Kolumne

"SAPs Marketing hat versagt"

05.04.2002
Martin Ottomeier Redakteur CW

Wenn SAP nun die Wartung für alte R/3-Releases verlängert, dann zeigt das zunächst, dass der Softwarehersteller Probleme hat, seinen bestehenden Kunden Mysap.com schmackhaft zu machen. Statt auf die neue Unternehmenssoftware aus Walldorf zu migrieren, bleiben die Anwender bei den alten Releases - und das hat sich SAP in weiten Teilen selbst zuzuschreiben.

Zu lange hat die Marketing-Maschinerie des Softwareanbieters immer wieder verkündet, Mysap.com sei ein völlig neues Produkt. Das war notwendig, um den Bestandskunden zu erklären, dass sie Mysap.com eigens in Lizenz nehmen müssen, statt wie bisher Erweiterungen der Funktionalität im Rahmen der Wartung kostenlos zu erhalten. Der damit zwingend notwendige Spagat ist SAP allerdings nicht gelungen, nämlich den Anwendern glaubhaft zu machen, dass sie trotzdem ohne technische Schwierigkeiten auf die neue Plattform wechseln könnten.

Zu tief sitzen die Erinnerungen an die mühsamen Migrationen von R/2 auf R/3. Vielfach mussten die Anwender hierzu Zwischenschritte einlegen und ihre Organisation ändern.

Es ist auch kein Zufall, dass noch rund zehn Prozent der R/3-Installationen auf 3.x-Versionen basieren. Viele Kunden haben zu diesem Release eigene Funktionen entwickelt, die sich nicht oder nur schwer in die 4.x-Welt transportieren lassen. Gleichzeitig muss für R/3 4.5 oder 4.6 auch das Frontend aufgerüstet werden: Die neue Enjoy-Oberfläche verlangt leistungsfähige PCs mit Hightech-Windows. Selbst die Migration innerhalb von R/3-Releases ist also häufig problematisch.

Das alles haben die Anwender im Hinterkopf, wenn sie an den Wechsel auf Mysap.com denken. SAP ist es zu gut gelungen, zu verschleiern, dass der Kern von Mysap.com immer noch R/3 ist. Insofern hilft den Öffentlichkeitsarbeitern aus Walldorf auch R/3 Enterprise nicht - die nächste R/3-Version, die intern immer noch 4.7 heißt. R/3 Enterprise, so die Marketing-Botschaft, sei nämlich R/3-Funktionalität auf der Basis von Mysap-Technik - quasi ein Mysap R/3. Die Angst vor der Migration dürfte SAP seinen Kunden auf diese Weise kaum nehmen können.

Aus diesem Dilemma kommen die Walldorfer nur heraus, wenn sie endlich zugeben, was sowieso schon jeder weiß: dass Mysap nicht viel mehr ist als R/3 und einige Nebenprodukte, die früher einmal als New-Dimension-Anwendungen zusätzlich zu R/3 verkauft werden sollten. Mysap.com ist vor allem ein neues Preismodell für alte Software. Daher ist ein Wechsel auf diese Plattform technisch auch kein großer Aufwand.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass es nur wenige Gründe gibt, auf Mysap.com umzusteigen. Da SAP aber keine Argumente hat, muss es anders Druck machen: Über Aufkündigung der Wartung oder über Preiserhöhungen für die Wartung alter Releases - wie jetzt getan. Kein schöner Zug, aber der einzige Ausweg aus einem Dilemma.