"Enron von Indien"

Satyam-Chef Raju in Haft

08.01.2009
Milliardenbetrüger und Satyam-Chef Raju wurde am Freitag festgenommen. Für die Kunden des Offshore-Anbieters folgt eine Phase der Unsicherheit.

Nach dem Milliardenbetrug bei Satyam ist Firmengründer und Vorstandschef Ramalinga Raju festgenommen worden. Auch sein Bruder, verantwortlich für das operative Geschäft des viertgrößten indischen IT-Dienstleisters, kam am Freitagabend in Haft. Beiden Brüdern wird Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen. Nach Medienberichten drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft. Die Regierung will zehn neue Mitglieder in das Führungsgremium des Unternehmens entsenden. Das bisherige Satyam-Board wurde aufgelöst.

Raju hatte in einem Schreiben an den Aufsichtsrat vergangenen Mittwoch massive Bilanzfälschungen zugegeben. So habe er für das vergangene Quartal Ende September 2008 eine Gewinnmarge von 24 Prozent ausgewiesen - in Wirklichkeit lag sie nur bei drei Prozent. Allein das Firmenvermögen sei um umgerechnet 760 Millionen Euro zu hoch angegeben worden. Insgesamt belaufen sich die Fehlbeträge auf mehr als eine Milliarde Euro. Die Fälschungen hätten mit einer kleinen Lücke angefangen und sich über die Jahre hinweg immer mehr ausgeweitet, schrieb Raju. "Ich habe einen Tiger geritten und wusste nicht, wie ich absteigen kann, ohne gefressen zu werden."

Nach Bekanntwerden des Bilanzskandals war der Aktienkurs von Satyam an der Börse in Mumbai binnen weniger Stunden um fast 78 Prozent abgestürzt. Der Wert des Unternehmens schmolz damit innerhalb weniger Monate von sieben Milliarden Dollar auf knapp 500 Millionen Dollar zusammen. Die Finanzbranche spricht bereits von einem indischen Enron-Fall und zieht damit Parallelen zu dem folgenschweren Kollaps des US-Energiehändlers.

Folge eines extremen Wettbewerbsdrucks

Wie der Chef und Gründer des familiengeführten Unternehmens so weit gehen konnte, lässt sich laut Matzke nur mit dem extremen Wettbewerbsdruck erklären. "Die CEOs der indischen Branchenriesen haben sich schon immer gegenseitig hochgepusht: Wenn der eine 25 Prozent Marge gemacht hatte, musste der andere 26 Prozent erzielen, um nicht hintendran zu bleiben." Das sei allerdings nicht Indien-spezifisch. "Seit dem Jahr 2000 versuchen ja viele Firmenchefs, sich in ihren Wachstumszielen und Expansionsgelüsten zu überbieten."

Noch im Dezember hatte der Konzern versucht, zwei Baufirmen zu kaufen. Raju hatte diesen Vorstoß als Diversifizierungsstrategie verkauft, in Wahrheit wollte er damit die fehlenden Lücken in der Bilanz schließen. Die institutionellen Anleger hatten sich jedoch geweigert, den Akquisitionen zuzustimmen, weil die Satyam-Gründer selbst an den Baufirmen beteiligt waren. Erschwerend kam noch hinzu, dass die Weltbank - einer von Satyams wichtigsten Kunden - Bestechungsvorwürfe erhob und den indischen Software- und Serviceanbieter für acht Jahre von neuen Aufträgen ausschloss. Erst als er definitiv keinen Ausweg mehr sah, trat Raju schließlich an die Öffentlichkeit.

Alle Kontrollmechanismen versagten

Alles in allem wirft der Vorfall die Frage auf, wie es passieren konnte, dass die gesamten Kontrollmechanismen versagt haben. "Es müssten doch noch mehr Satyam-Manager Einblick in die Bücher gehabt haben", wundert sich Matzke. Auch dass die Wirtschaftsprüfer von PriceWatershouse Coopers offenbar die Augen zugemacht haben, macht den Experten stutzig: "Nach den Skandalen um Enron und Worldcom ist man als Auditor doch dreimal vorsichtig - speziell in schnell wachsenden Märkten." Er kenne die Sachlage zwar nicht genauer, "aber das alles erscheint mir wie eine Aneinanderreihung von menschlichen Fehlern und Selbstüberschätzung."

Die Folgen für Satyam

Den Analysten von Ovum zufolge ist Satyam dadurch ein enormer Schaden entstanden, der die Existenz des Unternehmens bedrohe. Bereits vor dem Skandal war immer wieder spekuliert worden, dass Satyam von einem Konkurrenten geschluckt werden könnte. Um dies zu vermeiden, habe er die Zahlen geschönt, schrieb Raju in seinem Brief. Durch den jüngsten Kursabsturz ist eine Übernahme von Satyam noch wesentlich wahrscheinlicher geworden - sofern die indische Regierung nicht einsteigt. "Oder das Unternehmen wird zerschlagen und in Einzelteilen verkauft wird", so Ovum-Experte David Mitchell.

Auch nach Ansicht von Forrester-Analyst Matzke sieht es für Satyam nicht gut aus: "Satyams Argumentationsbasis - kostengünstige und gleichzeitig hochprofitable Offshore-Dienste anzubieten - ist hinfällig geworden." Viele Kunden werden sich jetzt nach Alternativen umschauen, glaubt der der Experte: "Die meisten großen Anwenderunternehmen haben ja bereits mehrere Offshore-Anbieter im Portfolio, denen sie die bislang von Satyam erbrachten Dienste übertragen können." Dies wäre durchaus berechtigt - auch weil die Mitarbeiter das Unternehmen derzeit in Scharen verlassen: Einem Bericht der indischen "India Economic Times" zufolge haben bereits 15.000 der insgesamt 56.000 Angestellten ihre Lebensläufe auf diversen Job-Sites gelistet. "Vor allem die guten Leute wollen so schnell wie möglich weg. Und dadurch leiden natürlich die Projekte, die momentan bei den Kunden laufen", so Matzke.

Die Folgen für den globalen Outsourcing-Markt

Die Analysten von Ovum befürchten zudem, dass unter dem Skandal nicht nur das Geschäft von Satyam, sondern der weltweite Outsourcing-Markt leiden könnte. Wenn die Anwender grundsätzlich das Vertrauen in die IT-Dienstleister verlören, werde dies der ohnehin durch die Finanzkrise angeschlagenen IT-Branche zusätzlichen Schaden zufügen, so das Argument.

Die Folgen für den Offshore-Standort Indien

In Indien sorgt man sich derweil um das Image der Offshore-Region. Investoren sollen bereits angekündigt haben, bei künftigen Engagements auf dem Subkontinent genauer hinzuschauen. Das Branchenschwergewicht Infosys befürchtet, dass ausländische Serviceanbieter den Skandal zu ihrem Vorteil nutzen könnten.

Forrester-Analyst Matzke glaubt allerdings nicht, dass der Vorfall dem Offshrore-Standort Indien ernsthaft schaden werde. Satyam sei ein Einzelfall: "Es wäre falsch, die Inder jetzt unter Generalverdacht zu stellen." Bei den TCS, Infosys und Wipro handle es sich um gut aufgestellte und anerkannte Unternehmen, die zum Teil an der US-Börse gelistet seien und sich den dortigen Regularien stellten.

Zudem könne der Subkontinent mit überproportional vielen hoch qualifizierten und erfahrenen IT-Fachkräften aufwarten. "Es gibt eigentlich keine andere Offshore-Region, die hier mithalten kann", so der Experte. Viele der Offshore-Dienste würden ja auch längst nicht mehr nur von indischen, sondern auch von US-amerikanischen Anbietern erbracht. "Und auch Satyams indische Konkurrenten werden profitieren, wenn sich die Kunden von dem angeschlagenen IT-Dienstleister abwenden und auf andere Anbieter umsteigen."

Nach Ansicht von Matzke sollte die Offshore-Branche den Vorfall als " heilsamem" Schock sehen und sich stärker an den Bedürfnissen ihrer Kunden ausrichten. "Ihre Chancen stehen ja zurzeit besonders gut: Viele Anwenderunternehmen, die bislang zurückhaltend in Sachen Offshoring waren, werden hier jetzt angesichts der Rezession aktiv", argumentiert der Analyst. Allerdings müssen die die indischen Anbieter im deutschsprachigen Markt stärker Fuß fassen, mahnt der Experte: "Um Weltmarktführer zu werden, gilt es nicht nur globale Strategien zu verfolgen, sondern für jedes Land eine dedizierte Strategie zu entwickeln."