SAPs Sündenfall: Einstieg in den Servicemarkt

29.10.2001
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Riem Sarsam war Redakteurin des CIO-Magazins.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - SAP riskiert mit seiner Ankündigung, die Beratertruppe für internationale Geschäfte unter dem Namen SAP Global Service Organization (SAP GSO) auszubauen, Unruhe im Markt. Damit richtet sich der Softwarehersteller zwar an den Kundenbedürfnissen aus, verprellt aber externe Consultants.

"Es ist mal wieder soweit, dass SAP eine stärkere Präsenz beim Kunden benötigt", folgert ERP-Experte Helmuth Gümbel von Strategy Partners aus den jüngsten Ankündigungen. Von Seiten der Kunden sei schon immer eine größere Nähe zum Hersteller gewünscht worden, die indirekte Unterstützung über weltweit agierende Beratungspartner sei bei großen Kunden nie besonders gut angekommen Den Frust der Kunden scheinen die Walldorfer nun ernster zu nehmen - zumindest was die großen, international tätigen und damit wichtigen Klienten betrifft. Für die mittelständische Kundschaft - so bisher die offizielle Lesart - ist eine direkte Unterstützung nicht geplant.

Konkret plant SAP seine internationale Beratungskapazität auf mindestens 1000 Leute aufstocken. Offiziell heißt es, dass die Zahl der Mitarbeiter "in den vierstelligen Bereich“ gehen werde. Genauere Angaben wolle man nicht machen. Die Mitarbeiter sollen teilweise aus eigenen Abteilungen, aber auch durch Neueinstellungen rekrutiert werden. Der Grund für die nun stattfindende Etablierung einer auf internationale Projekte ausgerichtete Mannschaft liegt in Schwierigkeiten, die die bisherige Praxis zeigte. "SAP hatte schon immer das Problem im internationalen Bereich, da multinationale Kunden von lokalen Implementierungspartnern betreut wurden", erklärt Gümbel. Eine übergeordnete weltweite Organisation globaler Einführungsprojekte sei die Ausnahme gewesen. Mit der neuen Struktur versucht SAP nun dieses Manko in den Griff zu bekommen. Angesichts des neuen Bekenntnisses von SAP, in einigen Bereichen mit zuviel Personal ausgestattet zu sein, wird Gümbel auch den Verdacht nicht los, dass das neue Programm einigen Mitarbeitern in Zeiten lauer Lizenzgeschäfte auch beim "Überwintern" helfen soll. Fakt ist aber auch, dass SAP seine Truppe in Zeiten gründet, in denen deutliche Überkapazitäten im Beratermarkt sichtbar werden. Darüber hinaus riskiert SAP, langjährige Partner zu verärgern, denen die Walldorfer nun Konkurrenz machen.

Ginge es allein um die Kundenzufriedenheit, wäre SAP dieses Risiko wohl schon deutlich früher eingegangen. Die Service- und Beratungspartner sind jedoch immer auch Vertriebspartner, die die Software zwar nur selten verkaufen, aber doch häufig empfehlen. Offenkundig haben sie diesen Job in den vergangenen Monaten vernachlässigt und statt der neuen SAP-Projekte CRM und SCM Alternativlösungen empfohlen, die schon länger am Markt etabliert sind. Beispielsweise haben große SAP-Partner wie Siemens Business Services Kapazitäten für Siebel und I2 Technologies aufgebaut und müssen im SAP-Umfeld erst noch Skills für die neuen Produkte heranziehen.

Offensive im CRM-Markt

SAP hat sich denn auch in den vergangenen Monaten in einer breit angelegten Image-Kampagne darum bemüht, seinen jüngsten Produktentwicklungen zu einem höheren Bekanntheitsgrad zu verhelfen, und auch die Ausrichtung der neugeschaffenen Organisation zielt in diese Richtung. „Das Unternehmen baut seine personellen Ressourcen im Beratungsgeschäft vor allem im Umfeld von Mysap.com und CRM auf“, beobachtet Nils Niehörster von Raad Consulting. 500 Berater sowie 200 Vertriebler sollen allein im Bereich CRM eingestellt werden. "SAP versucht tiefer in den Markt vorzudringen", so Niehörster.

Als Beispiel für die Probleme, die SAP hier mit seinen Partnern hat, mag Accenture gelten. Der langjährige SAP-Gefährte bildete nicht nur zahlreiche Mitarbeiter auf die CRM-Suite von Siebel aus, er beteiligte sich auch finanziell an dem Unternehmen. Gleichzeitig kann sich das ehemals als Andersen Consulting firmierende Unternehmen nur zögerlich aufraffen, das neueste Zertifizierungsprozedere für die höchste SAP-Partnerstufe, dem „Alliance Partner“, zu unterziehen. Dies geschieht nicht nur, weil das Zertifikat mit Kosten verbunden ist, sondern auch weil die Dienstleister zunächst abwarteten, ob SAP es schafft, in den neuen Märkten Fuß zu fassen.

Deshalb gilt es nun für SAP in Sachen Mysap.com und anderen innovativen Geschäftszweigen Vertrauen aufzubauen - und zwar bei Kunden wie Partnern gleichermaßen. Denn auch wenn die Walldorfer nun mit einer eigenen Truppe bei großen Kunden die Projektverantwortung haben, das Unternehmen wird auch künftig auf seine Partner angewiesen sein: "SAP wäre niemals in der Lage, all diese internationalen Beratungs- und Implementierungsgeschäfte alleine zu stemmen" urteilt Experte Gümbel. Mit seiner Standardsoftware R/3 sei dem Hersteller der Balanceakt zwischen dem Partnergeschäft und dem eigenen Business gelungen. Mit Mysap.com muss er sich dieser Herausforderung erneut stellen.

Die Berater-Mannschaft wurde demnach einerseits gegründet, um dieses Geschäft anzuschieben, andererseits sollen Pannen während der Markteinführung vermieden werden. „Die Kerneigenschaft einer Standardsoftware, die das Rückgrat des Unternehmens bilden soll, ist Zuverlässigkeit,“ betont Niehörster. Weil die Software noch kaum etabliert und der Markt misstrauisch sei, dürfte sich SAP hierbei keine großen Fehlschläge leisten. Ein Imageschaden kann das Unternehmen härter treffen als der Zeitverlust für Anpassungen, der durch ein misslungenes Projekt entstehe.

"Wenn bei einem kleinen Kunden mal etwas fehlschlägt, dann lässt sich der Schaden eher mit Zugeständnissen beheben, als wenn bei einem Konzern etwa durch ein fehlgeschlagenes Lieferketten-Management Absatzprobleme eintreten,“ meint Niehörster. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Ebenso geht es darum, die Beratungsengpässe im Umfeld der neuen SAP-Produkte zu entschärfen. Somit dürfte es für den Anwender wesentlich attraktiver sein, sich direkt vom Hersteller beraten zu lassen. Dieser wiederum behält die Kontrolle, kann seine Erfahrungen direkt in die Weiterentwicklung des Systems einbringen und erzielt zusätzliche Umsätze aus der Beratungstätigkeit.

Letzteres könnte sich entscheidend auf die künftige Strategie des Unternehmens auswirken. Zwar gehen die Meinungen darüber auseinander, inwieweit der ERP-Markt als gesättigt gilt, Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass die Wachstumsraten - zumindest in der gegenwärtigen Konjunkturkrise - sinken. Die gerade veröffentlichten Zahlen für das dritte Quartal belegen, dass auch bei SAP das Produktgeschäft nachlässt. Der Verkauf der Softwarelizenzen ging im Vergleich zum Vorjahr um sieben Prozent auf 447 Millionen Euro zurück. In den vergangenen Jahren hatte SAP immer ein konstantes Wachstum um rund 23 Prozent aufweisen können, nun senkte das Unternehmen seine Erwartungen auf einen Anstieg von rund 15 Prozent für das Gesamtjahr 2001. Als börsennotiertes Unternehmen, das unter Wachstumsdruck steht, tut SAP in jedem Fall gut daran, sich nach Kompensationsmöglichkeiten für sinkende Lizenzeinnahmen umzuschauen. Denn auch wenn das Beratungs- und Servicegeschäft als längst nicht so profitabel gilt wie der Verkauf von Lizenzen, stellt es doch eine solide und berechenbare Einnahmequelle dar.

Die Kunden sehen die Gründung der globalen Serviceeinheit positiv. Stellvertretend für die Anwender ist sich Genoveva Hodel, zuständig für die Beschaffung von IT-Consultants beim Pharmakonzern Roche sicher: "Zumindest ist die Gründung von SAP GSO für uns kein Nachteil". Die Walldorfer treten aus ihrer Sicht einfach als ein weiterer Anbieter von Beratungsleistungen an den Markt. Gleichzeitig meldet sie jedoch Bedenken an, ob eine zu starke Dominanz von SAP nicht auch Folgen für die künftige Preispolitik haben könnte. Skeptisch sieht sie auch die Hoheit in Sachen Schulung, die SAP schon jetzt innehat und die nun weiter ausgebaut beziehungsweise ausgenutzt werden könnte. Auch dürfte mit der Beratung durch den Hersteller ein Interessenkonflikt zwischen Produktverkauf und neutraler, sprich herstellerunabhängiger Beratung vorprogrammiert sein.

Mit der Gründung von SAP GSO stößt SAP die Partner nicht zum ersten Mal vor den Kopf. Unternehmen wie SAP SI, SAP Markets oder SAP Portals haben ebenfalls dafür gesorgt, dass sich das Verhältnis deutlich abgekühlt hat. Die Strategie geht eindeutig zu Lasten der Consultants, die damit einen Teil ihres Geschäfts an die Walldorfer abgeben müssen. Waren bisher die Leidtragenden jedoch eher in den Reihen der Mittelstandspartner zu finden, so dürften nun die großen Häuser die Betroffenen sein. Die Betreuung internationaler Projekte lag bisher in ihrer Hand. Zur Zeit ist jedoch die Investitionsbereitschaft der Kunden gering, so dass viele Beratungskonzerne ihr Personal nicht auslasten können. Cap Gemini Ernst & Young beispielsweise räumte erst kürzlich ein, dass lediglich 68 Prozent der Berater zu tun hätten.

KPMG - jetzt ein SAP-Konkurrent

Entsprechend trifft die nun angestoßene Initiative der SAP auf wenig Begeisterung. KPMG beispielsweise hatte bereits vor zwei Jahren unter dem Namen Global Solutions Delivery eine Beratungsmannschaft aufgebaut, die identisch ausgerichtet ist wie nun SAP GSO. Auch wenn die Consulting-Unternehmen keine offene Kritik an SAP äußern, der Umstand, dass man nun in direkter Konkurrenz zueinander tritt, ist unbestritten. Trotzdem sind beide Seiten nach wie vor voneinander abhängig und werden nicht müde zu betonen, dass die Zusammenarbeit nicht gefährdet sei. "SAP hat exzellente Karten, wenn sie die Stärken und Erfahrung ihrer globalen Partner nutzt und die Projekte gemeinsam mit uns durchführt," macht Brigitte Wallesch, Partnerin bei KPMG Consulting und verantwortlich für das SAP-Geschäft, gute Mine zum bösen Spiel. Immerhin räumt sie ein, dass nun abzuwarten sei, wie die Entwicklung weitergehe. "Die Nachfrage ist groß genug", meint sie. Letzteres ist auch aus anderen Häusern zu vernehmen. Die Abhängigkeit von SAP wird vor allem mit dem Argument abgeschwächt, dass sich die Beratungshäuser eben nicht nur auf SAP spezialisiert hätten. Mit einem breiter aufgestellten IT-Beratungs-Know-how sowie dem Zugang zu den Vorstandsebenen über strategisches Management-Consulting verfüge man über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber den Walldorfern. Und letztendlich seien beide Seiten voneinander abhängig, so der Tenor. "SAP ist stark genug zu wissen, dass sie teilweise auch über die Berater bei großen IT-Restrukturierungsprojekten mit ins Boot geholt werden", behauptet CSC-Ploenzke -Firmensprecher Frank Schabel, der früher selbst in SAP-Diensten stand.