AOK-Landesverband Stuttgart entschied sich für "Satellitkonzept":

Schneller Datenzugriff bei 25 Ortskrankenkassen

10.08.1984

STUTTGART (CW) - Mit ihrem Modell der verteilten Datenverarbeitung, das die Allgemeine Ortskrankenversicherung in Baden-Württemberg im Laufe der letzten vier Jahre bei insgesamt 25 Ortskrankenkassen "unter Dach und Fach" gebracht hat, präsentierte sich der AOK Landesverband Stuttgart kürzlich der Öffentlichkeit (siehe CW Nr. 30/84. Seite 4). Hauptvorteile des neuartigen Rechnerverbundes mit IBM-Systemen vom Typ 8100: ein besserer Kundenservice und beträchtliche Einsparungen.

Als sich die AOK-Oberen 1979 zur Anschaffung eines neuen Datenverarbeitungssystems entschlossen hatten sie zunächst die Qual der Wahl zwischen einer seinerseits favorisierten zentralen Lösung oder einem dezentral ausgerichteten DV-Konzept. Das Ergebnis ihrer Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen führte zu einem Kompromiß: Die von 1980 bis Ende letzen Jahres installierte Anlage weist beide im Gespräch befindlichen Komponenten auf. Dazu der Vorstandsvorsitzende des AOK-Landesverbandes Heinz Schell: "Bei uns werden die Daten zwar zentral gespeichert und geordnet, danach jedoch über einen weitgehend bedienungsfreien Rechner der einzelnen Kasse zur Verwendung verfügbar gemacht". Da die Kasse so Herr ihrer Daten bliebe, könne sie unmittelbar vor Ort den Kunden gegenüber ereignisorientiert handeln.

Ausschlaggebend für die Rentabilität des Systems ist laut AOK vor allen Dingen der Verzicht auf kostspielige Standleitungen und die Möglichkeit neben dezentraler computerunterstützter Dienstleistung übergreifende Aufgaben mit Hilfe hochintegrierter Stapelverarbeitungsprogramme und einem Großrechner lösen zu können.

Das im Rechenzentrum der AOK-Zentrale eingesetzte Programmpaket trägt die Bezeichnung "Informations- und Datenverarbeitungssystem" (IDVS). Es wurde vom AOK-Bundesverband der Ortskrankenkassen einheitlich für alle Ortskrankenkassen entwickelt. Zu seinen Anwendungsmöglichkeiten zählen unter anderem die Mitgliederbestandsführung Beitragseinzüge sowie Abführungen und die Versorgung der dezentralen Systeme. Insgesamt werden im RZ des AOK-Landesverbandes Stuttgart die Daten von 1,8 Millionen Mitgliedern und 1,2 Millionen Familienangehörigen gespeichert. Von rund 92 000 Arbeitgebern "fließen" jährlich 15 Milliarden Mark Gesamtsozialversicherungsbeiträge, die von Versicherten und Arbeitgebern gemeinsam aufzubringen sind, über diese Datenverarbeitungsanlage. Und pro Jahr kommen hier alles in allem 21 Millionen Erfassungssätze zusammen.

Auf der "lokalen" Ebene spielen sich in erster Linie die Datenerfassung und die Datenabfrage, aber in bestimmten Bereichen, wie der Leistungsberechnung und der Krankengeldgewährung, auch Verarbeitungen ab. Hierfür steht eine teilweise auf die Belange der baden-württembergischen AOK speziell zugeschnittene Software zur Verfügung. Wenn ein Versicherter beispielsweise von seiner Krankenkasse selber direkt erfahren möchte, wieviel Geld ihn die von seinem Zahnarzt vorgeschlagene Sanierung kostet, dann vollzieht sich die Berechnung dank der elektronischen Datenverarbeitung in Minutenschnelle.

Früher dauerte der entsprechende Vorgang mindestens eine halbe Stunde und erforderte oft langwieriges Aktenblättern. Folge: Der Kunde konnte nicht ereignisorientiert bedient werden, sondern mußte Wartezeiten in Kauf nehmen. Auch für den AOK-Mitarbeiter ergeben sich aus der Sicht der Krankenkasse durch die computerunterstützte Dienstleistung Vorteile. Da ein einzelner Vorgang nicht mehr soviel "unproduktive Sachbearbeitung" mit sich bringe, können - so der Stuttgarter Landesverband - ihre Angestellten jetzt jeweils mehrere Aufgaben zusammen wahrnehmen. Dadurch würde die Tätigkeit bei der AOK abwechslungsreicher.

Der Zentralrechner ruft die im Satellitsystem gespeicherten Erfassungsangaben jeden Abend zur weiteren und übergreifenden Verarbeitung ab und überspielt alle für die jeweilige Ortskrankenkasse notwendigen Daten in aktualisierter Form noch während der Nachtstunden wieder an die dezentralen Kommunikationssysteme. Der Datentransfer erfolgt über ein Wählleitungsnetz. Zu Entlassungen hat die Einführung des neuen DV-Modells den Angaben des AOK-Landesverbandes zufolge nicht geführt, wohl aber könne man auf Neueinstellungen von Arbeitskräften verzichten. Wie Heinz Schell in diesem Zusammenhang bekräftigt, seien den Krankenkassen im Zuge neuerlicher Gesetzesänderungen wie dem 22. Rentenanpassungsgesetz, dem Kostendämpfungsgesetz und dem Haushaltsbegleitgesetz zusätzliche Aufgaben übertragen worden, die ohne Computereinsatz nur mit Hilfe von mehr Personal bewältigt werden könnten. Der AOK-Landesverbandsvorsitzende: "Die Durchführung der vielen Gesetze mit knappem Vorlauf zwischen Ankündigung und Inkrafttreten hätte ohne Datenverarbeitung mit Sicherheit einen überproportionalen Personalzuwachs bedeutet. Durch die Verlagerung auf die Maschine wurde der erhebliche Umfang der Mehrarbeit weitgehend aufgefangen".

Zur Abwicklung des regen Kundenbetriebs im AOK-Landesverband werden auch eine Reihe von Arbeitsplatzcomputern eingesetzt. Langfristig gesehen sollen diese Mikros darüber hinaus in den von der AOK noch geplanten "mobilen Geschäftsstellen" für mehr Bürgernähe sorgen. So ist beispielsweise daran gedacht, Mikrocomputer in Rathäusern und Betriebsstätten von Arbeitgebern aufzustellen. In ferner Zukunft will die AOK sogar noch einen Schritt weiter gehen und ihre "Kundendienstler" zum Teil mit tragbaren Computern ausstatten. Zukunftsmusik ist bisher auch der AOK-Bildschirmtext-Service für Versicherte, Arbeitgeber und Vertragspartner Mittels Btx möchte die baden-württembergische Ortskrankenkasse über Leistungen, Beiträge, Öffnungszeiten und aktuelle Veranstaltungen berichten. Außerdem können die angeschlossenen Teilnehmer dieses Medium als elektronischen Briefkasten nutzen, indem sie zum Beispiel über Btx Krankenscheine, Formulare oder Info-Material anfordern. Schließlich und endlich kann man am Btx-Terminal auch Gesundheitstips einholen. Die bereits im Landesverband installierten Arbeitsplatzcomputer werden übrigens nicht nur für Sachbearbeiter, sondern auch für die Gewinnung von Führungszahlen eingesetzt. Mittels APL arbeiten die Mikros in der statistischen AOK-Datenbank anonymisiert gespeicherte Informationen aus den Fachbereichen "Mitglieder", "Beiträge", "Finanzen" und Vertragspartner grafisch auf. Die Bereitstellung der Führungsdaten geht dann dezentral vonstatten.

Den Angaben von Udo Patzelt zufolge, dem AOK-Referenten für dezentrale Datenverarbeitung, sprachen nach einem langwierigen Entscheidungsprozeß vielerlei Gründe für die Anschaffung eines IBM-Systems. Zunächst einmal habe sich die Krankenkasse von Nixdorf, Siemens und IBM Kostenvoranschläge und Leistungskataloge unterbreiten lassen. Untergliedert nach den Kriterien Lieferbedingungen, Hardwareleistungen, Softwareleistungen und Kosten wurden den drei zur Disposition stehenden Anbietern dann Punkte vergeben.

Udo Patzelt: "Dabei schnitt IBM besonders im Kostenbereich gut ab. Hier standen 122 Punkten für IBM nur 87 Punkte für Siemens und 72 Punkte für Nixdorf gegenüber." Den Entschluß für IBM habe man bisher nicht bereut, da sich das System als sehr leistungsfähig erweise, sehr ausbaufähig sei und die Wartung einwandfrei klappe. Und im Hinblick auf den Konkurrenten Siemens meint er: "Es ist gut, daß wir uns nicht für eine Siemens-Anlage entschieden haben, denn das für unsere Problemstellung der dezentralen Datenverarbeitung angebotene System der Reihe 600 war ganz offensichtlich ein Flop. Soweit ich weiß, ist dieses System auch nie auf den Markt gekommen."