Satellitennetze/ Anwendungen der Satellitentechnik

Satellitennetze Anwendungen der Satellitentechnik Als Verteilstation entfalten orbitale Sender ihre Wirkung

14.08.1998

Um ein Haar hätte die Jenoptik AG die Idee aufgegeben, die Einführungsnotierung der Jenoptik-Aktie mit einer "Event-TV"-Sendung zu krönen. Die einstündige Direktübertragung von der Frankfurter Börse in die Firmenstandorte sollte mit konventioneller Technik 380000 Mark kosten.

Doch dann kam ein Angebot, dem der Börsenneuling nicht widerstehen konnte: eine moderierte Sendung mit Filmen über Jenoptik, Interviews und Live-Einblendungen; Ausstrahlung via Satellit; Kostenpunkt: rund 150000 Mark. So schnupperten Mitarbeiter mit Belegschaftsaktien Mitte Juni in Hamburg, Berlin, Stuttgart, Jena und Nürnberg vor Großleinwänden und -bildschirmen erstmals "Börsenluft", wie sich Vorstandsvorsitzender Lothar Späth ausdrückte.

Was ist zu tun, um 7000 Mitarbeiter in mehr als 200 Filialen immer wieder zu informieren, zu schulen und anzuleiten? Auf diese Frage hat die Autofachmarktkette Auto-Teile-Unger (A.T.U.) 1998 eine neue Antwort gefunden: Business-TV. In einem Pilotprojekt sahen Mitarbeiter der Filialen zu einem vorherbestimmten Termin über Satellit gesendete Filme zu den Themen "Kundenorientierung, "Produktschulung" und "Montageanleitung".

Wilfried Prokein, bei A.T.U. zuständig für die Personalentwicklung, sieht in dem Schulungsfernsehen keinen Ersatz, sondern eine "Unterstützung" herkömmlicher Bildungsmaßnahmen. Die Ausstrahlung via Satellit ist für Prokein "wirtschaftlicher als das Kopieren von Videokassetten". Firmenchef Peter Unger lobt die TV-Veranstaltung sogar als "die effizienteste Form der Schulung" für ein dezentral organisiertes Unternehmen.

Seit wenigen Monaten strahlt die Firma Fainex International mit Sitz in London unter dem Titel "Winquote" 24 Stunden am Tag Echtzeitinformationen aus dem Wirtschafts- und Finanzsektor über Satellit aus. Der Informationsdienst ist über einen gebräuchlichen Parabolspiegel mit rund 60 Zentimeter Durchmesser und eine PC-Einsteckkarte zu empfangen. Winquote-Abonnenten können jederzeit Informationen von internationalen Devisenmärkten, von Aktienbörsen sowie über Termin- und Optionsgeschäfte abrufen.

Das von Fainex bei den Kunden installierte Equipment eignet sich auch zum Empfang anderer Datendienste und für den High-Speed-Zugang zum Internet.

Die Satellitentechnik sprengt die engen Grenzen der Datenübertragung über ISDN-Leitungen. Der Betreiber des Astranet in Luxemburg, die "European Satellite Multimedia Services" (ESM), rechnet den Unterschied an einem Beispiel vor: Die Übertragung einer 10-MB-Datei dauert mit der ISDN-Übertragungsrate von 64 Kbit/s etwa 22 Minuten, via Satellit an einen PC mit 6 Mbit/s nur 14 Sekunden. Als maximale Datenrate nennt EMS 38 Mbit/s.

Damit lassen sich gigantische Datenmengen gleichzeitig an beliebig viele Orte übertragen. Während Kabelleitungen lediglich zwei Orte (point to point) verbinden, strahlt der Satellit von einem Punkt zu vielen Orten (point to multipoint) aus. Es spielt dabei keine Rolle, ob es sich um Bild-, Sprach-, Video-, Audio-, Text- oder Internet-Daten handelt. Neben der Echtzeit-Übermittlung sind Sendungen zu einem festgelegten Zeitpunkt oder auf Anforderung möglich.

Nutznießer sind internationale Firmen

Den größten wirtschaftlichen Nutzen bringt die Ausstrahlung von Daten an viele Adressaten. Da die Kosten im Gegensatz zur Übertragung per Kabel bei wachsender Empfängerzahl konstant bleiben, lohnt sich die Ausstrahlung über Satellit vor allem für Unternehmen, die von einer Zentrale aus viele Filialen und Standorte regelmäßig mit Informationen versorgen wollen. Zu den Nutznießern zählen auch internationale Firmen, da Satelliten eine länderübergreifende Reichweite besitzen und sich über den Link zwischen Satelliten mehrere Abstrahlungsgebiete verknüpfen lassen.

Über Rückkanäle läßt sich sogar Interaktivität realisieren. So können Mitarbeiter im Business-TV-Studio anrufen, um Fragen zu stellen, am Bildschirm Aufgaben lösen und das Ergebnis zur Auswertung zurücksenden. Um diese bahnbrechenden technischen Möglichkeiten zu nutzen, preisen neuentstandene Dienstleister, überwiegend Töchter großer Telekommunikations- und Medienunternehmen, vielfältige Geschäftsideen.

Neben dem Event- und Business-TV wird das POS-TV propagiert. Dabei handelt es sich um Filme, die den Kunden am "Point of Sales" (POS) zum Kauf eines Produkts animieren. Neben Filmen sind Präsentationen in Internet-Technologie möglich, die dem Kunden die eigenständige Recherche ermöglichen. Die Übertragung von Updates via Satellit hält Filme und Präsentationen auf dem aktuellen Stand.

Die gleichzeitige und rasche Verbreitung der gleichen Daten an Filialen und Standorte eines Unternehmens kommt in Frage für Einzelhandelskonzerne, die ihre Kataloge und Preislisten permanent aktualisieren. Sogar die direkte Übertragung der neuesten Preise in sämtliche Kassensysteme ist bereits angedacht, so etwa bei A.T.U. Die Service-Provider umwerben ferner Banken, die den Inhalt von Datenbanken überspielen, und Softwareschmieden, die ihre Programme via Satellit updaten könnten.

Telefonverbindungen und Datenleitungen in Weltregionen mit unterentwickelter Infrastruktur sollen etwa Konsulate im Fall des Zusammenbruchs der Infrastruktur vor Ort wieder mit der Außenwelt in Kontakt bringen. Ähnliches gilt für Ölbohrinseln und Firmen, die in Wüsten und anderen entlegenen Regionen agieren.

Nicht alle Geschäftsideen halten einer kritischen Prüfung stand. Die Kölner Agentur Satway im "Media-Valley am Rhein", selbsternannte "Know-how-Schmiede" für TV-, Video- und Web-Kommunikation, stellt in ihrem Prospekt am Beispiel der fiktiven Firma "Produkta" den Segen von Videokonferenzen via Satellit in Deutschland vor. Durch die Einsparung von Meetings der "Regionalleiter" und "Vertriebsbeauftragten" könne das imaginäre Unternehmen pro Monat erhebliche Fahrt- und Abwesenheitskosten einsparen, meint Satway, eine Tochter des Metro-Konzerns, die 15 feste Mitarbeiter beschäftigt und mit ihrem Beispiel mittelständische Unternehmen ansprechen will.

Doch für nationale und internationale Videokonferenzen wird in den meisten Fällen kein Satellit benötigt, da ISDN-Leitungen genügend Übertragungskapazität aufweisen und innerhalb Deutschlands geringere Kosten verursachen. Die von der Frankfurter Firma MVC organisierte Finanz-Videokonferenz "Global 24" verband im Juli dieses Jahres rund um den Globus neun Finanzzentren, mit dabei waren Peking, Sao Paulo, New York, Johannesburg und Frankfurt, übertragen wurde über ISDN.

Bei den meisten Service-Providern müßten die Sendezeiten vorher gemietet werden. Dadurch besteht die Gefahr, daß Videokonferenzen zu einem späteren Zeitpunkt als geplant stattfinden und die gemieteten Stunden ungenutzt verstreichen. Auch kann man nicht länger konferieren, als Sendezeiten gebucht sind - ein Handicap bei schwierigen Verhandlungen in der entscheidenden Phase. Videokonferenzen über Satellit, so Bruno Berning, technischer Leiter bei Picturetel, rechnen sich erst dann, wenn ein Ort eingebunden werden soll, der noch nicht über ISDN erschlossen ist, beispielsweise in Südostasien, Afrika oder im Kaukasus.

Ein zweites Beispiel aus dem Satway-Prospekt wirft ebenfalls Fragen auf. Nach der Darstellung kann die fiktive Firma "Hausfit" 18 Prozent der Schulungskosten einsparen, wenn sie anstelle von Veranstaltungen mit einem Trainer das Business-TV setzt. Bei 280 Teilnehmern, rechnet Satway vor, kosten zehn Veranstaltungen mit einem Trainer 255000 Mark, eine Sendung Business-TV lediglich 209000 Mark. Doch macht eine Informationssendung alle Kurse und Schulungen ohne Qualitätsverlust überflüssig?

Heinz Mandl, Professor für pädagogische Psychologie an der Universität München, beurteilt das Firmenfernsehen als "durchaus effizient", um etwa die Erweiterung der Produktpalette oder Neuerungen im Betrieb mitzuteilen. Filme könnten das Interesse an der vertieften Beschäftigung mit einem Thema wecken. Es sei jedoch nicht sinnvoll, nur noch in TV-Sendungen zu investieren. Der Einsatz eines einzigen zentralen Mediums widerspreche "modernen, eigenaktiven und selbstgesteuerten Lernformen".

Wie beim Telekolleg sollten die Firmen in einem "Medienverbundansatz" die Übertragung von TV-Filmen, die Arbeit mit Büchern, die Lösung von Aufgaben und die Diskussion in Zirkeln verknüpfen. Keinesfalls könnten TV-Veranstaltungen umfangreiches Wissen vermitteln, etwa wie in Kursen über Projektmanagement oder Personalführung, betont Heinz Mandl..

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Ihre Stärken können Satellitendienste vor allem dann ausspielen, wenn über sie Kommunikationsanwendungen abgewickelt werden, die Informationen von einer Datenquelle zu einer Vielzahl von Empfängern transportieren. Zum Einsatz kommt die Satellitentechnik daher bei firmeninternen TV-Sendungen, etwa zu Schulungszwecken, und bei der Distribution von Präsentationsvideos. Videokonferenzen zwischen nationalen Niederlassungen rechnen sich dagegen aufgrund der ISDN-Alternative nicht immer.

Johannes Kelch ist freier Journalist in München.