Schüler freuen sich über Multimedia

27.09.2002
Die bayerische Landeshauptstadt ist eine von zehn „Regionen“ weltweit, die den Schulunterricht am konsequentesten mit moderner Technik bereichern. Das ergab eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Eine Münchner Förderschule profiliert sich seit kurzem als Surfschule. Achtjährige legen sich mächtig ins Zeug, um in einer Prüfung einen Computerführerschein zu ergattern. Denn der berechtigt zum Surfen an schuleigenen Rechnern. Auch in Deutsch und Mathe werden die ABC-Schützen künftig am Bildschirm arbeiten. Geplant ist der Einsatz spezieller Lernsoftware. Die Programme erkennen die Rechtschreib- oder Rechenschwächen und bieten den Schülern immer wieder passende Übungen an - bis der schwierige Stoff kapiert ist.

Am Münchner Thomas-Mann-Gymnasium stellen elfjährige Jungen im Biologieunterricht ein „virtuelles Heft“ zum Thema „Wildtiere“ zusammen. Kleine Teams formulieren zu einem Tier eine „Zusammenfassung aus Print- und Internet-Quellen“. Antonio, Gunnar und Laurin lernen nicht nur den Fuchs und die Waldökologie kennen, sondern auch die gezielte Suche nach altem und neuem Wissen.

Französisch lernen mit dem PC

An der Berufsoberschule für Wirtschaft in München eignen sich junge Erwachsene innerhalb von zwei Jahren jede Menge Französisch an. Ihre Lehrerin Helga Schweigert zieht alle Register. Zusätzlich zu den rasch erschöpften Übungen aus dem Lehrbuch entwirft sie mit dem leicht erlernbaren Programm „Hot Potatoes“ Aufgaben für das selbständige DV-gestützte Lernen. Gerade diese Zusatzangebote wie Multiple-choice-Abfragen und anspruchsvolle Einsetzübungen „kommen generell gut, bei einer Reihe von Schülern sogar hervorragend an“, berichtet Schweigert. Der Lernerfolg hängt oft direkt mit dem Zusatzangebot zusammen. Verzichtet die Pädagogin auf ihre Übungen, registriert sie wenig später bei manchen sogar einen Abfall der Leistung.

Viele Münchner Schulen entwickeln und erproben derzeit das „mediengestützte Lernen und Lehren“. Das ist das Ergebnis einer gezielten Politik des Stadtrats. In allen 330 öffentlichen Schulen soll eine neue IT-Infrastruktur aufgebaut werden. Jede Lehrkraft soll an jedem Ort, zu jeder Zeit und in jedem Fach die Technik und die Medien einsetzen können, die für einen attraktiven Unterricht notwendig sind. Bis 2004 bewilligten die Stadträte knapp 120 Millionen Euro für die „EDV-Vollausstattung“ der öffentlichen Schulen. Ab 2005 rechnet die Stadt mit rund 40 Millionen Euro an jährlichen Kosten für System-Management, Call Center und Ersatzbeschaffungen. Zuständig für die Realisierung der Beschlüsse ist das Projekt Information Kommunikation PIK im Schulreferat der Stadt.

PIK-Projektleiter Horst Tahetl-Matheis wirbt bei Vorträgen in ganz Deutschland für den Münchner Weg: „Als einzige Kommune in Deutschland verfolgen wir ein offenes und ehrliches Konzept beim Aufbau einer pädagogisch brauchbaren IT-Infrastruktur in den Schulen.“ Der Studiendirektor kritisiert massiv die gängige Praxis, „in einer Anschubfinanzierung billig über einen Sponsor 20 Laptops zu beschaffen und die tatsächlichen Kosten zu verschweigen: Folgekosten für Reparatur, Administration, Software-Updates und den Austausch veralteter Geräte“.

Gegenwärtig findet in der bayerischen Landeshauptstadt ein Wettlauf gegen die Zeit statt. Am Ende des Jahres 2004 müssen alle Schulen vernetzt sein. Die derzeit 26-köpfige PIK-Projektleitung kümmert sich mit Nachdruck um Pädagogik, Planung und Technik. Zehn dezentrale, für Stadtgebiete zuständige Servicestellen mit 45 Beschäftigten - vorwiegend Elektrohandwerker - installieren vor Ort in den Schulen die Kabel für zwei physisch voneinander getrennte Netze, ein Verwaltungsnetz und ein pädagogisches Netz. T-Systems liefert und wartet das Equipment, tauscht mit den städtischen Servicestellen defekte Geräte aus und baut mit der Projektleitung ein System-Management auf, das den zentralen Zugriff auf die verstreuten Geräte ermöglicht.

Erst Pädagogik, dann Technik

Am Pädagogischen Institut (PI) der Stadt wurde die Arbeit im Fachbereich Neue Medien intensiviert. Unter Leitung der Berufsschullehrerin Uta Conrad kümmern sich Lehrer, die zeitweise vom Unterricht freigestellt wurden, um die Beratung der Schulen, die Fortbildung der Lehrkräfte, die Vermehrung von Unterrichts- und Selbstlernmaterialien sowie den kommunalen Bildungsserver, der Aktuelles, Ideen und Projekte dokumentiert. Generelles Ziel ist es, „den Unterricht mit neuen Medien lebhaft, eigenverantwortlich, schülerzentriert und abwechslungsreich zu gestalten“, so Conrad.

Zu Beginn des Schuljahres 2002/2003 war bei rund 100 Schulen die Ausstattung mit Hardware abgeschlossen. Außerdem waren 74 Prozent der Baumaßnahmen im Gange oder beendet. Bevor an einer Schule der erste Computer installiert wird, müssen die Lehrer Hausaufgaben machen. Sie haben festzulegen, welche Lehrplaninhalte und Projekte sie mit Medienunterstützung realisieren wollen. Daraus entwickelt ein Team an der Schule einen „pädagogischen Technologieplan“. Erst wenn die Lehrerkonferenz einem solchen Plan zugestimmt hat, kümmert sich die PIK-Projektleitung um die Finanzierung und Realisierung der Ideen. Meist zieht sich die Installation über drei Jahre hin. Die Geräteausstattung soll kontinuierlich mit der Erfahrung der Lehrer wachsen.

Im Gegenzug zur Technologieplan-Entwicklung bieten die PIK-Verantwortlichen den Lehrern ein hohes Maß an „Ausfallsicherheit“. Der pädagogische Mitarbeiter im PIK-Projekt Anton Steiger verweist vor allem auf „professionelle Verteilungsmechanismen“. Fällt ein gerade im Unterricht benötigter Server aus, genügt ein Anruf, und dann setzen geschulte Fachleute den Server innerhalb von wenigen Stunden neu auf. Etwas länger dauert es bei einem Zusammenbruch der Hardware, doch nach den geltenden Service-Level-Richtlinien muss T-Systems eine kaputte Workstation innerhalb von zwei Tagen reparieren.

Neuland betreten die PIK-Leute mit der Entwicklung einer pädagogischen Oberfläche. Dieses Web-Frontend soll künftig die Lehrer im computergestützten Unterricht bei Routinearbeiten entlasten, erklärt Steiger. Die pädagogische Oberfläche ermöglicht es, elektronische Dokumente auszuteilen, bearbeitete Aufgaben zur Korrektur einzusammeln und den Zugriff auf das Internet und die Drucker zu steuern. Diese Software wird seit Beginn des neuen Schuljahres in vier Schulen getestet.

„Der Teufel steckt im Detail“

Auf der Suche nach den Indikatoren, die dazu führen, dass Schüler ein hohes Maß an Medienkompetenz entwickeln, hat Oliver Vorndran, Projektleiter Bildung und Medien bei der Bertelsmann-Stiftung, weltweit fünf auf diesem Gebiet führende Länder identifiziert (USA, Großbritannien, Finnland, Australien und Deutschland). Experten aus diesen Ländern nannten dann jeweils zwei führende Regionen. Leverkusen und München kamen als deutsche Städte unter die ersten Zehn. Die internationale Benchmarking-Studie „IT in Schulregionen“ wird noch in diesem Jahr veröffentlicht.

Die Bertelsmann-Studie ist eine unabhängige Bestätigung für das Münchner Konzept. Doch die PIK-Verantwortlichen ruhen sich auf diesem Erfolg nicht aus. Gerhard Mayer, stellvertretender Projektleiter, berichtet über Probleme, die noch zu lösen sind. An erster Stelle nennt er Zeitdruck. Es sei schwierig, innerhalb von vier Jahren 330 Schulen komplett zu vernetzen, auszustatten und zu administrieren. „Der Teufel steckt im Detail“, so Mayer.

Das PIK-Projekt kann auch bestimmte Ansprüche nicht erfüllen. So ist es derzeit nicht möglich, etwa 1000 Softwareprogramme - wie von vielen Lehrern und Schülern gewünscht - zu skriptieren und damit für die Verteilung im Netz tauglich zu machen. Ungelöst ist ferner die Bewertung und Auswahl von Lernsoftware. Bei dem riesigen Angebot auf dem Markt ist es auch für das Münchner Schulreferat schwierig, die Nadel im Heuhaufen zu finden. (hk)

Fotoquelle: IBM