Nur ein Prozent der Anwender läßt OSI kalt, aber

Schleppende Normierung lähmt den Einsatz von OSI in Europa

19.07.1991

WATFORD (pg) - Trotz wohlwollender Haltung der Anwender gegenüber OSI scheint der europäische Markt für die offenen Standards noch nicht reif zu sein. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine Studie der Yankee Group Europe mit dem Titel "OSI in Europa: Eine wirtschaftliche Einschätzung".

Die britischen Marktforscher haben in ihrer Untersuchung eine Reihe von Gründen für den schleppenden OSI-Start in der Alten Welt ausgemacht. Eine der wichtigsten Ursachen ist der bekannte Teufelskreis zwischen Hersteller und Anwender. Während die einen auf billigere Produkte warten, zögern die anderen mit der Produktion wegen der vermeintlich fehlenden Nachfrage.

Als zweiten Pferdefuß hat die Yankee Group die langwierigen Standardisierungszyklen - im Schnitt sind es sechs bis acht Jahre - ausfindig gemacht. Die Planung und Implementation von Netzen muß aber, so die Studie, auf existierenden, zumindest aber absehbaren OSI-Produkten beruhen. Die Entwicklung von ISO-Standards läuft mit ihrem "Schneckentempo" gegen den Trend des IT-Marktes, wo sich das Preis-Leistungs-Verhältnis der Produkte durchschnittlich zweimal pro Jahr ändert.

Die Hersteller konzentrieren sich in der Konzeption ihrer Produkte deshalb vorläufig lieber noch auf ihre proprietären Systeme oder an De-facto-Standards wie TCP/IP - ebenso die Anwender, die aufgrund der hohen Kosten von OSI-Equipment und der komplizierten Planung an ihren bestehenden Installationen festhalten. Erst mit fallenden Preisen für OSI-Produkte wird die Rentabilität steigen und eine Implementation akzeptabel werden.

Die Marktforscher der Yankee Group rechnen frühestens Mitte der 90er Jahre mit einem Massenmarkt für Produkte auf Basis der ISO-Standards.

Dabei ist OSI für die meisten Anwender, wie die Erhebung zeigte, längst kein Buch mit sieben Siegeln mehr. Nur zwei Prozent der befragten Unternehmen waren nicht mit OSI vertraut, und nur ein Prozent hatte an den internationalen Normen kein Interesse.

Mit 35 Prozent ist die Zahl derer, die sich für OSI interessieren, aber es noch nicht einsetzen, am höchsten, während immerhin 22 Prozent bereits den Entschluß gefaßt haben, OSI-Produkte in naher Zukunft zu realisieren. Jeweils 19 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage nutzen schon OSI-Equipment in ihren Systemen oder sind gerade dabei, entsprechende Devices zu integrieren.

Potentielle Kandidaten zur Implementierung von OSI werden in den nächsten Jahren nach Meinung der Marktforscher Unternehmen sein, die mehr als 20 Prozent ihres Umsatzes außerhalb des nationalen Marktes machen oder stark mit dem öffentlichen Dienst zusammenarbeiten, außerdem solche Organisationen, die über die Grenzen Europas hinaus komplexe interne DV-Umgebungen von mehreren Herstellern haben oder ihre Präsenz in Europa verstärken wollen. Triebfeder bei der Migration zu OSI könnte nach Ansicht der Yankee Group die öffentliche Hand sein, die bei der Realisierung von OSI in Europa mit den Gosip-Spezifikationen an der Spitze steht. Mehr als 75 Prozent der Behörden sollen laut Studie schon OSI-Produkte im Einsatz haben, gefolgt vom Sektor Bank- und Finanzwesen, der bei 40 Prozent liegt.

Häufigste Applikationen sind der Umfrage zufolge EDI, Electronic Mail und File Transfer. Wichtig für den Anwender sei aber, daß die Industrie durch Konformitätstests die Offenheit ihrer Produkte auch nachweist und somit zum Abbau der Akzeptanzschwelle von OSI beiträgt, ähnlich wie es in den vergangenen Jahren mit Unix geschehen ist.