DV-Chef muß Managementfähigkeiten beweisen:

Schleudersitz durch Kompetenz entschärfen

20.07.1984

WIESBADEN - Mitten in einer schwierigen Bewährungsprobe stehen derzeit die Computeranwender. Der Umstieg auf neue Technologien wie Online-Verarbeitung, Datenbanken, Verteilte Datenverarbeitung, Zentralisierung, Dezentralisierung und Mikrorechner zeigt, daß viele Problemlösungen ohne größere Schwierigkeiten mit Hilfe von Informationstechnologien zu lösen sind. Andererseits besteht jedoch die Gefahr, den Ganzheitsaspekt zu verlieren. Dem Wiesbadener Unternehmensberater Herbert Fossler geht es deshalb vor allem darum, "wer wann wo welche" Informationen benötigt.

Die Integration der anwendungsorientierten Informationstechnik ist die größte Herausforderung an die Betriebe, an das Management und an die EDV-Abteilung. Ein äußerst prekäres Unterfangen, denn wie nie zuvor stehen dabei die DV-Verantwortlichen inmitten der Kräftefelder, die von Herstellern, Anwendern, Managern und der eigenen Abteilung aufgebaut werden.

Einerseits hat sich in den Chefetagen die Erkenntnis durchgesetzt, daß die richtige Handhabung der Informationsverarbeitung entscheidend für Wettbewerbsvorsprung, Flexibilität und die Überlebensfähigkeit der Unternehmen ist. Andererseits ist auch leider die Feststellung richtig, daß von Ausnahmen abgesehen, das Management durch Desinteresse kein Verständnis für die tatsächlichen Probleme der Informationsverarbeitung zeigt. Auch genießt der DV-Verantwortliche durch die potentiellen Schwachstellen des DV-Bereichs oft nicht die notwendige Glaubwürdigkeit.

Rolle neu überdenken

Organisatorische und programmtechnische Probleme, Projektterminverschiebungen und steigende DV-Kosten durch mangelndes oder fehlendes Personal- und Projektmanagement stehen an der Tagesordnung. Im Umfeld ausgelöste ideologische und technologische Diskussionen nehmen einen großen Teil der Aktivitäten in Anspruch. In dieser komplizierten Situation wird auch der Anwender immer mehr der stürmischen Vertriebsaktivität der Computerhersteller ausgesetzt. Der User erkennt vielfältige Möglichkeiten zur Verbesserung seiner Arbeitsabläufe. Seine Vorstellungen und Wünsche formuliert er in Unkenntnis der technischen Probleme und des Aufwandes. Deshalb sind sie nicht mit den technischen Traumvorstellungen der Computerspezialisten in Einklang zu bringen. Der sichtbare Anwendungsrückstau vergrößert sich in einem ungeahnten Maße und führt zur Unzufriedenheit und im schlimmsten Falle zu einer neuen DV-Organisation. In aller Regel aber steigt das Konfliktpotential zwischen Anwender und DV.

Fragen nach dem zukünftigen Aufgabenverständnis der DV-Verantwortlichen stellen sich durch die Situation zwangsläufig. Es ist an der Zeit, die Rolle der Datenverarbeitung neu zu überdenken. Neue Technologien verlangen eine neue Qualität des DV-Managements. Nur auf der Basis einer Neuorientierung kann eine zukunftsweisende, in allen Teilbereichen der DV entsprechende Managementsystematik aufgebaut werden. Dies muß auf der Basis von strategischen und operativen Plänen eine Verbesserung des Managements, der Transparenz und der Ökonomie zum Ziel haben. Strategisch richtige Entscheidungen hängen von der Qualität der Information ab und setzen das Beherrschen der Informationsmittel voraus. Die zunehmenden Informationsbedürfnisse innerhalb des Unternehmens verlangen neben den verwaltungstechnischen Ansätzen eine langfristige DV-Rahmenplanung, unter anderem das Aufzeigen zukunftsweisender Informationswerkzeuge, Controlling, Weiterbildung im Systemdenken und Vermittlung von Infomationsbewußtsein. Wichtige Komponente einer Konzeption ist der gezielte Wissenstransfer, der das Ausbildungsspektrum auf jeder Ebene erheblich erweitert. Datenverarbeitungswissen wird zum Querschnittswissen und bildet gemeinsam mit modernem Projektmanagement die Voraussetzung für ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen DV-Management und Fachbereichen.

Dies alles mitzugestalten und mitzuverantworten verlangt einen Typ Führungskraft, der nicht mehr mit den Attributen des traditionellen DV-Leiters-Fachkompetenz, Pioniergeist und ausgeprägtes Selbstbewußtsein zu charakterisieren ist. Die Reichweite, die Durchsetzbarkeit zukunftsweisender Konzepte und Verfahren, das gesamtunternehmerische Denken und Handeln und konsequente Kosten/Nutzen-Überlegungen erfordert Managementerfahrung auf hoher Ebene. Neben den typischen Kriterien wie Kreativität, Innovation, Führungserfahrung, Durchsetzungsvermögen, Überzeugungskraft, Verhandlungsgeschick und Koordinationsvermögen sind betriebswirtschaftliche Kenntnisse, das Wissen um das Informationsbedürfnis der verschiedenen hierarchischen Ebenen bis zum Topmanagement, Kenntnisse der Informationstechniken und Trends wesentliche Voraussetzungen. Natürlich ist und bleibt auch künftig der Erfolg eines Unternehmens abhängig vom Markt, vom technischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Doch dies geht künftig nicht mehr ohne die entsprechende Informationsversorgung und ihre Nutzanwendung. Daraus ableitend müssen sich die Verantwortlichen die Frage stellen, ob ihr derzeitiger DV-Chef einer solchen Managementaufgabe gewachsen ist, ob die strukturellen Voraussetzungen gegeben sind und ob das Umfeld für eine solche Maßnahme reif ist. Wie auch immer eine solche Entscheidung aussehen mag: Sicher ist, daß viele Manager umdenken müssen. Der DV-Boß darf nicht am Althergebrachten festhalten, sondern muß neue Methoden und Verfahren erlernen; das gilt für beide Seiten. Wer die Sensibilität für die Veränderungen der Umweltfaktoren verliert, wer nicht bereit ist, sein Konzept zu korrigieren und sich der neuen Situation anzupassen, der gleitet schnell in den Mißerfolg. Ein qualifizierter DV-Chef allerdings braucht sich keine Gedanken um seinen Stuhl zu machen. Er ist sich heute schon der Situation bewußt, handelt entsprechend und weiß um die zukünftig gewiß nicht leichter werdenden Aufgaben; man muß ihm aber auch die Chance geben, seine Managementfähigkeiten zu beweisen.