Internes Papier erklärt 8870/Quattro-Systeme zum Auslaufmodell

Schwere Prüfung für Comet-Anwender

20.09.1996

In der "Vertriebsinformation Nr. 61" vom 20. Mai, die unter anderem an die SNI-Vertriebspartner und den SNI-Vertrieb adressiert war, hatten die Westfalen den Zeitplan für die Einstellung von Support-Dienstleistungen für verschiedene Comet- Releases festgeschrieben.

Top 1 und Version 3.0 unterstützt die SNI danach nur noch bis zum 31. Dezember 1996. Das Aus für die Versionen Master 5 (M5) und Top 2 wird genau ein Jahr später kommen. Die momentan aktuellste Version, Comet 3.1, wartet SNI ab dem 31. Dezember 1998 nicht mehr.

Ab 1999 wird es dann nur noch eine Comet-Version geben, für die das bayerisch-westfälische Unternehmen beziehungsweise dessen zirka 30 deutsche Werksvertretungen Support leisten werden. Hierbei handelt es sich um das in dem Schreiben noch als Comet Version 3.1 ff genannte Release 3.2. Dieses wird nach Aussage von Ekhard Schumann, Leiter eines neugegründeten Comet-Teams in Paderborn, Ende Oktober zur Auslieferung freigegeben.

Brisanz erhält die Vertriebsinformation durch einen Passus, der den Eindruck vermittelt, Siemens-Nixdorf wolle die proprietären 8870/Quattro-Rechner nun endgültig ausmustern und deren Anwender mit einigem Nachdruck auf Unix-Maschinen zwingen. Danach wird "die nächste aktuelle Comet-Version 3.1 ff nicht mehr auf 8870/Quattro- Systemen ablauffähig sein".

Das heißt, "die Comet-Version 3.1 ist der letzte freigegebene Stand auf diesen Systemen und wird nach heutiger Planung zum 31. Dezember 1998 aus der Maintenance gehen". Im Klartext würde diese Formulierung bedeuten, daß sich die bereits in vier Wochen verfügbare Comet-Version auf der Hardware, die von der überwiegenden Mehrheit der Comet-Anwender benutzt wird, nicht mehr betreiben läßt.

Gegen eine solche Darstellung wendet sich SNI-Manager Schumann vehement: "Diese Aussage ist heute nicht mehr richtig." Da müsse man eine Richtigstellung an den SNI-Vertrieb herausgeben. Danach befragt, wie es denn zu einer derart mißverständlichen Aussage kommen konnte, erklärte Schumann etwas umständlich, daß sich durchaus 8870/Quattro-Maschinen im Einsatz befinden könnten, deren "Bauzustand" die Ablauffähigkeit der Comet-Version nicht mehr garantiere. Dieses Problem habe es aber schon mit der Version 3.0 gegeben.

"Man wird jetzt im Einzelfall prüfen müssen", so Schumann, "ob die Bauzustände alter Quattro- oder 8870-Maschinen für die neue Comet- Version 3.2 immer noch hergestellt werden können." Falls nicht, müsse sich der Anwender ein neues Quattro-System kaufen. Schumann räumte allerdings ein, daß dies nur noch wenig Sinn mache, da sich mit einem Unix-System der "RM200"-, "RM300"- oder "RM400"-Klasse ein wesentlich besseres Preis-Leistungs-Verhältnis erzielen lasse.

Hintergrund für SNIs Release-Politik ist nach Firmenaussagen in erster Linie die Jahr-2000-Problematik. Ihr begegnet man mit der Comet-Version 3.2 "weitgehend", so Schumann.

Waren die Comet-Releases 3.0 und 3.1 nach seinen Worten zumindest bezüglich der Module Rechnungswesen und Anlagenbuchhaltung schon auf die Datumsumstellung eingerichtet, so seien in der Version 3.2 nun auch die klassischen PPS-Module wie Lagerwirtschaft, Fakturierung etc. gerüstet. Die Module Lohn und Gehalt, bei denen die Zeitenwendeproblematik noch nicht relevant ist, werden zuletzt umgestellt.

Unklar ist, ob das Unternehmen mit seiner Dienstleistungsstrategie nicht wenigstens Druck auf seine Werksvertretungen ausüben will: Die verdienen an der Wartung von 8870/Quattro- Systemen im Vergleich zu Unix-Maschinen nämlich erheblich mehr. Auch muß Siemens-Nixdorf daran gelegen sein, den Wirrwarr unterschiedlicher Comet-Releases auf einen Versionsstand einzufrieren.

Comet 3.2: Old-fashioned Technology

Einfrieren bedeutet, daß SNI weiterhin ihre altbackene Softwaretechnologie nutzt, was auch von Schumann nicht bestritten wird: Mit der Comet-Version 3.2 handeln sich treue 8870/Quattro- Kunden "Old-fashioned Technology" ein. Wie bei der zugrundeliegenden Basic-Interpreter-Struktur nicht anders zu erwarten beziehungsweise möglich, werden Comet-Anwender auch weiterhin auf moderne Techniken wie grafische Benutzeroberflächen, Datenbankanbindung oder objektorientierte Ansätze verzichten müssen.

Zudem, so ein leidgeprüfter Insider gegenüber der CW, wisse man nie, was die SNI vorhabe. Jedes Jahr gebe es einen neuen Ansatz, neue Werkzeuge, neue Hoffnungen - und dann werde alles wieder eingestampft. SNIs Produktpolitik hänge immer von den Entscheidungsträgern ab, die gerade etwas zu sagen hätten.

Comet-Anwender hingen in der Luft und seien ratlos, was sie tun sollen. Einerseits seien sie mit Comet eigentlich zufrieden. Andererseits hören sie immer wieder, daß Comet keine Alternative zu modernen Lösungen ist.

Bei all dieser Ungewißheit wüßten Comet-Anwender eines aber ganz sicher: Wer sich durchringe, seine veraltete SNI-Plattform gegen ein komplett neues PPS-System auszuwechseln, müsse zuerst einmal eine halbe Million Mark auf den Tisch legen: "Und das kann sich heute kein mittelständisches Unternehmen mehr leisten".