IT in Behörden/SAP-Lösung forderte mehr Bandbreite und ein einheitliches Netz

Schleswig-Holstein: Aus sechs mach eins

13.08.2004

Wer von E-Government spricht, sollte auch die technische Basis dafür aufbauen. Deswegen gehen Bund, Länder und Kommunen dazu über, ihre Kommunikationsnetze für aktuelle Anforderungen zu modernisieren. Das Stichwort hierfür heißt Communications Resourcing: Aus vormals getrennten Netzen für Sprache und Daten entsteht ein konsolidiertes Netz, das die Pflege erleichtert und sich auf neue Dienste und Services einstellen lässt. Das war auch für das Bundesland Schleswig-Holstein der Grund, in die Basisinfrastruktur zu investieren.

Kosten alleine waren zumindest für die Landesregierung in Schleswig-Holstein zunächst nicht die Haupttriebfeder, die Sprach- und Datennetze auf den Prüfstand zu stellen. Auch wenn allein die Voice-over-IP-Telefonie die Telefonkosten des nördlichsten Bundeslandes schon deutlich reduzierte, die heterogene IT- und TK-Struktur machte die Pflege zunehmend zu einer komplizierten Aufgabe und bot wenig Spielraum für neue Anwendungen. Spätestens als feststand, dass die Kieler ihre Behörden auf SAP-Software umstellen würden, wurde ein kritischer Blick auf die vorhandenen Netze zwingend. Die Walldorfer Softwarelösung erforderte mehr Bandbreite und ein einheitliches Netz. Insgesamt konnten allein die Kosten für die Aufrechterhaltung des Telefonbetriebes - 290 Telefonanlagen im Jahr 2000 bei 24 Millionen Euro pro Jahr auf 20 Millionen Euro jährlich für 330 Telefonanlagen im Jahr 2003 - gesenkt werden.

Damit stand das Bundesland zwischen Nord- und Ostsee vor einer typischen Ausgangslage, wie sie auch in den meisten Unternehmen vorzufinden ist. Der Schuh drückt IT/TK-Entscheider laut den Marktforschern von IDC auch an der Basis. So wollen fast zwei Drittel von ihnen ihre Angebote für Sprache, Daten, Internet-Zugang und Web-Hosting bündeln.

Schlaflose Nächte für Netzwerker

Dies bestätigt auch eine Untersuchung der Yankee Group mit dem Titel "Was Netzwerk-Manager nachts nicht schlafen lässt". Knapp die Hälfte der befragten ICT-Manager gab im vergangenen Jahr an, ihre inzwischen überalterte Netztechnik erneuern zu wollen. Dazu kommt der Druck, immer wieder neue Applikationen mit großem Aufwand in bestehende Systeme integrieren zu müssen. Eine Aufgabe, die eine heterogene Netzwerkstruktur deutlich erschwert. Zumal eine komplexe und redundante Infrastruktur ein hohes Niveau der Quality of Services nur mit viel Aufwand ermöglicht und die Verlässlichkeit verringert. Dies unterstreichen auch knapp 40 Prozent der Befragten in der Yankee- Group-Studie.

"Statt einer Datenautobahn hatten wir früher nur Feldwege", beschreibt Hans-Günter Silber, zuständiger Referatsleiter im schleswig-holsteinischen Finanzministerium, die Ausgangslage. "Leitungen und Komponenten entsprachen keinen einheitlichen Standards, und es gab kein durchgängiges Konzept für die Datensicherheit." Dazu kam ein neues Haushaltsrechnungssystem von SAP, für dessen Einsatz die Computer höhere Bandbreiten benötigten. Um auf die vorhandenen Technologien nicht weitere draufzusetzen, entschloss sich das Ministerium zu einem "Großreinemachen". Die Behörde lagerte das Datentransportnetz an den externen Dienstleister T-Systems aus, der fast alle Standorte auch mit mindestens 2 Megabit Bandbreite ausstatten sollte.

Effiziente Steuerung jetzt möglich

Die Hoheit und Kontrolle der Sprach- und Dateninfrastruktur sowie die genutzten Dienste lagen im Jahr 2000 jedoch nicht in einer Hand. Das Finanzministerium koordinierte und beauftragte TK-Anlagen und Sprachdienste, während das Landesinnenministerium für das Netz und die Datenübertragung zuständig war. Seit Mitte 2003 hat die Landesregierung Schleswig-Holsteins beide Fachbereiche in einem Referat im Finanzministerium zusammengefasst. Deshalb verfügt das Bundesland jetzt über effiziente Steuerungsmöglichkeiten der Sprach- und Datenkommunikation und kann künftige Innovationen leichter und vor allen Dingen ganzheitlich angehen.

Erst konsolidieren, dann neu aufsetzen

Die Telekom-Tochter konsolidierte zunächst die heterogene Infrastruktur. Dazu bündelte sie alle Netze auf einer MPLS-Plattform (Multi Protocol Label Switching), die Sprache und Daten gleichzeitig überträgt. Diese Plattform ist für einen stark variierenden Netzverkehr besonders geeignet, da sie die vorhandenen Bandbreiten flexibel je nach Bedarf ausnutzt. Damit bürgt MPLS für ein Netz, das sich an neue Anforderungen anpasst, einfacher zu managen ist und sogar geringere laufende Kosten verursacht als vorher.

Dazu werden die Verkehrsströme im Netz in vier Klassen eingeteilt: Voice, Multimedia, Premium, Best Effort. Jede Klasse erhält Eigenschaften für die Übertragung, so genannte Quality of Service, und Güteklassen für Sprache, Daten und Video. Messbare Kriterien sind Bandbreiten, Datendurchsätze, Verzögerungsschwankungen oder Transferpriorität. Der Vorteil für die Nutzer: Datenströme lassen sich bewerten, und wichtige Informationen erhalten freie Fahrt im Netz. Nicht genutzte Kanäle stehen automatisch frei zur Verfügung. Geschäftskritische Anwendungen wie SAP-Software oder Sprachdienste überträgt MPLS mit höchster Priorität. Und sollte die Leistungsgrenze der dynamisch zuschaltbaren Voice-over-IP-Kanäle dennoch einmal erreicht werden, kann die Plattform automatisch auf das öffentliche ISDN wechseln.

Viele virtuelle Netze in einem

Das einheitliche Netz bietet zudem die Möglichkeit, behördenspezifische, voneinander getrennte Benutzergruppen zu definieren. Solche virtuellen privaten Netze (VPNs) nutzen beispielsweise die Polizei, der Justizbereich, die Finanzverwaltung und die Kommunen. In den speziell gesicherten VPNs kommunizieren alle Teilnehmer direkt untereinander. Wollen sie Daten mit anderen geschlossenen Nutzergruppen austauschen, schaltet sich die landesinterne Datenzentrale (Dataport) in Kiel ein. Sie betreibt einen zentralen Netzknoten, dessen Firewall die Regeln für den Datenaustausch zwischen den getrennten Gruppen definiert. So darf zum Beispiel eine Kreisverwaltung erst dann in der Datenbank der Umweltbehörde Messdaten zur Luftqualität oder zu Pegelständen recherchieren, wenn auch die dazu erforderliche Netzverbindung in der entsprechenden Kommunikations-Policy eingetragen ist. Auch in puncto Finanzierung beschritt das Land neue Wege. Indem es sämtliche Netzleistungen auf monatlicher Mietbasis bezieht, lässt sich der benötigte Etat genauer kalkulieren. "Wir müssen keine Hardware mehr einkaufen", sagt Silber, "und wir verfügen über eine größere Leistungsbreite trotz reduzierter Übertragungskosten." Neben den geringen Kosten für die behördeninterne Telefonie spart der Haushalt auch bei den externen Gesprächen. Jedes Telefonat innerhalb Schleswig-Holsteins wird zunächst im eigenen Netz kostenfrei zum Zielort geführt, bevor es in das öffentliche Netz übergeht. So fallen dann nur die Tarife für Ortsgespräche an. Insgesamt zeigt die Praxis, dass die Kosten für ein einheitliches Netz im Vergleich zur Weiterführung vorhandener, komplexer Netzwerkstrukturen um rund 25 Prozent sinken können.

"Das integrierte Netz hat eine Katalysatorfunktion für alle Landesbereiche", sagt Silber. "Wir konnten ohne Mehraufwand im Netz neue Dienste und Fachanwendungen einführen. Alle Teilnehmer verfügen außerdem über einen sicheren Zugang ins Internet und zu Testa (Trans-European Service for Telematics between Administrations), einem bundesweit übergreifenden Datennetz zur Kommunikation zwischen Verwaltungsnetzen."(bi)

*Roger Homrich ist Autor in Köln.

Hier lesen Sie ...

- warum Schleswig-Holstein ein konsolidiertes Netz für Sprache und Daten erstellen lässt;

- welchen Kosteneffekt das Bundesland allein für den Telefonbetrieb erzielt;

- welche neuen Wege das Land beschritten hat, um die Lösung zu finanzieren.

Wege aus dem Netzverhau

Viele Unternehmen und Behörden verfügen heute über ein Patchwork aus unterschiedlichen Netzen mehrerer Carrier und verschiedenster Applikationen. Typischerweise sind mindestens zwei verschiedene Netzplattformen im Einsatz - für Sprache und für den Datenfluss. Zusätzlich findet sich ein Mix aus unterschiedlichen Technologien wie Frame Relay und ATM. Server und Applikationen werden an verschiedenen Standorten vorgehalten. Das Managen und Betreiben der Netze bindet Ressourcen. Umstrukturierungen, neue Standorte oder Umzüge sind mit erheblichem Aufwand verbunden.

Erster wichtiger Schritt für ein Unternehmen ist, Sprache und Daten auf einer Plattform zu integrieren. Communications Resourcing vereinheitlicht zunächst das Datennetz. Das umfasst einerseits das Wide Area Network (WAN) des Unternehmens. Dazu kommen die lokalen Netze (LANs), die häufig von unterschiedlichen Anbietern betrieben werden. Auch der Zugang zum Internet und der Zugriff von Heimarbeitsplätzen aus werden homogenisiert. Dazu eignet sich das Multi Protocol Label Switching (MPLS) ideal. Damit ist die Voraussetzung für die Integration von Sprache in die IP-Netze geschaffen.

Die IP-Plattform ist flexibel, und dem Sprach- und Datenverkehr lassen sich Qualitätsklassen zuordnen. Mit MPLS können Unternehmen und Behörden ihre Intranets konsolidieren, und die Telekommunikationsanlage wandert ins Netz. Zusätzlich lassen sich weitere Services in das Netzwerk integrieren. Dazu gehören Sicherheitstechnologien wie Firewall-Service, Hosting-Services oder auch Unified Messaging. Auch neue Applikationen bieten sich in einem einheitlichen IP-Netz an. So sorgt eine zentrale Sicherheitsapplikation dafür, dass das System Daten eines Laptops automatisch nach dem Hochfahren sichert.

Testa und Testa Deutschland

Testa (Trans-European Services for Telematics between Administrations) hat das Ziel, Standorte der öffentlichen Verwaltungen aus der Europäischen Union für die Datenkommunikation miteinander zu vernetzen. In Deutschland besteht das Unterprojekt "Testa Deutschland". An ihm können alle öffentlichen Einrichtungen teilnehmen. Dazu gehören Behörden der Länder und des Bundes sowie die Landesvertretungen, Kommunen und kommunale Einrichtungen.

Netzbetreiber des Datendienstes ist T-Systems auf Basis des Zugangs Frame-Link Plus.

Infrastruktur kompakt

Das Netzwerk-Management basiert auf einem Verbund von mehreren Unix-Servern und Workstations. Verbunden sind die Systeme über ein geswitchtes redundantes Ethernet-LAN. Ein separates Ethernet-LAN bindet die Server an die Netzkomponenten. Cisco-Router mit Sprachschnittstellen und Verschlüsselungsmodulen sind in die Infrastruktur integriert. Der Backbone wird bereits mit 2,4 Gbit/s betrieben. Die Zuleitung zu den Schnittstellen bei den Behörden erfolgt mit n mal 2 Mbit/s. Die Ministerien in Kiel-Düsterbrook erhielten zum Beispiel gebündelte Anschlüsse von 12 mal 2 Mbit/s. Die Zielvorgabe für die Verfügbarkeit des Backbone liegt bei 99,98 Prozent.