Schach-Programme holen auf

28.10.1977

Schnellere Hardware und intelligentere Software dürften den bisherigen Rückstand schachspielender Computer gegenüber qualifizierten menschlichen Gegnern in den nächsten Jahren weiter schrumpfen lassen, erwarten Experten auf diesem Gebiet. Wie begründet diese Annahme ist, wurde erst kürzlich bei einem Schachprogramm-Wettbewerb in Toronto deutlich.

Dort verlor das in Rußland entwickelte Programm "Kaissa", es galt bislang als "Weltmeister" unter den Computer-Schachprogrammen, überraschend schon in den Vorrunden gegen die Konkurrenz. Zunächst dachten Beobachter, dies Versagen sei auf den Wechsel von der früher benutzten ICL-System 4 zu einer IBM 3701168 zurückzuführen, später glaubten sie an eine simple Fehlfunktion. Schließlich verloren die Kaissa-Freunde dann endgültig den Glauben an ihr Programm, das sich bei einem ziemlich unwichtigen Zug, der zum Verlust eines Turms geführt hatte, anscheinend nicht mehr zurechtgefunden hatte. Doch alle lagen falsch.

Die eingehende Analyse des Spielverlaufs zeigte nämlich erst später, daß Kaissa nur mit diesem Zug wenigstens fürs erste einer vertrackten Konstellation begegnen konnte, die andernfalls zu einem kaum vorhersehbaren Matt in fünf Zügen geführt hätte. Diese Konstellation war während des Spielgangs selbst den kiebitzenden Großmeistern und anderen Schachexperten entgangen. Spielen die Maschinen also intelligenter, als man glaubt?

Zweifellos sind die Schachprogramme seit 1974, als der erste weltweite Computer-Schachwettbewerb ausgetragen wurde, ein beachtliches Stück weiterentwickelt worden, kommentieren Fachleute die Situation. Im Grunde genommen seien es aber wohl eher die Hardware- als die Software-Entwicklungssprünge, die den Rechnern die komplizierte Orientierung im Gestrüpp der Regeln und Zugmöglichkeiten einer Schachpartie erleichtern.

Tatsächlich ist Schachspielen für Maschinen, mit denen man ja noch immer nicht das simulieren kann, was beim Menschen mit "Intuition" umschrieben wird, vor allem ein Zeit- Mengen- Problem: die Maschinen spielen vor jedem Zug eine große Zahl sich daraus eröffnender Möglichkeiten durch - ein Vorgehen, das bei der großen Zahl von Spielsituationen natürlich nur eine begrenzte Vorausschau erlaubt. Je schneller moderne Rechner aber arbeiten, desto besser gelingt ihnen der Blick in ihre spielerische Zukunft.

Optimisten unter den Programmdesignern erwarten bereits schon in zehn Jahren könnten ihre , Kinder" auch Meister unter ihren menschlichen Gegnern in ernste Bedrängnis bringen und eines Tages gar die besten Gehirne weit hinter sich lassen. Doch vorerst dürften solche Visionen einem Bobby Fisher wohl kaum den Schlaf rauben.

Egon Schmidt ist freier Wirtschaftsjournalist