Mit Innovations-Management wird Vaillant fit für den Wettbewerb

Schnellere Entwicklung trotz geringerer Ressourcen

03.12.1999
REMSCHEID (qua) - Statt drei Jahre dauert die Entwicklung neuer Produkte bei Vaillant GmbH & Co. in Remscheid nur noch 18 Monate - bei gleichzeitiger Halbierung der Entwicklungskapazitäten. Diesen Fortschritt verdankt das mehr als ein Jahrhundert alte Familienunternehmen dem ausgeklügelten Management seines Innovationsprozesses.

"Aktives Zuhören, aktives Mitwirken, ausreden lassen, Offenheit, Emotionen haben Vorrang, keine Abqualifizierung, Gleichbehandlung, Gruppen- vor Einzelinteresse, gemeinsame Verantwortung für das Ergebnis, konsensorientiert." Diese Stichworte hängen als "Verhaltensregeln" im Besprechungsraum des Vaillant-Stammhauses. Sie spiegeln den neuen Geist, der seit etwa drei Jahren durch das Heiztechnik-Unternehmen weht.

Wie andere alteingesessene deutsche Familienunternehmen mußte auch Vaillant in den vergangenen Jahren feststellen, daß der europäische Markt nicht nur zusätzliches Kundenpotential, sondern auch neue Mitbewerber bedeutet. Beispielsweise gab es im Bereich Gas-Wandheizgeräte bis 1990 nur fünf ernstzunehmende Konkurrenten, 1998 waren es mehr als 50. "Das brachte in den letzten fünf Jahren einen Preisverfall um 25 Prozent mit sich", klagt Heinz-Jörg Brecker, in der Geschäftseinheit Umlaufwasserheizer angesiedelter Leiter Programm-Management. Folglich habe Vaillant mit stagnierenden, ja sogar rückläufigen Umsätzen und schwindenden Margen zu kämpfen.

Deshalb entschloß sich das Unternehmen vor etwa vier Jahren, seine bis dahin zentrale und funktionsorientierte Struktur grundlegend zu ändern, um flexibler und schneller auf den Markt reagieren zu können. Seither orientiert sich die Unternehmensstruktur nicht mehr an Funktionen, sondern an Prozessen. Ein Großteil der bisherigen Zentraleinheiten, beispielsweise Marketing sowie Forschung und Entwicklung, wurde in die Geschäftseinheiten eingegliedert, so daß die Produkte und die damit verbundenen Prozesse jetzt beim jeweiligen Geschäftsbereich liegen.

Im Rahmen der Prozeßorientierung entwickelte Vaillant ein unternehmensweites Konzept für das Qualitäts-Management. So steht der Begriff "Vaillant Exzellenz" für die Neuorganisation sämtlicher Prozesse mit den Zielen: mehr Produktqualität, höhere Produktivität, bessere Ausrichtung auf die Kunden und geringere Kosten. Die Konsequenzen reichen von der One-Piece-Flow-Fertigung - keine Fließbandarbeit! - über den Verkauf im Team bis zur Jobrotation.

Für die Mitarbeiter bedeutet das vor allem: mehr Eigenverantwortung, also auch Verpflichtung. Allerdings bekamen sie auch Methoden an die Hand, um die Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, zu lösen.

Um die Belegschaft in die neue Unternehmenskultur einzuweisen und im Umgang mit den zugehörigen Methoden zu schulen, legte Vaillant im vergangenen Jahr ganze Produktlinien und sogar die Administration für jeweils drei bis fünf Tage still. Die im Zwei-Schichten-Betrieb eingesetzten Werksangehörigen holten die verlorene Zeit durch Überstunden auf; im Verwaltungsbereich wurde mit Hilfe von Vertreterregelungen ein Notbetrieb aufrechterhalten. "Das hat uns 800000 Mark gekostet, aber die haben wir wieder reingeholt", beteuert Brecker.

Eine wichtige Rolle bei der Selbsterneuerung des Traditionsunternehmens spielt der "Vaillant Innovationsprozeß" (VIP). Er beschäftigt sich mit der Entwicklung eines neuen oder der Veränderung eines vorhandenen Produkts vom Erfassen der Kundenanforderungen bis zur Markteinführung und ist damit den anderen beiden Hauptprozessen, Bereitstellung und Vermarktung, vorgeschaltet.

Um zunächst einmal herauszufinden, was überhaupt verändert werden soll, sammelt und analysiert Vaillant kontinuierlich marktrelevante Daten. Das geschieht größtenteils "von Hand". Softwaregestütztes Data-Mining spielt dort noch keine Rolle; die Marketing-Experten lassen sich bei der Trendanalyse bislang nur vom Tabellenkalkulationsprogramm "Excel" und einigen darauf basierenden Tools helfen.

Ausgefeiltere Softwaretechnik kommt hingegen zum Einsatz, wenn eine unternehmensstrategisch bedeutsame Veränderung erkannt und die Innovation Gegenstand eines Projekts geworden ist. Um seine Projekte zu unterstützen, setzt Vaillant unternehmensweit ein PC-gestütztes Management-Werkzeug ein: den "Project Scheduler 6", kurz PS6, von der Scitor GmbH, Taunusstein. Es dient dazu, die Projekte und ihren jeweiligen Status im Unternehmen zu erfassen und weitestgehend sichtbar zu machen. Damit steht es symptomatisch für die Vaillant-eigene Firmenkultur, die Transparenz in den Mittelpunkt stellt. Auswahlkriterien für das Software-Tool waren, so der Vaillant-interne Projekt-Management-Spezialist Frank Matèrne, seine Multiprojektfähigkeit und die Möglichkeit, mit ihm beispielsweise die Daten zu den geleisteten Projektaufwänden an SAP R/3 zu übergeben, um sie dort zu verrechnen.

Darüber hinaus legte Vaillant Wert darauf, daß die Übernahme von Ist-Daten aus dem selbsterstellten Rückmeldesystem möglich ist. Letzteres dient dazu, die tatsächlich geleisteten Stunden und die - überwiegend von den Projektmitarbeitern selbst geschätzten - Fertigstellungsgrade projektübergreifend und mitarbeiterspezifisch einzugeben.

PS6 löste ein Produkt ab, das laut Matèrne ebenfalls bereits netzfähig war, aber nicht ohne Medienbrüche eingesetzt werden konnte, sondern riesige Papierstapel und einen extensiven Postverkehr notwendig machte. Zudem sei das Werkzeug sehr aufwendig zu bedienen gewesen.

An der aktuellen Lösung schätzen die Vaillant-Verantwortlichen, daß sie Kapazitätsaussagen ermöglicht, die sich bis auf einzelne Mitarbeiter herunterbrechen lassen. "Nur was sich messen läßt, kann auch verbessert werden", konstatiert Brecker.

Ursprünglich für 150 Projektleiter und 800 Mitarbeiter konzipiert, kommt das Tool nach den Personalkürzungen jetzt bei 100 Projektverantwortlichen und 300 Rückmeldern zum Einsatz. Zudem werden die aktuellen und geplanten Projekte sowie die Auswertungen der Ergebnisse auch im Intranet abgebildet, so daß sich die anderen Mitarbeiter einen Überblick über die Vorhaben verschaffen können.

Derzeit noch nicht verwirklicht hat Vaillant hingegen den direkten Link aus dem Intranet in das Projekt-Management-System. Das Tool läuft auf einem HP-UX-Server, der Windows-3.1-Clients bedient. Eine ODBC-Schnittstelle verbindet das Softwarewerkzeug mit einer relationalen Datenbank: Adabas D von der Software AG.

Doch die Tage von PS6 sind gezählt. Derzeit ist Vaillant damit beschäftigt, 2000 PCs auf Windows NT umzustellen. Wenn dieses Projekt - voraussichtlich zum Jahreswechsel - sein Ende gefunden hat, wird das Unternehmen von PS6 auf das 32-Bit-fähige Nachfolgeprodukt PS7 umsteigen müssen. Ziel der VIP-Projekte ist es, die Qualität des Outputs zu verbessern sowie die Projektkosten, sprich: die Durchlaufzeit, zu verringern. Innerhalb der vergangenen drei Jahre, so beteuern Brecker und Matèrne gleichermaßen, ist es Vaillant gelungen, ein neues Erzeugnis oder eine Produktveränderung innerhalb von 18 Monaten auf den Mark zu bringen. Zuvor dauerte dieser Prozeß ziemlich genau doppelt so lang.

Doch das Unternehmen will sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. So hat es als neues Ziel bereits die Reduzierung der Durchlaufzeit auf 15 Monate ausgegeben.

Vaillant will noch schneller auf neue Kundenanforderungen, beispielsweise den Trend zu umweltfreundlichen Formen der Energieerzeugung, reagieren können, um die Konkurrenz auf Abstand zu halten.

DAS UNTERNEHMEN

Keimzelle der Joh. Vaillant GmbH & Co. war ein Meisterbetrieb des Installationshandwerks, den besagter Johann Vaillant 1874 in Remscheid eröffnete. 20 Jahre später erhielt der Firmengründer das erste Patent - auf den Gasbadeofen "geschlossenes System". 1905 wurde unter dem Namen "Geyser" erstmals als wandmontiertes Modell gefertigt. Geräte zum Heizen und Warmwasserbereiten für die Energieträger Gas, Öl und Strom sowie solarthermische Anlagen zur Trinkwassererwärmung bilden das Produktportfolio des Traditionsunternehmens. Sein Markenzeichen, der Hasenkopf, feiert heuer sein 100jähriges Jubiläum. Das immer noch in Familienbesitz befindliche Unternehmen beschäftigte am 31. Dezember des vergangenen Jahres rund 5600 Mitarbeiter. Für 1998 meldete es einen Konzernumsatz von mehr als 1,8 Milliarden Mark, einen Jahresüberschuß von 50 Millionen Mark und eine sensationelle Eigenkapitalquote von 41,4 Prozent. Umsatz, Profit und Mitarbeiterzahl gingen gegenüber dem Vorjahr deutlich zurück - letztere liegt derzeit bei 5000 -, während die Eigenkapitalquote und der Pro-Kopf-Umsatz (323000 Mark) deutlich anstiegen.