DSAG hat noch Fragen zur Lizenzpolitik

SAP will indirekte Nutzung klären – und scheitert

26.05.2017
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Nachdem mehrere Fälle bekannt geworden waren, in denen SAP hohe Nachzahlungen wegen indirekter Nutzung seiner Software forderte, bemüht sich der Konzern nun um Image-Schadensbegrenzung. Doch die Vorschläge, wie das Thema künftig gehandhabt werden soll, reichen aus Anwendersicht nicht aus.

SAP hat ein Problem. Auf der einen Seite möchte sich der deutsche Softwarekonzern als innovativer Partner für die digitale Transformation in Anwenderunternehmen präsentieren, der für seine Kunden moderne IT-Technik von Cloud, In-Memory bis hin zu Künstlicher Intelligenz (KI), Machine Learning (ML) und IoT-Plattformen zu flexiblen, intelligenten Lösungen zusammensetzen kann. Auf der anderen Seite stellen die Softwerker so manchem Kunden aus der klassischen On-Premise-Welt horrende Nachforderungen wegen indirekter Nutzung der SAP-eigenen Software in Rechnung.

Anwender müssen die Nutzungsbedingungen in ihrem Software Lizenzvertrag genau lesen - sonst drohen hinterher saftige Nachzahlungen, wenn die Nutzung nicht den im Vertrag definierten Bestimmungen entspricht.
Anwender müssen die Nutzungsbedingungen in ihrem Software Lizenzvertrag genau lesen - sonst drohen hinterher saftige Nachzahlungen, wenn die Nutzung nicht den im Vertrag definierten Bestimmungen entspricht.
Foto: lexkopje - shutterstock.com

Der Tag geht, die Strafe kommt

In der jüngeren Vergangenheit haben solche Fälle für Schlagzeilen gesorgt. So droht beispielsweise dem britischen Getränkehersteller Diageo, der unter anderem die Marken Johnnie Walker, Smirnoff Wodka, Baileys sowie Guinness-Bier vertreibt, eine saftige Nachzahlung in Höhe von 55 Millionen britischen Pfund nach Walldorf. In dem Verfahren folgte der königliche Gerichtshof in London der Argumentation des deutschen Softwareherstellers, wonach angesichts der zugrundeliegenden Lizenzverträge einzig Named User als Abrechnungsbasis für den Zugriff auf die SAP-Systeme anzusehen seien.

Die Briten hatten aber schon vor Jahren ihre Systemlandschaft mit Cloud-basierten Lösungen von Salesforce ausgebaut, die Daten mit den SAP-Systemen austauschen. Den Einwand des Diageo-Managements, dass man über "SAP Process Integration" (PI) bereits Gebühren für den Datenaustausch bezahle, wollte Richterin Finola O'Farrell nicht gelten lassen.

Gerade für Diageo wird es hinsichtlich der weiteren Systementwicklung extrem wichtig sein, die Frage nach der korrekten Lizenzierung zu klären. Die Briten bauen bereits seit einiger Zeit an einer IoT-Lösung für ihr Geschäft. Dafür hat das Unternehmen beispielsweise mit "+More" eine Plattform für die Interaktion mit Händlern und Partnern entwickelt. Es gaht darum, Produkte richtig zu präsentieren und zu vermarkten. Wenn dabei allerdings auch Daten ausgetauscht und verarbeitet werden, die mit SAP-Systemen in Berührung kommen, sollte der Getränkehersteller genau wissen, welche Gebühren an welcher Stelle fällig werden.

Bier-Konzern droht 600-Millionen-Dollar-Nachzahlung

Auch wenn dieser Streit nicht unmittelbar auf Vertragskonstellationen anderer Unternehmen übertragbar ist, sorgte der Spruch des britischen Gerichts doch weltweit für massive Verunsicherung in SAP-Kundenkreisen. Offenbar gibt es weitere Fälle, in denen der Softwarekonzern gegen seine Kunden vorgeht.

Beispielsweise streitet der deutsche Softwarekonzern mit dem weltweit größten Bierbrauer, der Anheuser-Busch InBev. SAP wirft dem Konzern, der Marken wie Budweiser und Hoegaarden herstellt, vor, mehrfach gegen ein Software License Agreement aus dem Jahr 2010 verstoßen zu haben. Allerdings ist nicht eindeutig geklärt, ob dieser Streit auch aus indirekter Nutzung von SAP-Software resultiert. Beide Seiten wollten sich dazu nicht näher äußern. In seinem Finanzbericht für das Jahr 2016 (PDF-Link), der Ende März dieses Jahres veröffentlicht wurde, räumt das InBev-Management jedenfalls ein, dass dem Unternehmen durch die SAP-Forderungen ein finanzieller Schaden in Höhe von über 600 Millionen Dollar entstehen könnte und man dementsprechend Rücklagen bilden müsse. Diese Summe entspricht mehr als dem Vierfachen dessen, was die Bierbrauer 2016 insgesamt für Software ausgegeben haben, nämlich 140 Millionen Dollar. Zudem machte InBev klar: "Wir beabsichtigen, uns gegen die von SAP geltend gemachten Ansprüche energisch zu verteidigen."

SAP bemüht sich um Schadensbegrenzung

In den Kreisen der SAP-Führung scheint man nun allerdings zu merken, dass öffentlich ausgetragene Auseinandersetzungen mit Kunden keine gute Idee sind. In einer Stellungnahme, die im Rahmen der Anwenderkonferenz Sapphire Mitte Mai in Orlando veröffentlicht wurde, hat der Softwarekonzern daher Eckpunkte seiner künftigen Lizenzpolitik skizziert. "SAP verpflichtet sich dazu, seinen Pricing-Ansatz zu modernisieren", heißt es darin. In einer Welt, in der IT-Landschaften von zunehmender Flexibilität und Agilität geprägt seien, würden komplexe Lizenzmetriken der Innovation im Wege stehen.

SAP-CEO Bill McDermott auf der Sapphire 2017 in Orlando, Florida.
SAP-CEO Bill McDermott auf der Sapphire 2017 in Orlando, Florida.
Foto: SAP

Dabei greift SAP auch das Thema der indirekten Nutzung auf, distanziert sich aber zugleich von der damit verbundenen Problematik. Indirekte Nutzung sei ein Begriff, der von Nutzergruppen geprägt worden sei, um den Vorgang zu beschreiben, wenn ein Anwender über Dritt- oder selbst entwickelte Systeme auf SAP-Software zugreife, windet sich SAP in dem Statement um das Thema.

Änderungen im Preismodell

Der Konzern kündigte immerhin Änderungen in seinem Pricing-Modell an. Demzufolge würden Procure-to-pay- sowie Order-to-cash-Szenarien im ERP-Umfeld in Zukunft nicht mehr User-, sondern Nutzungs-basiert auf Basis von über die entsprechenden Systeme abgewickelte Aufträge abgerechnet. Darüber hinaus beinhalte eine SAP-Lizenz künftig die Möglichkeit des "Indirect Static Read". Das bedeutet nach SAP-Lesart, dass Kunden ihre Daten, die in SAP-Systemen liegen, von anderen Programmen kostenfrei auslesen dürfen. Das gelte allerdings nicht für real-time-Systeme oder Vorgänge, die eine Prozess-oder Computer-Verarbeitung in SAP-Systemen erforderten. Außerdem verweist SAP darauf, dass Indirect Static Read nur dann gebührenfrei sei, wenn der Kunde darüber hinaus korrekt lizenziert sei.

Seien Unternehmen in dieser Frage unsicher, sollten sie auf SAP zukommen, fordert der Konzern auf. "SAP sichert den Anwendern zu, die sich proaktiv damit beschäftigten, eine Unterlizenzierung von SAP-Software zu verhindern, keine nachträglichen Wartungszahlungen einzufordern", heißt es von Seiten des Softwareherstellers. Man werde sich die spezifischen Umstände ansehen und dementsprechend die Lizenzvereinbarungen nachjustieren. In diesem Zusammenhang spricht der Softwarekonzern von Gutschriften für bestimmte, bereits lizenzierte Produkte sowie dem möglichen Umstieg auf neue Metriken.

DSAG: SAP-Vorschläge sind unzureichend

Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) begrüßte zwar grundsätzlich die Bereitschaft der SAP, sich mit dem Thema der indirekten Nutzung auseinanderzusetzen, kritisierte die von ihrem Softwarelieferanten in Aussicht gestellten Schritte jedoch als unzureichend. "Die DSAG beschäftigt sich bereits seit langem mit der indirekten Nutzung, und es ist prinzipiell begrüßenswert, dass sich bei SAP nach vielen Jahren etwas bewegt", erläutert Andreas Oczko, DSAG-Vorstand Operations/Service & Support. Allerdings sei das von SAP erarbeitete Dokument zur Preisgestaltung bei indirekter Nutzung derzeit noch unausgereift, da essenzielle Fragen ungeklärt und viele Aspekte unberücksichtigt blieben, heißt es in einer Stellungnahme der Anwendervertretung.

Andreas Oczko, Vorstandsmitglied der DSAG, moniert, dass SAPs Vorschläge zur Preisgestaltung bei indirekter Nutzung noch unausgereift sind. Essenzielle Fragen blieben ungeklärt.
Andreas Oczko, Vorstandsmitglied der DSAG, moniert, dass SAPs Vorschläge zur Preisgestaltung bei indirekter Nutzung noch unausgereift sind. Essenzielle Fragen blieben ungeklärt.
Foto: DSAG

Auch wenn es offenbar einen Dialog gegeben hat, scheinen die Fronten zwischen SAP und den Anwendervertretern in dieser Sache verhärtet zu sein. Man habe von einer Veröffentlichung zum gegenwärtigen Zeitpunkt abgeraten, verlautete von Seiten der DSAG. Das Papier lasse einige juristische Aspekte außen vor. "So wird die Unsicherheit bei den Kunden nur noch größer und notwendige Investitionen in die Zukunft bleiben weiter blockiert", lautet das Fazit der DSAG-Verantwortlichen.

Keine klare Definition von indirekter Nutzung

Das Thema "indirekte Nutzung" muss der Anwendervertretung zufolge aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Grundsätzlich gehe es darum, ob Anwender SAP-Software direkt oder indirekt nutzten. Diese Nutzung sei lizenzrechtlich zu bewerten. Je nach Nutzung benötigten Anwender ein entsprechendes Nutzungsrecht in Form einer "Named-User-Lizenz" oder eine Engine. "Leider gibt es innerhalb der SAP keine klare Definition beziehungsweise Regelung zur indirekten Nutzung", moniert die DSAG. "Nun kommuniziert SAP jedoch erstmals über Preismodelle zur indirekten Nutzung, für verschiedene Szenarien. Nach Ansicht der DSAG ist diese Veröffentlichung jedoch unzureichend, da noch einige Themen unbedingt einer zufriedenstellenden Klärung bedürfen."

SAP - es gibt noch viel zu tun

SAP selbst räumt ein, dass es an dieser Stelle noch Nachbesserungsbedarf gebe. "Adressieren die jetzt vorgestellten Metriken jedes indirekte Zugangsszenario im Zeitalter von vielfältigen Geräten, IoT und kollaborativen Netzwerke", fragt Hala Zeine, Corporate Development Officer von SAP, und gibt selbst gleich die Antwort: "Noch nicht." Es gebe noch viel zu tun und man werde weiter daran arbeiten, Preis- und Lizenzmetriken zu aktualisieren und anzupassen. Die jetzt vorgestellten Neuerungen seien jedoch ein Schritt in die richtige Richtung, um die Preismodelle zu modernisieren.

"Ich kann jedem SAP-Kunden versichern, dass seine Stimme gehört wird und wichtig ist", sagt Zeine. "Wenn Kunden sprechen, hört SAP zu." Das sei ein Markenzeichen für ein kundenfokussiertes Business. Die SAP-Managerin beruft sich dabei auf Worte ihres Chefs, SAP-CEO Bill McDermott: "Wir können uns weiterentwickeln, wir können uns verbessern, und wir werden es tun. SAP wird eine Kultur pflegen, die immer auf der Suche nach Spitzenleistung ist." Dabei dürfte SAP nach Einschätzung der Verantwortlichen von Diageo und Anheuser-Busch InBev noch ein gutes Stück Weg zu gehen haben.