEC hat zehn in ihren 64-Bit-Alpha-Prozessoren benutzte Technologien angeführt, die Intel unrechtmäßig in den CPUs verwenden soll. Die Patente beziehen sich unter anderem auf Technologien für das Cache-Speicher-Management und für die Auslegung sogenannter Sprungvorhersagen (branch prediction). DEC hatte diese Prozessortechnologien zwischen 1988 und 1996 beim US Patent and Trademark Office als Patent angemeldet.

Cyrix reklamiert für zwei von der gleichen Behörde als Patent zugelassene Technologien Urheberrechtsschutz, den Intel verletzt haben soll. Sie beziehen sich auf das Stromversorgungs-Management sowie offensichtlich auf die Art und Weise, wie der sogenannte Primär-Cache-Speicher aufgebaut ist, der Bestandteil des Prozessors ist.

Analysten gehen davon aus, daß DECs Attacke nur vordergründig gegen die bestehenden Chip-Generationen gerichtet ist. In Wirklichkeit wolle Chairman und CEO Robert Palmer die von Intel und Hewlett-Packard (HP) gemeinsam betriebene Entwicklung des 64-Bit-Prozessors mit Codenamen "Merced" (auch "IA64") behindern. Dieser Chip soll möglicherweise schon Ende kommenden Jahres in Mustern auf den Markt kommen. Mit ihm dürfte eine neue Ära in der Geschichte der PC-Prozessoren eingeläutet werden.

DECs ebenfalls in 64 Bit ausgelegter Alpha-CPU kommt der Merced denkbar ungelegen: Wie die Alpha-Chips werden auch die IA64-Prozessoren das Betriebssystem Windows NT unterstützen. Der Merced dürfte DEC somit im heute schon sehr unbefriedigend verlaufenden Alpha-System-Geschäft weitere Probleme einbringen.

Rechtsexperten sehen für die beiden Klageführer kaum Chancen auf einen durchschlagenden Erfolg vor Justitia. Linley Gwennap, Chefredakteur des US-Fachblattes "Microprocessor Report", meinte, die Verhandlungen vor Gericht würden sich ewig hinziehen. Bis zu einem möglichen Ergebnis im Sinne von DEC könnte so viel Zeit vergehen, daß etwa der jetzt beanstandete Pentium-Prozessor von Intel schon längst nicht mehr ausgeliefert würde.

Einige Analysten können sich auch vorstellen, daß Intel gegen DEC und Cyrix zum Mittel der Gegenklage greift. Das Unternehmen würde in diesem Fall versuchen, in DEC- und Cyrix-Prozessoren solange nach vermeintlichen Intel-Technologien zu suchen, bis es fündig werde.