Schwarz-Schilling gibt weitere Fernmelde-Investitionen bekannt:Telekom greift in der Ex-DDR auf die Hilfe von Privaten zurück

14.12.1990

BONN (CW) - Spätestens seit die ostdeutsche Telefonmisere auch als Wahlkampfthema herhalten mußte, läuft der Deutschen Bundespost Telekom die Zeit davon. Allein im nächsten Jahr will das Postministerium zusätzlich 1,8 Milliarden Mark bereitstellen, um jetzt mit Hilfe privater Unternehmen und der Bundeswehr die größten Engpäße im Telefonverkehr in und mit den neuen Bundesländern zu überwinden.

Einen explosionsartig gewachsenen Bedarf an Telekommunikations-Dienstleistungen in der ehemaligen DDR konstatierte Postminister Christian Schwarz-Schilling vor der Presse in Bonn. Mit einem Maßnahmenkatalog für die weitere Beschleunigung des Ausbaues des Telefonnetzes soll unabhängig von der bisherigen Planung "Telekom 2000" die Erneuerung der maroden Infrastruktur durch zusätzliche Anstrengungen vorangetrieben werden. Kernstücke des Zusatzprogrammes sind "Turnkey-Projekte", die Erstellung schlüsselfertiger, regionaler Telefonnetze durch die private Industrie. Profitieren wird davon zunächst der gewerbliche Sektor, da in der Telekom-Planung wirtschaftliche Ballungszentren Vorrang genießen.

War die Beteiligung privater Unternehmen im TK-Geschäft für den obersten Dienstherrn der Bundespost bisher kein Thema, vollzog nun die Telekom angesichts des immer stärker werdenden politischen Drucks die Kehrtwendung. Bereits Mitte November vereinbarte das Post-Unternehmen mit den privaten TK-Anbietern ANT, Detewe, SEL und Siemens aufgrund von Absichtserklärungen den eigenverantwortlichen Aufbau übergabefertiger Anschlußnetze. Neben den im Regelausbauprogramm vorgesehenen

400 000 Neuanschlüssen sollen so 1991 zusätzlich etwa 230 000 Beschaltungseinheiten entstehen.

Das jeweilige Unternehmen trägt als Hauptauftragnehmer die Gesamtverantwortung für alle erforderlichen Ausbaustufen des Anschlußnetzes bis hin zu einer definierten Schnittstelle zum Overlay-Netz der Telekom. Dem Ministerium zufolge wird den Firmen in ihrer Konzeption große Selbständigkeit eingeräumt, um eine rasche Realisierung zu ermöglichen. So soll bis auf weiteres auch mit Container-Vermittlungsstellen und oberirdischen Leitungen gearbeitet werden.

Mit der Einbeziehung privater Ressourcen wird das kommende Jahr laut Schwarz-Schilling einen Zuwachs von etwa 630 000 Beschaltungseinheiten und damit von mehr als 500 000 Telefonanschlüssen bringen. Das bedeutet, so der Minister weiter, eine Verzwanzigfachung gegenüber der Zahl der Neuanschlüsse im Jahr 1989, als die Telekom nach eigener Darstellung noch auschließlich beratende Funktion bei den ostdeutschen TK-Belangen hatte.

Bundeswehr-Ressourcen kein Tabu-Thema mehr

Um den sehr kurzfristig entstandenen Bedarf hinreichend abzudecken, arbeitet die Telekom bis auf weiteres mit Fernschaltungen von Telefonanschlüssen und Mietleitungen an das Westnetz. Auch Ressourcen der Bundeswehr sind kein Tabu-Thema mehr. Im Gegensatz zu Telekom-Chef Ricke, der noch jüngst in einem Spiegel-Interview einen Bundeswehreinsatz bei der Verkabelung Ostdeutschlands als wenig hilfreich

abqualifizierte, kündigte Schwarz-Schilling jetzt die "Zweckentfremdung der Truppe" an. Schon seit geraumer Zeit wurden mit der Hardthöhe Gespräche geführt mit dem Ergebnis, daß die Bundeswehr nun Kapazitäten in Form von Container-Vermittlungsstellen und Montagetrupps für oberirdische Verkabelung bereitstellt.

Ferner sollen auch Liegenschaften der ehemaligen Nationalen Volksarmee Verwendung finden. Teile eines flächendeckenden Fernsprech- und Fernschreibnetzes der Volksarmee für die DDR-Staats- und Parteiorgane werden jetzt für die Anbindung der 15 Außenstellen der Treuhandanstalt an die Zentrale in Berlin/Ost genutzt. Selbst die aus Sicht der Telekom veraltete analoge Vermittlungstechnik hat noch nicht ausgedient. Für mehr als 180 000 Anschlußeinheiten sollen 1991 nach Plänen der Bundespost analoge Vermittlungsstellen einspringen, unabhängig von den 250 000 Beschaltungseinheiten über digitale Vermittlungsstellen und den 230 000 Anschlußmöglichkeiten aus dem Zusatzprogramm der Turnkey-Projekte.

Um nicht zu einem Hindernis für den erwarteten Investitionsboom in den neuen Bundesländern zu werden, hat der Zeitfaktor beim Aufbau der Telekommunikations-Infrastruktur nach den Worten des Ministers Priorität. Dies zeitigt zwangsläufig strukturpolitische Auswirkungen in Form drastisch vereinfachter Vergabeverfahren an die private Industrie. Erstens sollen vor Ort verstärkt regionale, mittelständische Unternehmen den Vorrang bei Projekten mit entsprechender Größenordnung bekommen. Zweitens wird bei größeren Aufträgen nicht der billigste, sondern der in der Realisierung schnellste Anbieter den Zuschlag erhalten. Mit den Worten: "Je früher der Kunde sein Telefon nutzen kann, desto früher kommen auch die notwendigen Einnahmen herein", stellte Schwarz-Schilling etwaige betriebswirtschaftliche Bedenken bezüglich der Vergabepolitik in den Hintergrund.

Ganz entschieden wandte sich der Minister jedoch gegen eine grundsätzliche ordnungspolitische Debatte. Für ihn stelle sich die Frage nach einer vollständigen Aufhebung des Netzmonopols der Telekom nicht. Seiner Ansicht nach könne nur die Telekom die kurzfristig zu lösenden Probleme erfolgreich angehen. Private Anbieter -verfügen nicht über die dafür notwendigen Kapazitäten, werden aber bei Projekten, wo es sinnvoll erscheint, weiterhin zum Zuge kommen.

Kabeltromme statt Revolver

Nun ist das marode TK-Netz in der ehemaligen DDR auch noch zum Politikum geworden. Überraschend kommt dies nicht, war doch die Bundespost allzulange bestrebt, die Tragweite der Misere mit forscher Lösungskompetenz zu überdecken. Spätestens seit jedoch der Bundeskanzler im Wahlkampf das Problem gewissermaßen zur Chefsache erklärte, ist die Telekom in Zugzwang geraten.

Seit dem Fall der Mauer standen private Anbieter Spalier, um die eminenten TK-Bedürfnisse der neuen Bundesbürger zu befriedigen, inklusive der Erwartung schneller und immenser Erträge, versteht sich. Davon unbeeindruckt, beharrte die Telekom auf ihrem Monopolanspruch.

Auch die vermeintliche Rücksichtnahme auf ihren vormals östlichen Partner, die Deutsche Post, trug sicher dazu bei, daß der Rückgriff auf private Ressourcen bis jetzt ein Tabu darstellte. Um so erstaunlicher nun die plötzliche Kehrtwendung. Wie Kaninchen zauberte die Telekom gleichsam über Nacht projektgebundene Vereinbarungen mit privaten Unternehmen aus dem Zylinder. Selbst Spezialeinheiten der Bundeswehr rücken jetzt aus, um mit Kabeltrommel und Spitzzange an der östlichen TK-Front friedlich ihren Mann zu stehen.

Ob plötzliches Problembewußtsein oder Einlösung von Wahlversprechen - späte Erkenntnis ist allemal besser als keine. Dem gewerblichen und privaten Anwender nützt keine ordnungspolitische Debatte, er will nicht wählen zwischen Telekom oder Siemens etc., er will ganz einfach mir telefonieren.