Veränderungen für Kunden und Kassiererinnen am Point-of-Sale:

Scanner Auszeichnung: Bei Nudeln ganz unten

25.07.1980

MÜNCHEN - Nach Einführung des Scanner-Systems in den USA machten die Manager amerikanischer Supermärkte eine Entdeckung: Der Umsatz pro Kunde war gestiegen. Gleiches fand Roel Evers, Store-Manager eines niederländischen Supermarktes, heraus. Nach der Scanner-lnstallation kaufte die gleiche Anzahl Kunden mehr ein. Die Zahl der Artikel je Einkauf war um 10 bis 15 Prozent auf elf gestiegen. Die Einführung der Kassenterminals brachte eine Veränderung der Warenauszeichnung mit sich. Dies wirkte sich aus auf das Einkaufsverhalten der Kunden. Es veränderte grundsätzlich den Arbeitsinhalt der Kassiererinnen.

In den USA hatte die Einführung der Kassenterminals die Verbraucherverbände auf den Plan gerufen. Zeitweise wurden Supermärkte, die mit dem Scanner-System arbeiteten, boykottiert. Auch in der Bundesrepublik kann der Verdacht aufkommen, daß die Problematik EAN-System und Kassenterminals - oder anders ausgedrückt, das integrierte Bestellsystem noch nicht optimal gelöst ist. Bisher sind nach Angaben der Centralen Coorganisation- Gesellschaft zur Rationalisierung des Informationsaustausches zwischen Handel und Industrie mbH (CCG, Köln) - insgesamt zwölf Betriebe in der Bundesrepublik mit einem Scanner- oder Lesestift-System am Point-of-Sale ausgerüstet. Dazu gehören Tengelmann Wiesbaden, die Bayerische Lagerversorgung in München, die Rewe Schwerte in Lünnen und Unna, die Ratio Münster mit ihrem Markt in Hannover sowie die Firma Doderer in Augsburg. Zwei der genannten Unternehmen, die Bayerische Lagerversorgung in München und die Firma Doderer in Augsburg, die über den Aufsichtsrat zusammenhängen sollen, verfügen über eine zweijährige Erfahrung mit dem Scanner-System. Beide Unternehmen waren nicht mehr bereit, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Code und Kasse im Verbund

Der Kunde geht an dem Regal vorbei, dort sind die Preise der verschiedenen Waren angebracht. Auf den Produkten selbst findet sich ein EAN-Etikett. Entweder lieferte es der Hersteller mit der Verpackung, oder aber das Einzelhandelsunternehmen selbst brachte die hausinterne Artikelnummer im Strichcode auf der Verpackung an. Nach Angaben der CCG sind heute rund 50 000 Artikel herstellerseitig mit dem EAN-Code versehen. Auf Betreiben des Handels und auch aus Eigeninteresse, um einen besseren Informationsaustausch zu gewährleisten, schließen sich immer mehr Hersteller dieser Artikelbezeichnung an.

Nach einer ersten Untersuchung der Nielsen liegt im Nahrungsmittelbereich die Auszeichnung im Strichcode herstellerseits bei Schokolade mit 69 Prozent aller Schokoladenartikel an der Spitze, bei Nudeln mit 17 Prozent ganz unten. Kaum auszuzeichnen sind Gemüse, Eis und Fleisch, einfach deshalb, weil sich das Etikett löst. Der Balkencode ist hier besonders leicht verletzbar und kann anschließend nicht mehr vom Scanner gelesen werden. Nach Ansicht der Lebensmittelzeitung "wird aber in den nächsten zwei Jahren mit einer rasanten Zunahme der Scanner-Kassen gerechnet, einhergehend mit der täglich steigenden Zahl der EAN-codierten Artikel".

Pistole wiegt mehr Die Auszeichnung im Haus selbst ist schwieriger geworden. Im Gegensatz zu den früheren, leichteren Auszeichnungspistolen hat die Auszeichnungsmaschine zum Aufbringen eines Strichcodes ein Gewicht von ungefähr einem Kilo. Nach Ansicht eines Fachmannes aus der Einzelhandelsbranche bekommt der Auszeichner einen "Tennisarm". Während bei Tengelmann in Wiesbaden nach Angaben von Adolf Hauter die Einzelauszeichnungen vorwiegen, sind bei dem genannten niederländischen Markt die Preisschilder mit den zugehörigen Artikeln "synchronisiert" .

Irrtum vorprogrammiert

Von dem Kunden wird verlangt, daß er sich den Preis all seiner im Wagen gesammelten Waren merkt, bis er an die Kasse kommt, um dort den in der Leuchtzeile angezeigten Preis mit dem in seiner Erinnerung zu vergleichen. Standen die Waren im falschen Regal oder hatte der Kunde den Waren einen anderen Preis zugeordnet als nach der "perfekten Synchronisierung" wahrscheinlich war, so wird nach Angaben von Jürgen Glaubitz, Mitglied des Hauptvorstandes der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, der Kunde "königlich zur Kasse gebeten". Auf ihn würden außerdem die Kosten des neuen Systems abgewälzt. Sie werden mit einer Höhe von rund 96 000 Mark für die Leitzentrale, für eine Datenstation mit 20 000 Mark, ein Kassenterminal 11 000 Mark, einen Lesestift mit rund 1000 Mark und einen Etikettendrucker mit rund 68 000 Mark angegeben. Diesen Investitionsaufwand können sich nur große Handelsunternehmen leisten. Die Konzentration im Einzelhandel nimmt zu, was wiederum zu Lasten des Verbrauchers geht. Einmal reduziert sich der Wettbewerb, zum anderen ist der nächste Laden immer weiter entfernt. Schon jetzt haben nach einer Berechnung der Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels mindestens zwei Millionen Bundesbürger im Umkreis von 15 Gehminuten kein Einzelhandelsgeschäft.

Der Scanner arbeitet für die Kassiererin

Wird der Preis eines Produktes geändert, so erfolgt dies für den Manager des Einzelhandelsgeschäftes sehr einfach. Geändert wird nur der Preis in der Datenbank, an' die das Kassensystem angeschlossen ist und die Auszeichnung am Regal. Achtet der Kunde nicht auf die neue Regalauszeichnung, weil er diesen Artikel gewöhnlich kauft und geht damit zur Kasse, erlebt er damit Überraschungen, die er noch nicht einmal wahrnimmt.

Nach einem Bericht der Zeitschrift "Stern" erkannten Manager in den USA "daß sich die Verbraucher um den überhöhten Preis gar nicht kümmerten und ebensoviel Dosensaft nach Hause schleppten wie vorher. Sie steigerten daraufhin den Orangensaftpreis in sämtlichen "Safeway"-Filialen der USA. Das Ergebnis: ein Gewinnplus von einer Million Dollar im Jahr.

Für den Verbraucher könnte des System einen Vorteil bringen, wenn sich die Wartezeiten an der Kasse verkürzten. Jedoch hat man festgestellt, daß mit der Einführung der intelligenten Registrierkasse die Anzahl der Kassen verringert wird, so daß hieraus die gleiche Wartezeit resultieren kann. Außerdem klappt das "Scannern" nicht immer.

Doch muß der Kunde nicht der König sein, möglicherweise erleichtert das Scanner-System oder auch der Lesestift die Arbeit der Kassiererin. Bei den herkömmlichen Registrierkassensystemen, so hat eine Forschungsstudie zum Regierungsprogramm "Humanisierung der Arbeit" festgestellt, daß Kassiererinnen in Spitzenzeiten bis zu 500 Kilogramm in einer halben Stunde bewegen.

Der Arbeitsgang der Kassiererin umfaßte das Ergreifen der Ware, das Lesen der Artikelnummer, die Zuordnung zu einer Funktionstaste für die Sortimentzuordnung, das Eintippen des Preises, das Hinstellen und Wegschieben der Ware in die Warenzelle, von der aus der Kunde die Ware einpackte. Hinzu kam das "Geschäft mit dem Geld": Der Kunde reicht der Kassiererin den Betrag, die Kassiererin errechnet oder läßt von der Kasse die Differenz zum zahlenden Betrag errechnen, sie greift in die Kasse, sucht die verschiedenen Münzen und Scheine heraus und gibt dem Kunden das Geld heraus. Neben einer recht schweren körperlichen Arbeit, erforderte die Tätigkeit der Kassiererin hohe Konzentration. Von ihr wird verlangt, so eine der Frauen, daß sie Preise der verschiedenen Artikel in etwa weiß.

Auf dem Kohlkopf hält kein Wapperl

In der "Erfahrungsgruppe von scannernden Betrieben", in der die oben genannten Unternehmen in der Bundesrepublik, die das Experiment gewagt haben, zusammengeschlossen sind, wurde bei dem ersten und bisher letzten Zusammentreffen weder positiv noch negativ über die Kassiererin gesprochen. Projektleiter und Warenwirtschafter Hauter bei Tengelmann Wiesbaden hat eigenen Angaben zufolge alle bei ihm beschäftigten Kassiererinnen gefragt, ob sie das alte System wiederhaben wollten. Sie antworteten: "Nein, um Gottes willen. Der Scanner arbeitet für die Kassiererin." Angaben aus einem anderen scannernden Betrieb widersprechen diesen Erfahrungen. Hier klagt man über eine übergewöhnlich hohe Fluktuation. Die Arbeit sei nun wie eine Fließbandtätigkeit gestaltet, habe an Monotonie zugenommen und erfordere sehr große körperliche Kraft, weil es sich hier um einen Großhandel dreht, bei dem sehr schwere Gebinde bewegt werden müssen. Mit ein Mal über den Scanner sei es selten getan. Es fänden sich kaum Kassiererinnen für dieses System. Die Frauen klagten über Arm-, Schulter- und Rückenschäden, sie verrichten die Arbeit im Stehen, der einseitige Bewegungsablauf führe zu Verspannungen. Da die Kasse im Gegensatz zu den früheren Kassen nicht verschließbar sei, müsse sich die Kassiererin abmelden, wenn sie auf die Toilette geht. Da zudem auf den Rechnungen Datum und Uhrzeit ausgedruckt werden, was selbstverständlich auch gespeichert wird, hat die Unternehmensleitung eine stärkere Kontrolle über die Ab- und Anwesenheit der Kassiererin.

Weil sich "auf dem Kohlkopf kein Wapperl aufbringen läßt", kommt die Kassiererin vom Tippen nie herunter. Häufig passierten Auszeichnungsfehler. Auf dem Bildschirm werden dann die Preise rausgesucht, Läufer flitzen durch den C&C-Markt, um den Fehler zu suchen und für den einzelnen oder alle nachfolgenden Kunden zu korrigieren. Für den Kunden bedeutet das lange Wartezeit, was ihren Einkaufsfrust erhöht. Die Kassiererin als Endstation dient als Entladeplatz. Viele Kunden sind verärgert, weil sie sich möglicherweise den falschen Preis gemerkt hatten und mit diesem Preis rechneten, dann aber mit einem neuen Preis konfrontiert werden. Es komme zu Streitereien. Die Kassenkraft ist blockiert. Wenn sie lacht oder sich unterhält, dann beschimpft man sie ob ihres "unernsten Verhaltens". Rennt sie selbst los, wirft der Vorgesetzte ihr böswillige Entfernung vom Arbeitsplatz vor. Während dieser Zeit kann sie keinen Umsatz machen. Sie oder der ihr übergeordnete Manager wird aber häufig für den Umsatz pro Kassenterminal bezahlt. Es gibt Fälle, in denen der Kunde Artikel zurücklassen muß, weil nicht herauszukriegen ist, was er kostet. Besonders am Abend mache sich dies negativ bemerkbar. In der Abendzeit herrsche oft großer Andrang. Artikel ohne Auszeichnung können nicht mehr gesucht werden. Wenn der Preis nicht feststellbar ist, läßt der Kunde den Artikel zurück.

Die Tipperei bleibt

Die Kassiererin muß heute immer noch sehr viel eintippen. In dem genannten C&C-Markt ist für jeden Kunden eine gewisse Vorbereitungszeit notwendig. Die Kassiererin muß eine neunstellige Kundennummer eingeben, sie muß dann bei noch relativ viel Waren aus dem Lebensmittelbereich die Artikelnummer eintippen. Nicht alle Preise sind gespeichert. Zwar rechnet man damit, daß bis Ende 1981 rund 80 Prozent der Waren mit dem Strichcode versehen sind. Doch heute ist noch nicht 1981.

Die Kassiererin hat also dauernd zwischen zwei verschiedenen Arbeitsgängen zu wechseln. Mal kann sie "scannern", mal ist der Preis gespeichert, mal muß sie ihn auch eingeben. An dem Vorgang des Kassierens entfällt nichts. Doch bemerkt Evers: "Unsere Kassiererinnen haben wieder viel mehr Zeit für den Kontakt mit dem Kunden. Sie können schon beim Registrieren mit ihm ein Wort wechseln. Auch darin sehen wir einen großen Vorteil dieser neuen Lösung." Unterbrochen wird diese Plauderei von dem Streßfaktor: Scannert das Ding oder bleibt der Signalton aus.

Daß diese Aussage der Realität entspricht, läßt sich nach der reduzierten Einarbeitungszeit und der hohen Fluktuation noch mehr bezweifeln. Erfahrungsgemäß wird eine Kassiererin einen halben Tag in das neue System eingewiesen, danach darf sie im kalten Wasser strampeln.

Der Streß ist eher höher

Weil das ganze System nur fehlerhaft funktioniert, indem einmal das Scannern nicht immer klappt, zweitens nicht alle Preise gespeichert sind, drittens Fehler in der Auszeichnung, falsche Artikelnummern und damit falscher Preis für ein bestimmtes Produkt, weiter der Einsatz der Codeauswertung nur mit Hilfe von Läufern funktioniert, wird die Kassiererin heute noch eher einem höheren Streß ausgesetzt, als daß ihr Arbeitsleben vereinfacht wird. Hinzu kommt, daß sie eine Dequalifizierung erfährt, indem weniger in ihr gespeichertes Wissen verlangt wird. Faktoren wie Streß und wachsende Monotonie durch die Bandarbeit werden in Lohn- oder Gehalt nicht entgolten. Die Kassiererin steht als Prellbock da, vor dem Kunden, der seinen Einkaufs- und Zahlungsärger an ihr ausläßt, der Geschäftsleitung, die am Point-of-Sale mit der Unausgegorenheit ihres EAN-Systems konfrontiert ist, der körperlichen Arbeit, die sie verrichten muß, indem sie die Großgebinde häufig mehrmals über den Scanner schiebt und dem Apparat, der auch nicht ohne Tücken ist, wie es sich zeigte, als einmal der Strom ausfiel. Die Qualität der Arbeit hat sich gemindert. Das heute praktizierte Auszeichnungssystem zusammen mit den Kassenterminals am Point-of-Sale brachte für die Mitarbeiter keine Arbeitsentlastung. Von einem Betroffenen war zu hören: Es macht uns mehr zu schaffen als notwendig ist. Bisher habe sich noch keine Personaleinsparung bemerkbar gemacht, einfach deshalb, weil das System nicht funktioniere.

Antizipation der 80er Jahre

Die heute existierenden Pilotbetriebe können als Testbereich für den Einzelhandel der 80er Jahre betrachtet werden. Sie simulieren vielleicht nicht die 80er Jahre, sondern sie können eher als eine sich selbst erfüllende Prophezeihung betrachtet werden. Denn für den Manager im Einzelhandel bringt des System einen Rationalisierungserfolg. Was mit der Einführung der Intensivvorwahl begonnen wurde, sich über den damit verbundenen Wegfall qualifizierter Beratungstätigkeit fortsetzte, greift nun über auf die Leute, die im Bereich Einkauf, Überwachung, Auszeichnung und Verkaufsvorbereitung beschäftigt sind. Stündlich, wenn er will, kann sich der Manager die Rennäste ausdrucken lassen. Er weiß genau, welche Produkte zu welcher Tageszeit gefragt sind. Durch die sofort mögliche Auswertung kann er die kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit ("Kapovaz") realisieren. Das Sortiment läßt sich leicht um die umsatzschwächsten Artikel bereinigen, die Handelsspanne kann aufgrund der umsatzstärksten Produkte berechnet werden. An die artikelweise Umsatzkontrolle läßt sich das automatisierte Bestellsystem anschließen. Die Leistungen der Kassiererinnen fallen höher und gleichmäßiger aus. Sie, wie jeder andere Arbeitsgang in dem automatisierten Bestellsystem - dem computergeregelten Verbund zwischen Hersteller, Lieferanten und dem Einzelhandel - richtet sich mehr nach dem Takt der Apparate und weniger nach den Bedürfnissen der dort Beschäftigten.