Hoppenstedt-Tochter löste sich aus der Umklammerung

Satz-Rechenzentrum räumt seit 1984 mit Unix-Vorurteilen auf

21.06.1991

"My proprietary home is my castle" - dieses Bekenntnis gilt nicht für die Hoppenstedt Satz-Rechenzentrum GmbH. Das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Darmstadt agiert lieber außerhalb der vermeintlich sicheren Mauern eines proprietären Anbieters. Bereits 1984 fiel die Entscheidung, den Mainframe durch eine offene herstellerunabhängige DV auf Basis von vernetzten Unix-Rechnern zu ersetzen. Neuentwicklungen werden nur noch unter Unix betrieben - die letzten Mainframe-Anwendungen löst man derzeit ab. Zurück will heute keiner mehr.

Hohe Kosten einerseits und Abhängigkeit vom Angebot eines Herstellers andererseits so erlebte Geschäftsführer Volker Dörre seit dem DV-Start bei Hoppenstedt in den 70er Jahren die proprietäre Großrechner-Welt. Der BS2000-Anwender beschloß daher Anfang der 80er Jahre, von der zentralen Struktur auf Abteilungsrechner unter Unix umzuschwenken - ein für die damalige Zeit ungewöhnlicher Schritt. Erinnert sich der DV-Querdenker: "Als ich das erste Mal an einer Unix-Anwender-Konferenz teilnahm, war ich einer der wenigen mit Anzug und Krawatte" - eine Anspielung auf das Jeans- und Turnschuh-Outfit der meist studentischen Unix-Freaks. Heute sei das anders.

Die meisten Argumente, die von Vertretern der proprietären Welt gegen das Betriebssystem Unix und seine Umgebung vorgebracht werden, widerlegt der Praktiker. Den Mainframe-Anwendern graut vor inkompatiblen Produkten und ständigen Anpassungen, die mit einem erheblichen Umstellungsaufwand verbunden sind - ein Aufwand, der daraus resultiert, so wird argumentiert, daß sich die Hersteller im Bereich offener Systeme bisher auf keinen Standard einigen konnten und zudem die am Markt erhältlichen Rechner den Anforderungen nach kurzer Zeit nicht mehr genügten. Kurz: Unix sei noch nicht soweit.

Nach den Erfahrungen Dörres läßt sich das Argument dagegen so nicht halten. Bereits mehrmals konnte Hoppenstedt den Hardwarelieferanten ohne großen Aufwand wechseln - für Zentral-DV-Verfechter eine Horrorvorstellung. Der Hoppenstedt-Manager betrachtet den schnellen Hardwarewechsel eher positiv. Durch den einheitlichen Betriebssystem-Kern der Derivate bereite der Übergang auf eine neue Rechnergeneration nämlich kaum Probleme. Natürlich gebe es in der Unix-Welt hin und wieder Schwierigkeiten beim Verknüpfen von Hard- und Softwaremodulen, weil diese etwa einen unterschiedliche Release-Stand hätten oder sonstwie nicht kompatibel seien. "Dieses Problem stellt sich für die Betreiber von Industriestandard-Mainframes nicht, denn sie finden geordnete Welten vor", bemerkt der Unix-Pionier. Die vielfältigen Möglichkeiten, Peripherie- und Speicherprodukte anzuschließen und auszuwählen, wie sie Unix biete, stünden diesem Anwenderkreis jedoch nicht zur Verfügung. Dörre: "Wir können das, und da gibt es infolgedessen hin und wieder Probleme."

Schwierigkeiten durch Kapazitätsengpässe traten so gut wie nicht auf, zudem ließ sich stets ein DV-Overhead vermeiden. "Grundsätzlich ist es immer so gewesen", sagt Dörre, "daß dann, wenn wir für neu entwickelte Anwendungen mehr Leistung benötigten, gerade die

nächste Generation von Unix-Rechnern da war. Damit konnten wir weitermachen." Mittlerweile biete der Unix-Markt sogar Rechner an, deren Leistungsfähigkeit die Anforderungen der Darmstädter übersteigen würden. Wird zusätzliche Power benötigt, läßt sich jederzeit ein weiterer Rechner ins Netz hängen, und zwar ohne in der Preisliste des proprietären Anbieters gefangen zu sein - ein Umstand, den die Anwender herstellerspezifischer Systeme gerne verschweigen.

Proprietäre Fesseln konnte und wollte Dörre nicht länger dulden. "Wir brauchen in unserer Situation Offenheit und wollen nicht warten, bis ein Anbieter zum Beispiel einen geeigneten Belichter oder Drucker in seine Palette aufnimmt", meint der entscheidungsfreudige Chef. Der Unternehmenserfolg hänge von einer reaktionsfähigen Datenverarbeitung ab, die im Verlag Hoppenstedt ein Produktionsfaktor sei. Der Betrieb verwaltet die Daten für das Hoppenstedt-Verlagsprogramm und bereitet sie druckfertig auf. Die Redakteure stehen im ständigen Dialog mit dem Rechner. Ständig werden aktuelle Änderungen zur Weiterbearbeitung eingegeben. Zugleich sind in die Werke Grafiken einzubinden. "Die Information wird typografisch gestaltet und muß in hoher Qualität auf Papier oder Film gebracht werden", beschreibt der Rechenzentrumsleiter.

Im Rahmen dieser Anforderungen kamen bald die Pferdefüße der proprietären Welt zum Vorschein - als zum Beispiel Scanner oder Laserdrucker anderer Hersteller angeschlossen werden sollten. Endgültig die Nase voll hatten die Darmstädter, als sie 1983 die Datenbanklösung "IDM" des US-Herstellers Britton Lee installieren wollten. Daß dies aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Siemens nicht möglich war, gab dann letztendlich den Ausschlag dafür, einen anderen Weg einzuschlagen. "Hier ist uns die Abhängigkeit richtig bewußt geworden", erinnert sich der DV-Fachmann. Zum Vergleich stellte der Geschäftsführer 1983 beide Welten gegenüber (siehe Tabelle oben):

Bequemlichkeit läßt Dörre schon eher als Argument gegen Unix gelten. "Alles aus einer Hand", wie es die Proprietär-Protagonisten bevorzugen, darauf verzichtet der Unix-Vorreiter. Denn gerade die Möglichkeit, aus den Angeboten verschiedener Hersteller auszuwählen, war für den DV-Mann das Hauptargument, diesen Weg zu beschreiten.

Es wurde vor jeder neuen Hardware-Entscheidung eine Ausschreibung gemacht, so der Geschäftsführer, auch dann, als Hoppenstedt 1990 die Kapazität wegen des gestiegenen Transaktionsbedarfs weiter ausbauen wollte. Der Anforderungskatalog enthielt eine klare Leistungsbeschreibung der Konfiguration: 40 Bildschirm-Arbeitsplätze, 3 GB Plattenspeicher und ein in der Praxis bewährtes meßbares Antwortzeit-Verhalten. Zu den weiteren Kriterien gehörten Aspekte wie etwa die Ausbaufähigkeit des Rechners und die Strategie des Anbieters. Dörre: "Wir haben damals elf Unternehmen angeschrieben: Data General, DEC, HP, IBM, NCR, Nixdorf, PCS, Sequent, Siemens, Sun und Unisys."

Letztlich kamen IBM, Sun, PCS und Data General in die engere Wahl. Die Münchner Periphere Computer Systeme GmbH, bei Hoppenstedt bereits mit vier Cadmus-Rechnern im Geschäft, schied aus, weil die geforderte Leistung nicht wunschgemäß von einem Rechner allein erbracht werden konnte. Sun ließ einen gut durchdachten Vorschlag vermissen, die Problematik schien Dörre nicht genügend getroffen. Bei IBM schien dem Geschäftsführer zufolge die Verfügbarkeit des Systems RS/6000 in der angebotenen Konfiguration nicht gewährleistet - was sich später bewahrheitete -, "außerdem hatten wir den Eindruck, daß IBM zwar offenes System sagt, dies aber nicht so in den Vordergrund stellt, wie andere Anbieter".

Hohe Softwarekosten im Mainframe-Bereich

Die Darmstädter, die wegen der langen Wartezeiten bei Big Blue bereits prophylaktisch ihr Interesse an einem RS/6000-Rechner angemeldet hatten, entschieden sich anders. "Wir wollen uns einer Gruppierung zurechnen, die auf Open-Systems-Standards setzt" bekräftigt Dörre.

Mit einem "Aviion-6200"-Modell machte schließlich Data General das Rennen. Der Geschäftsführer begründet die Wahl: "Die Mitgliedschaft des Herstellers im 88-Open-Konsortium ist als eindeutiges Bekenntnis zu werten. Deswegen erwarten wir für das Unternehmen gute Überlebenschancen." Vorteil der Herstellerunabhängigkeit: Der endgültige Kaufpreis lag schließlich 75 Prozent unter dem höchsten Angebot. Neben der Hardware mit einem Listenpreis von 650 000 Mark investierte Hoppenstedt 150000 Mark in Software für Betriebsystem, Datenbank Entwicklungssystem und Netzwerk.

Hohe Softwarekosten im Mainframe-Bereich sind ein weiterer Kritikpunkt, den der Unix-Pionier rückblickend anführt. "In der BS2000-Welt sollten 1983/84 die Ausgaben für Datenbanksoftware, wie wir sie brauchten, rund 500 000 Mark betragen", berichtet Dörre - für die Mittelständler eine große Ausgabe. Zudem sei "Sesam" von Siemens nach damaligen Messungen des Anbieters nur auf einem um zwei Stufen größeren Rechner einsetzbar gewesen. "Das war nicht zu finanzieren", so der RZ-Chef.

Ein 1983 als Übergangslösung erworbener gebrauchter Siemens-Rechner 7550D soll bis Ende 1992 abgelöst werden, wie auch die in der holländischen Tochter installierte BS2000-Maschine aus Kostengründen derzeit ausrangiert wird. "Unter Unix bestand schon damals für das Unternehmen die Möglichkeit, mit relationalen Datenbanken zu arbeiten, die auf den verschiedenen Hardwareplattformen einsatzfähig sind, wie zum Beispiel Oracle", bemerkt Verkaufsleiter Ulrich Müller. Solche Lösungen seien in der Mainframe-Welt nicht verfügbar oder nicht bezahlbar gewesen. "Dasselbe gilt für 4GL-Werkzeuge", fügt der Open-Systems-Fan hinzu. Oracle habe zwar auf der Siemens-Maschine die Portierung gestartet, das Projekt sollte in zwei Jahren abgeschlossen sein. "Doch real hätten wir fünf Jahre warten müssen", erzählt Dörre, "neben dem finanziellen Aufwand hat uns hier die Zeitkomponente dazu getrieben, unabhängig zu werden."

Weiter in Richtung offene Systeme

Diskussionen über Datensicherheit unter Unix finden bei Hoppenstedt ebenfalls keinen fruchtbaren Boden. "Wir sind kein Krankenhaus, keine Fluggesellschaft, keine Versicherung und keine Bank. Diese Sicherheitsanforderungen haben wir nicht", erklärt der DV-Fachmann. Der Sicherheitsstandard sei bisher weder in der Siemens-Welt noch im kommerziellen /38-Bereich, der bei Hoppenstedt eigenständig operiert, höher gewesen.

Das Vorurteil, Unix biete dem Anwender keinen Komfort, sei dem Geschäftsführer zufolge ebenfalls nicht zu halten. Für die Endanwender, also die Redakteure, ist das Betriebssystem kein Schreckgespenst. "Wir merken gar nichts vom Betriebssystem kein eine Redakteurin, "das Programm ist einfach zu bedienen, die Einarbeitungszeit war kurz. Zudem ist der Komfort deutlich gestiegen." Die 14 Software-Entwickler des Rechenzentrums sind ebenfalls zufrieden. Die Fachleute arbeiten mit "Uniface", einem Entwicklungs-Tool für Dialoganwendungen - nach Dörre eine benutzerfreundliche Oberfläche, komforatabler als die Oberfläche der /38, die in der Abteilung für kommerzielle DV eingesetzt wird. Analysen beanspruchen dabei einen erheblichen Teil der Entwicklungsarbeit. Stapelprogramme schreiben die Informatiker in C, für Dialogsoftware nutzt man Uniface. Das 4GL-Tool arbeitet deklaratorisch nach der ANSI-3-Schema-Architektur, wodurch sich das Entwickeln effizient durchfuhren läßt.

Probleme, Mitarbeiter zu finden, die damit programmieren wollen und dies auch können, hat das Unternehmen nicht. Dörre entkräftet das Argument der Mainframe-Protagonisten, es gebe zuwenig -Programmierer für Unix: "Bisher haben wir immer gute Leute bekommen." Die Bewerber kommen alle von den Hochschulen. Dörre: "Wir sind als Arbeitgeber attraktiver, weil wir nicht Cobol und AS/400 einsetzen, sondern mit Unix, relationaler Datenbank, 4GL und C arbeiten." Der Trend gehe eher in diese Richtung als hin zu IBM, meint auch Verkaufsleiter Müller. Bis zu 30 000 Mark müsse das Unternehmen jedoch in die weitere Ausbildung der Hochschulabgänger investieren. Der Grund hierfür sei jedoch nicht am Markt, sondern, so die Erfahrung des DV-Fachmanns, bei der praxisfremden Ausbildung an den Hochschulen zu suchen.

Einschätzungen haben sich bestätigt

Blickt der DV-Mann heute auf den 1983 erstellten Vergleich zwischen BS2000 und Unix zurück, haben sich die Einschätzungen bestätigt. im Preis-Leistungs-Verhältnis der Hardware bewegen sich Dörre zufolge auch heute die beiden Welten etwa auf dem gleichen Niveau. Das liege daran, daß man mit Unix flexibler sei und daher mehr Ansprüche an die Anwendung stelle. "Wir sind nicht mehr mit ISAM-Strukturen und Character-Bildschirmen zufrieden", erklärt der RZ-Chef, "das kostet Power." Zudem gingen die Produzenten von Standardsoftware mit den Ressourcen nicht sehr sparsam um. "Die modernen Standardpakete sind hervorragende Maschinenverkäufer", bedauert Dörre.

Im Softwarebereich komme Unix für ein Unternehmen auf jeden Fall günstiger. Die Kosten für Softwarelizenzen lägen für Unix-Maschinen trotz der Leistungskraft deutlich unter den Aufwendungen für Programme in der Großrechner-Welt. Dörre: "Unterm Strich, pro Arbeitsplatz gerechnet, kostet eine Unix-Umgebung weniger."

"Die Entscheidung, 1983/84 auf Unix umzuschwenken, war richtig", bekräftigt Dörre. Voraussetzung dafür war jedoch ein Management, daß dem DV-Fachmann weitgehend freie Hand ließ. Probleme mit Vorständen - Tenor: "Mit IBM wäre das nicht vorgekommen" - gab es bei Hoppenstedt nicht. Die Fachleute im Satz-Rechenzentrum konnten die technische Auswahl treffen, einzig die Investition als solche mußte genehmigt werden. "Wenn das Angebot von IBM oder Siemens ausreicht und wenn der Verantwortliche gut schlafen will, soll er in dieser Welt bleiben", frotzelt der Open-Systems-Kämpfer, "wir gehen weiter in Richtung offene Systeme."

Die Hoppenstedt Satz-Rechenzentrum GmbH

Die Hoppenstedt Satz-Rechenzentrum GmbH ist eine 100prozentige Tochter des Verlag Hoppenstedt, Darmstadt. Gemeinsam starteten die Unternehmen Mitte der 70er Jahre mit einem BS1000-System in die DV. Auf dem Rechner liefen sowohl die kommerziellen Programme des gesamten Hauses Hoppenstedt. als auch die redaktionellen Anwendungen des Satz-Rechenzentrums. Als die Tochtergesellschaft 1980 beschloß, auf BS2000 zu wechseln, zog die kommerzielle DV-Abteilung des Verlags nicht mit. "Siemens konnte für diesen Bereich die Anforderungen nicht erfüllen", erklärt Dörre, "da koppelte sich die kommerzielle Seite ab und wählte ein IBM/38-System." Das hatte zur Folge, daß eine integrierte DV nicht zustande kam. Heute will man beide Welten miteinander verbinden.

Das Satz-Rechenzentrum verwaltet die redaktionellen Daten der Verlagsgruppe in strukturierter Form in mehreren relationalen Datenbanken. Zum Aufgabenbereich des Unternehmens gehört die satzfertige Aufbereitung der Daten für die Publikationen des Verlags. Über Medien wie Disketten, Magnetbänder und CD-ROM stehen die Informationen dem Kunden auch direkt zur Verfügung. Via DFÜ lassen sich auch Online-Verbindungen aufbauen, etwa um von der Kursdatenbank Börsenkurse und Wertpapier-Informationen abzufragen.

Zudem tritt das Rechenzentrum als Dienstleistungsbetrieb auf Zu den Schwerpunkten zählen Software-Erstellung, Systemanalyse, Beratung sowie die Produktion fertiger Druckvorlagen und die Datenaufbereitung. Von den 26 Mitarbeitern - 1991 sollen es 29 werden - sind 14 aktiv mit der Software-Entwicklung beschäftigt.