Usergroup: Noch wenig Bedarf für New Dimension und Mysap.com

"SAPs Strategien sind ein DV-Overkill"

10.12.1999
münchen (bs) -

Über Aufgaben und Wünsche der SAP-User sprach CW-Redakteur Bernd Seidel mit Vertretern der DSAG.

CW: Welche Ziele verfolgt die Deutsche SAP Anwendergruppe (DSAG)?

alfons Wahlers, erster Vorsitzender der DSAG, Leiter Organisation und Informationssysteme bei Keiper GmbH & Co., Remscheid: Unsere Hauptaufgabe ist es, Entwicklungsanträge bei SAP einzureichen, damit sich die R/3-Software entsprechend unseren Vorstellungen weiterentwickelt oder diese zumindest berücksichtigt werden. Dazu gehört auch die Gestaltung von Branchenlösungen. Unsere Arbeitskreise sind stark in den Ausbau neuer Module involviert, etwa für die Segmente Medien, Banken und Handel, wo der jetzige Stand von R/3 bei weitem nicht ausreicht. Hier gibt die DSAG einen wesentlichen Input.

CW: Wieviel Ihrer Anträge werden

gehört und umgesetzt, wie ist der zeitliche Rahmen?

peter Horner, Mitglied der DSAG, Leiter Stabsstelle SAP, Teerbau GmbH, Essen: Gehört werden alle Vorschläge, umgesetzt werden leider zu wenige - konkret läßt sich das nur schwer quantifizieren.

Paul Wenzel Geschäftsführer DSAG, Walldorf: Die Entwicklungsanträge der DSAG sollen künftig bevorzugt behandelt werden gegenüber Anträgen von Betrieben, die kein Mitglied sind. Geplant ist zudem, Berichte über den Status der Anträge zu veröffentlichen, wobei wir uns mit SAP noch nicht darüber einig sind, in welchen Abständen die Meldungen herausgegeben werden sollen. Die Anwender wünschen sich eine quartalsweise Meldung, SAP setzt auf Zeit und bevorzugt halbjährliche bis jährliche Reports. Das ist für uns allerdings nicht akzeptabel.

Horner: Eines wird immer deutlicher: SAP orientiert sich bei neuen Produkten, Konzepten und Änderungswünschen zunehmend am amerikanischen Markt. Besonders klar zeigt sich das an der Internet-Strategie "Mysap.com" und der neuen Benutzeroberfläche "Enjoy SAP". Anwender hierzulande beschäftigen sich dagegen stärker mit der Sicht nach innen, also damit was die R/3-Kernmodule leisten.

Wahlers: Themen wie Internet und Portale finden innerhalb der DSAG und deren Arbeitsgruppen bisher kaum Beachtung. Im nächsten Jahr werden wir allerdings Arbeitskreise zu diesen Produkten bilden...

Horner: ... doch zum jetzigen Zeitpunkt sind die neuen Strategien ein DV-Overkill. Da werden Techniken vorgestellt, die derzeit nur in ganz großen Unternehmen umgesetzt werden können. Selbst wir als gehobene Mittelstandsfirma mit 2,5 bis drei Milliarden Mark Umsatz pro Jahr wären aufgrund unserer dezentralen Struktur nicht in der Lage, diese Produkte einzuführen.

CW: Welche Mißstände beklagen Sie an der technischen Basis von R/3?

Wahlers: Ein Release-Wechsel dauert immer noch viel zu lang. Unternehmen benötigen ihr R/3-System sieben Tage die Woche rund um die Uhr, da es in der Regel eine unternehmenskritische Anwendung ist. Ein Wechsel auf eine neue Version, beispielsweise von 4.0 nach 4.5, dauert aber rund drei Tage. Das System ist in dieser Zeit für die Anwender nicht verfügbar.

CW: Was passiert in diesen drei Tagen?

Wahler: Das ist die reine Laufzeit der Maschinen, um die Software zu installieren oder zu aktualisieren. Für die Vorbereitung des Release-Wechsels, Pflege der unternehmensspezifischen Änderungen und die Tests rechnen wir nochmals mit mindestens vier Wochen.

CW: Welche Baustelle brennt SAP-Anwendern am stärksten unter den Nägeln?

Wahlers: In den letzten Monaten war es noch das Datum-2000-Problem. Im nächsten Jahr wird es aber das Thema Euro-Umstellung sein. Viele glauben, wenn sie eine Euro-fähige Software eingespielt haben, sei das Problem erledigt. Doch weit gefehlt: Die Einführung des EU-Zahlungsmittels als Hauswährung ist ein riesiger technischer Aufwand, was anscheinend vielen Betrieben nicht bekannt ist. Bei der Umstellung kann es auf Konten nämlich zu Differenzen kommen, und diese müssen manuell bereinigt werden. Dazu müssen Fachabteilungen und IT zusammenarbeiten. Erfahrungen von DSAG-Mitgliedern haben gezeigt, daß diese Prozedur bis zu einem Jahr dauern kann.

CW: R/3 ist doch ab dem Realease 3.1 i Euro-fähig. Was dauert denn so lange?

Horner: Problematisch sind die Systemlaufzeiten. Alle Tabellen, in denen die Hauswährung vorkommt, müssen bearbeitet werden. Und diese Läufe benötigen bei großen Datenbeständen gut und gerne 48 Stunden. Dann müssen die Nebenbuchhaltungen abgeglichen werden, so daß alle Salden auf Null sind. Bedingt durch Rundungsprobleme tritt dies aber nicht immer automatisch ein, so daß die Fachabteilungen von Hand nachbessern müssen. Bis alle Daten stimmen, muß dieser iterative Prozeß durchschnittlich viermal durchlaufen werden, gibt selbst SAP als Richtwert aus.

Zu empfehlen ist überdies, diese Arbeiten nicht am Testsystem vorzunehmen, sondern gleich am Produktivsystem, denn sonst muß man letzteres nochmals überarbeiten.

CW: Welche Hilfe erwarten Sie hier von SAP?

Wahlers: Mehr Aufklärung. Es gibt zwar Berichte und Broschüren, allerdings wird das nicht aktiv vorangetrieben. SAPs Vertrieb ist voll auf Mysap.com ausgerichtet. In den Arbeitskreisen wird das Thema Euro allerdings heiß diskutiert.

Horner: Die Euro-Umstellung ist eben nicht Image-fördernd und bringt auch wenig Geld.

CW: Dafür könnte man vielleicht Bestandskunden zufriedenstellen...

Wenzel: Das hatte SAP in der Vergangenheit anscheinend nicht so nötig.

CW: Ist Ihnen aufgrund Ihrer engen Kontakte zu SAP bekannt, daß an einem R/3-Nachfolgeprodukt gearbeitet wird - einem R/4?

Wenzel: Es gab in Walldorf das Projekt "Heidelberg". Dies hatte zum Ziel, so die Schilderungen des ehemaligen SAP-Vorstandsmitglieds Klaus Tschira, ein neues modulareres System zu bauen. Dazu sollte die bestehende Software in kleine Bausteine zerlegt werden. Das Projekt wurde aber nach rund zwei Jahren ohne Ergebnisse eingestampft. Ob man derzeit an einem Nachfolge-Tool arbeitet, ist uns nicht bekannt, das würden wir gerne wissen, aber Geheimhalten können die Walldorfer gut.