Jimmy Wales im CW-Interview

Schulen ans Wiki

07.04.2009
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Objektivität lernen

CW: "Social Media" als neues Pflichtfach?

WALES: Das finde ich sehr wichtig. Nicht nur, um den Nachwuchs auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft vorzubereiten, sondern auch, um die Grenzen jedes einzelnen Mediums aufzuzeigen. Die Kinder müssen lernen, verschiedene Medien gegeneinander abwägen zu können. Früher gab es nur Zeitungen, Radio und Fernsehen. Mittlerweile haben wir Milliarden Web-Seiten, Blogs, Wikis, Online-Lexika, Tweets und mehr. Jeder Kanal bringt eigene Informationen und Ansichten von allen Standpunkten aus. Keine ist zu hundert Prozent richtig und vollständig. Das eigene Urteilsvermögen, wie viel ich von welchem Medium in meinen eigenen Wissensschatz übernehmen kann und will, muss immer besser geschult werden.

CW: Dennoch gibt es immer noch riesige Quellen im Web, die nur wenig Beachtung finden. Was halten Sie vom Wikileaks-Projekt?

WALES: Ich finde es sehr interessant, auch wenn die Initiatoren noch viele Fehler machen und sich nicht immer an gesetzliche Bestimmungen halten, was die Veröffentlichung von Inhalten angeht. Sie brauchen Standards, die die Seriösität von anonymen Quellen regeln und die sie gegen juristische Fallstricke schützen - auch bei Wikipedia hatten wir anfangs Probleme, die wir jedoch recht schnell in den Griff bekommen haben, weil wir klare Grenzen gezogen und verbindliche Regeln aufgestellt haben.

CW: Wann wird die Zensur weltweit abgeschafft und alles Wissen für jedermann frei zugänglich?

WALES: Ich bin vorsichtig optimistisch. Ich denke, dass selbst in Ländern wie China über kurz oder lang die Zensur des Internets immer weniger eine tragende Rolle spielen kann. Russland ist da schon eher gefährdet, auch wenn es derzeit kaum Probleme gibt. Je mehr Menschen dort jedoch verarmen und ihrem Ärger im Netz Luft machen, desto eher wird die Regierung in Versuchung geführt werden, Maßnahmen zu ergreifen.