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Sapphire: Plattner wehrt sich gegen Vorwurf der Schlafmützigkeit

25.05.2000
SAP meldet eine Millionen Mysap.com-Nutzer

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - 10 000 Kunden, Partner, Analysten und Journalisten haben sich in diesen Tagen in Berlin zur SAP-Hausmesse "Sapphire 2000" eingefunden. Die Veranstaltung steht in diesem Jahr ganz im Zeichen von Partnerschaften im Rahmen von Mysap.com, der neuen Internet-Strategie des Unternehmens.

Die Internet-Software Mysap.com hatte die Walldorfer Softwareschmiede erstmals auf der Sapphire ´99 in Nizza präsentiert (Computerwoche.de berichtete). Damals hatten die meisten Beobachter dem Unternehmen vorgeworfen, es habe die Internet-Entwicklung verschlafen und springe nun zu langsam auf den Zug auf. Diese Zweifel sind auch ein Jahr später noch nicht ausgeräumt.

Mysap.com kommt in Schwung

Vorstandsprecher und Firmengründer Hasso Plattner verwehrt sich allerdings energisch gegen solche Vorwürfe. "Ich lese das überall und ich kann nur sagen: Es ist falsch". Mysap.com, so Plattner, stehe den Produkten der Konkurrenz in nichts nach und werde bereits erfolgreich eingesetzt - im Gegensatz zu so manchem "Papiertiger" wie etwa dem von Oracle und Commerce One angekündigten Automobil-Marktplatz Covisint für DaimlerChrysler, Ford und General Motors. Natürlich habe man auch bei Mysap.com Fehler gemacht, räumte Plattner ein. Diese werde man aber ausbügeln und dann an den Erfolg des bisherigen Bestsellers, der ERP-Software (Enterprise Resource Planning) R/3, anknüpfen.

"Die SAP hat in kurze Zeit Bemerkenswertes erreicht. Bereits ein Jahr nach der Einführung von Mysap.com haben wir eine Million lizenzierte Anwender. Das beweist, das Mysap.com ´Realware´ ist, die Werte beim Kunden schafft." Mehr als 400 Unternehmen, so Plattner, hätten sich bereits für den Einsatz von (erst seit Oktober vergangenen Jahres) verfügbaren Mysap.com-Funktionen entschieden. Dazu gehören unter anderem BASF, Bertelsmann, Colgate-Palmolive, die Deutsche Bank, der FC Bayern München, Grundig, Hewlett-Packard, Lockheed Martin, Schenker sowie Unilever und Volvo Aero. Angesichts der installierten Basis von über 20 000 R/3-Kunden nimmt sich die Zahl der Mysap.com-Benutzer allerdings geradezu winzig aus.

Joshua Greenbaum von Enterprise Application Consulting zeigte sich angesichts der Zahlen enttäuscht. "SAP versucht, seinen Status Quo als führender Anbieter zu promoten. Die Wahrheit aber ist: Sie sind kein Leader", urteilt der Analyst. "Derzeit werden sie definitiv nicht als Vordenker gesehen, und diese Veranstaltung ändert daran nichts." Auch wenn SAP eine Reihe "interessanter" Produkte und Strategien entwickelt habe, die das Unternehmen zu einer wirklichen Web-Software-Company machen könnten, werde die Marketing-Botschaft nicht entsprechend kommuniziert - vor allem auf dem US-Markt. "Grundproblem der SAP ist einfach das fehlende Marktbewusstsein. Ihnen fehlt das Marketing amerikanischer Art. Das ist ein Teil des Spiels, und wer nicht mitspielt, der wird ausgezählt. Diese Lektion müssen sie noch lernen."

Migration von R/3 wird einfacher

Offenbar ist SAP dazu wild entschlossen. Mit einer Reihe von Maßnahmen wollen die Walldorfer ihrer installierten Basis den Umstieg auf das internetbasierte Mysap.com schmackhaft machen.

Mit dem neuen "Mysap.com Starter Pack" will SAP verstärkt funktionale und technische Verbindungen zwischen den "Legacy"-R/3-Systemen und dem neuen Internet-Produkt schaffen. Kunden sollen durch die neue Funktionalität in die Lage versetzt werden, schnell Online-Marktplätze und Portale aufzubauen.

Beim Pricing können Anwender zwischen einem klassischen komponentenbezogenen und einem rollenbezogenen (je mehr Funktionen pro Arbeitsplatz, desto teurer) Mysap.com-Preissystem wählen. Bestehenden Kunden wird bei einem Umstieg noch in diesem Jahr ein Teil der Lizenzgebühren für R/3 und Mysap.com-Komponenten gutgeschrieben.

Die Wartung aller eurofähigen R/3-Releases (beginnend mit 3.1I vom Juni 1998) wird bis August 2003 verlängert. Ursprünglich sollte der Support im Oktober 2001 eingestellt werden.

SAP wird offener für Partnerschaften

Einen "kompletten Sinneswandel" bescheinigt AMR-Research-Analyst Michael Bittner den Walldorfern in puncto Partnerschaften. Künftig will die SAP ausgewählte Produkte von Drittanbietern in Mysap.com integrieren und supporten. Auf diese Weise sollen "Best-of-Class"-Lösungen entstehen, in denen unterschiedliche E-Business-Anwendungen wie Supply Chain Management (SCM), Customer Relationship Management (CRM) oder E-Commerce zu einem "lückenlosen Gesamtsystem" zusammengefasst sind, auf dessen Funktionen Anwender über die rollenspezifischen Portale von Mysap.com zugreifen können.

Die Kunden sollen sich dank dieser Öffnung eine auf ihre ganz speziellen Bedürfnisse abgestimmte Wunschlösung zusammenstellen können, ohne auf die Vorteile eines integrierten Systems verzichten oder unterschiedliche Benutzerschnittstellen in Kauf nehmen zu müssen. Die SAP übernimmt bei zertifizierten Produkten jeweils die Verantwortung für die Gesamtlösung.

"Früher konnte sich jeder zertifizieren lassen, der genug gezahlt hat", meint AMR-Mann Bittner. "Mit dem neuen Ansatz wählt SAP aus, wen sie für den jeweils besten Partner halten, zertifiziert ihn für den Einsatz mit Mysap.com und verantwortet dann die komplette Lösung." "In gewisser Weise ist dies ein Eingeständnis, dass SAP nicht für jeden alles bieten kann", meint Ed Toben, CIO (Chief Information Officer) beim Großkunden Colgate-Palmolive. "Deswegen suche sie nun die Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt."

Eine ganz konkrete Partnerschaft konnte SAP mit dem Münchner Siemens-Konzern vermelden. Beide Unternehmen wollen gemeinsam Anwendungen für den M-Commerce (= elektronischen Handel via Handy) entwickeln und diese sowohl in Mysap.com als auch in die Mobiltelefone von Siemens integrieren. Finanzielle Details der Kooperation wurden nicht veröffentlicht.

Die im Vorfeld kolportierte bevorstehende Partnerschaft mit Commerce One (Computerwoche.de berichtete) wurde auf der Sapphire nicht bestätigt - SAP wollte keinen Kommentar zu den Gerüchten abgeben. "Sie wollen sich nicht mit einem Commerce-One-Deal ins eigene Knie schießen; aber es sieht aus, als arbeitete SAP an einer Art Partnerschaft", vermutet Analyst Greenbaum.

Am Rande: Schröder setzt auf die New Economy

Bundeskanzler Gerhard Schröder war prominentester Gast auf der Sapphire. Er lobte die "ungeahnten Möglichkeiten" der New Economy und die Vielzahl neuer Arbeitsplätze, die daraus entstünden. Einen Seitenhieb verteilte der Kanzler in Richtung der Gewerkschaften. Er begrüße es, so Schröder, dass Arbeitnehmer- wie Arbeitgebervertretungen erkannt hätten, dass man über neue Arbeitszeitmodelle und Entlohnungsformen nachdenken müsse. Hier müssten sich die Rahmenbedingungen in Unternehmen und Politik noch stark ändern. "Die neue Ökonomie kann sich umständliche Hierarchien nicht leisten", erklärte der Kanzler.

Allerdings gab es auch nachdenkliche Worte vom Regierungschef. "Man kann sich fragen, ob es vernünftig ist, dass sich mit ein paar Mausklicks an der Börse das Gehalt eines Angestellten verdienen lässt", meinte Schröder. Er warnte Unternehmen der New Economy, sich vollkommen von der "alten" Industrie abzukoppeln. Es dürfe nicht zu einer Vernachlässigung traditioneller Branchen wie Handel oder Bauwesen kommen.