"Schreib mal wieder" ist in

10.11.1995

Am Sinn oder Unsinn von E-Mail scheiden sich noch heute die Geister. Waehrend das eine Lager die elektronische Post als unverzichtbare digitale Kommunikationsform preist, verdammen Gegner sie als ein steriles, inhumanes Mittel zum Dialog oder aber als ineffizientes Arbeitsmedium. Egal wie man ueber die Sache denkt, unbestritten ist, Message-Systeme haben sich mittlerweile etabliert.

Schon heute werden in den Vereinigten Staaten mehr E-Mails verschickt, als der US Postal Service regulaere Briefe befoerdert. 30 Millionen Anwender kommunizieren in den USA auf dem elektronischen Postweg, 23 Millionen davon an ihrem Arbeitsplatz. Summa summarum bringt jeder Mailer im Business 160 Schreiben auf den Weg. Auf den ersten Blick eine horrende Zahl, die sich allerdings rasch relativiert. Im Durchschnitt wird ein Brief naemlich an vier Adressaten gerichtet. Pro Woche werden also 40 Nachrichten verfasst, macht acht Stueck am Tag.

Dennoch klagen viele Anwender auf Kongressen ueber die Message- Flut, die sich ueber ihre Mailboxen ergiesst, - ganz zu schweigen von dem postalischen Muell. An diesem Punkt setzt auch eine Kritik der Gegner an, die in E-Mail lediglich Tratsch-Applikationen sehen, mehr Effizienz durch Mail-Systeme allerdings bestreiten.

Gewiss, das bislang negative Image war nicht unbegruendet, das Einsatzszenario der Message-Plattformen beginnt sich jedoch zu aendern. Mehr und mehr Unternehmen entdecken sie als strategisches Mittel zur Optimierung von Geschaeftsprozessen. Applikationen fuer den Austausch von Handelsdaten (EDI), Workflow, Termin-Management und Datenbankabfragen werden in Mailing-Loesungen integriert, die ihnen als Transportmedium dienen. IT-Strategen versprechen sich davon schnellere Reaktions- sowie Entwicklungszeiten und damit Wettbewerbsvorteile.

Doch der Preis, den Grossunternehmen heute dafuer zahlen, ist sehr hoch. Die Integration von unterschiedlichen Message-Systemen im Enterprise Network ist nur durch kostspieliges Equipment sowie hohen administrativen Aufwand moeglich. Beide Faktoren verschlingen einen beachtlichen Teil der Budgets und konterkarieren damit einen wesentlichen Vorteil des preisguenstigen Mediums E-Mail.

Schuld daran sind die stark proprietaeren Strukturen der Message- Systeme, die in der Regel eigene Adress- und Verzeichnisformate aufweisen. Der Zugang zu anderen Welten wird dadurch - wie es scheint, von den Herstellern beabsichtigt - unnoetig erschwert.

Selbst internationale Standards wie X.400 und X.500 haben daran nichts geaendert. Kein Wunder, dass die Administratoren lautstark nach einheitlichen Spezifikationen rufen. Anbieter, die solche Standards nicht realisieren, will die European Electronic Messaging Association (EEMA) kuenftig nicht mehr empfehlen. Anwender sollten sie ebenfalls boykottieren, gemaess dem Slogan der Post: "Schreib mal wieder" - dann allerdings auf Briefpapier.