SBS kauft sich Outsourcing-Umsatz

07.12.2004
Die Übernahme der RAG Informatik bringt Siemens Business Services (SBS) zusätzliche Einnahmen. Strukturelle Probleme des Münchner IT-Dienstleisters löst sie nicht.

Unerwartet kam der Deal nicht. Spätestens seit März 2004 war klar, dass der Essener Bergbau- und Chemiekonzern RAG seine IT-Tochter loswerden will. Schon eher überraschte die Tatsache, dass der neue Eigentümer SBS heißt: Im hart umkämpften IT-Servicemarkt war die Siemens-Tochter bislang kaum durch größere Übernahmen aufgefallen. Stattdessen diskutierten professionelle Beobachter fast schon regelmäßig die Frage, welche Bedeutung der ungeduldige Siemens-Zentralvorstand dem ertragsschwachen IT-Dienstleister noch beimisst.

Zugang zum Mittelstand

Umso mehr freute sich das SBS-Führungspersonal über den gelungenen Coup: Mit dem Kauf des Gelsenkirchener IT-Dienstleisters erwerbe SBS "Kompetenzen, mit denen wir unser Geschäft mit mittelständischen Kunden ausbauen können", verkündete Bereichsvorstand Jürgen Frischmuth. Was damit gemeint ist, erläuterte der Leiter des deutschen Outsourcing-Geschäfts, Bernd Kraus, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. RAG Informatik sei regional stark verwurzelt und biete daher einen guten Zugang zu mittelständischen Kunden. Darüber hinaus bediene sich der RAG-Konzern einer Vielzahl kleiner und mittelgroßer Zulieferer. "Dieses Potenzial wollen wir nutzen, um besser in den Markt einzusteigen."

Dass gerade Kraus die Vorzüge des Deals erläutert, hat einen Grund: Die Übernahme des Serviceunternehmens mitsamt seinen rund 800 Mitarbeitern (siehe Kasten "Eckdaten") bedeutet für SBS in erster Linie einen großen Outsourcing-Auftrag. Über einen Zeitraum von sieben Jahren werden die Siemensianer IT-Dienste mit einem Volumen von rund 500 Millionen Euro für den RAG-Konzern liefern. Diese Summe sei "eher konservativ angesetzt", sagt der Manager. SBS werde dabei das gesamte IT-Dienstleistungsportfolio abdecken, von der Beschaffung über den Rechenzentrumsbetrieb bis hin zum User Helpdesk und der klassischen IT-Beratung. Bereits seit einigen Jahren betreut SBS die Telefone und Netze von RAG.

Andreas Zilch vom Kasseler Marktforschungs- und Beratungshaus Techconsult sieht den Deal denn auch grundsätzlich positiv: "RAG Informatik hat als Dienstleister im RAG-Konzern einen guten Job gemacht." Zu den Stärken der einstigen IT-Tochter zählt er vor allem den SAP-Betrieb, die RZ-Infrastruktur und das Thema Desktop-Management. Doch es gibt Einschränkungen: So erhält SBS keineswegs automatisch alle Serviceaufträge von RAG. Zumindest solche Aufträge, die das Steinkohlegeschäft betreffen, sind gemäß EU-Recht auszuschreiben. Das bedeutet, dass sich SBS mit anderen externen Dienstleistern messen muss, die womöglich mit günstigeren Kostenstrukturen operieren.

EU-Vorgaben

Kraus relativiert diese Einschränkung: Sie gelte in erster Linie für den Bereich Bergbau und damit für den kleineren Teil der zu vergebenden Aufträge. Zudem erhalte SBS über das Last-Call-Verfahren die Möglichkeit, nach Eingang aller anderen Angebote die eigene Offerte nachzubessern. Auf ein lukratives Servicegeschäft außerhalb des RAG-Konzerns kann SBS mit der IT-Tochter nur bedingt setzen. Lediglich 20 Prozent des Jahresumsatzes von 108 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2003 erwirtschaftete RAG Informatik auf dem Drittmarkt.

Den Kaufpreis für den Dienstleister schätzen einige Experten auf 20 bis 25 Millionen Euro; andere nehmen den Verkauf der ehemaligen Thyssen-Krupp-Tochter Triaton als Maßstab und kommen auf knapp 100 Millionen Euro. Siemens macht dazu keine Angaben. Doch auch mit einer offiziell bestätigten Zahl bliebe unklar, wie teuer SBS der Deal tatsächlich kommt. Denn mit der Übernahme sind weitreichende Sicherungszusagen an die Belegschaft verbunden. Wie aus dem Firmenumfeld zu hören ist, übernimmt Siemens etwa sämtliche Pensionsverpflichtungen für die künftigen Kollegen. In einer offiziellen Erklärung unterstreicht der RAG-Konzern "das überzeugende Mitarbeiter- und Standortkonzept des Bieters Siemens Business Services".

Auf diesen Aspekt verweist auch Peter Kreutter vom Institute for Industrial Organization der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar. Sowohl auf Seiten der RAG Informatik als auch bei SBS ließen sich personelle Überkapazitäten vermuten: "Eine profitable Gestaltung des Business Case bedarf einer deutlichen Erhöhung der Auslastung durch Neugeschäft entweder im Drittmarkt oder im RAG-Konzern. Beides dürfte mit Blick auf den harten Wettbewerb sehr schwierig werden." SBS-Manager Kraus gibt sich dennoch zuversichtlich. RAG Informatik arbeite profitabel: "Wir gehen daher von einer Wachstumsperspektive aus."

Doch dafür muss SBS auch im eigenen Haus aufräumen. Angesichts enttäuschender Geschäftszahlen ist bislang kein Ende des Sparkurses in Sicht. Erst im November bestätigte die SBS-Tochter Sinitec, 600 von insgesamt 1100 Arbeitsplätzen abzubauen

Zumindest im Outsourcing-Geschäft konnte SBS in den vergangenen Monaten eine Reihe von Neuabschlüssen melden. Dazu zählt insbesondere der 2,7 Milliarden Euro schwere Deal mit BBC und eine Verlängerung des Auftrags mit dem staatlichen britischen Finanzinstitut National Savings and Investments. Hinzu kamen Aufträge von der Postbank, dem Versicherungskonzern Gerling, dem Baukonzern Hochtief und der Stadt Wiesbaden. International gelang es SBS zudem, Verträge mit dem finnischen Papierkonzern Stora Enso und dem dänischen Energieversorger Nesa abzuschließen.

Ertragsprobleme

Inwieweit diese Erfolge dazu beitragen, die vom Siemens-Zentralvorstand geforderte Ergebnismarge von fünf bis sechs Prozent zu erreichen, steht auf einem anderen Blatt. Mit einer Marge von 0,8 Prozent lag die IT-Servicetochter im Geschäftsjahr 2004 (Ende: 30. September) deutlich unter den Vorgaben. Hinzu kommt, dass die als Hoffnungsträger angesehene Outsourcing-Sparte Operation Related Services im Finanzjahr 2003 nur etwa 28 Prozent zu den gesamten Einnahmen beisteuerte (siehe Grafik "SBS-Umsatz Geschäftsjahr 2003"). Fast die Hälfte des Umsatzes entfiel dagegen auf das Solutions Business, jenen Bereich also, in dem SBS vor allem das schwächelnde Projekt- und Beratungsgeschäft bündelt.

Die von Experten angemahnte internationale Präsenz der Siemens-Tochter verbessert sich mit dem jüngsten Zukauf nicht. Nach wie vor erzielt SBS fast die Hälfte seiner Einnahmen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass so mancher Branchenkenner hinter dem Deal ganz andere Motive vermutet: Siemens wolle den SBS-Umsatz in die Höhe treiben, um die ungeliebte Tochter später besser verkaufen zu können, lautet ein Gerücht.

IT-Servicespezialist Kreutter mag dieser Interpretation nicht folgen: "Sollte man im Hause Siemens ein Desinvestment von SBS planen, kommt man durch Transaktionen wie RAG Informatik oder Gerling keinen Schritt weiter." Eher nüchtern beurteilt Zilch den Fall: Auf die Strategie des Siemens-Zentralvorstands werde der Zukauf keinerlei Auswirkungen haben: "Dazu ist der Deal zu klein." (wh)