SAP will Analyse und Prozesse vereinen

07.11.2005
Der Hersteller kündigt lang geforderte Features für Business Intelligence und eine neue Vision an: Composite Analytical Applications.

Mit "Netweaver 2004s" bringt SAP die nächste Iteration seiner Infrastrukturplattform auf den Weg. Sie geht dieser Tage in den "Ramp up" bei ausgesuchten Kunden und soll im zweiten Quartal 2006 allgemein verfügbar sein. Zu ihr gehören Business-Intelligence-Werkzeuge (BI) zur Datenaufbereitung und -auswertung, die seit dem Release 3.5 der Data-Warehouse-Umgebung "Business Information Warehouse" (künftig "Netweaver BI") im letzten Jahr als integrierter Bestandteil vermarktet werden. So stehen bereits heute für den Aufbau von Anwendungen für ein Web- und Excel-basierendes Reporting und Analysen die teils vorge- fertigten Komponenten "Bex Query Designer", "Bex Report Designer", "Bex Analyzer", "Bex Web Analyzer" und "Bex Web Application Designer" zur Verfügung. Eine zeit- und ereignisgesteuerte Berichtgenerierung und -verteilung ist zudem mit "Information Broadcasting" möglich.

Neuerungen für BI in Netweaver 2004s

1. BI und Analytics

• formatiertes Reporting für den "Business Explorer" (Bex);

• integrierte Planung für Analyse und Reporting;

• vorgefertigte Composite Analytical Applications;

• modellgetriebene Portal-Entwicklungsumgebung Visual Composer;

• überarbeitete Benutzeroberfläche für Bex Query-Designer;

• mehr Benuzterinteraktion, neues Workbook-Layout sowie zusätzliche Query-Optionen im Bex Analyzer;

• neue Layout-Elemente, Charts, Webitems, Command Wizard im Web Application Designer;

• weitere Objekt-Typen und Verteilungs- sowie Output-Optionen bei Bex Informa- tion Broadcasting.

2. Data Warehousing

• BI-Accelerator für Ad-hoc- Abfragen;

• überarbeitete ODS-Objekte (jetzt Datastore Objects) und Infosets;

• neues Datasource-Konzept;

• entfernter Zugriff auf Master Data;

• verbesserte Administrationsoberfläche;

• zusätzliche Ladeoptionen sowie solche zur Kontrolle des Datenflusses;

• Monitoring-Framework.

Hier lesen Sie …

• welche Produktstrategie SAP bei BI und Analytics verfolgt;

• wie BI und Transaktions- systeme verzahnt sind;

• wie weit die Entwicklung derzeit ist.

Planung endlich integriert

Netweaver 2004s bringt bezüglich BI zahlreiche Detailänderungen in den Bex-Produkten wie beispielsweise ein überarbeiteter Client. Sie sollen vor allem die Anwenderproduktivität steigern helfen und ihnen eine umfassende Plattform bereitstellen (siehe Kasten "Neuerungen"). Zudem finden sich vor allem zwei für Kunden wichtige und seit langem geforderte Neuerungen. So ist die frühere Planungskomponente "SAP-BPS" nun vollständig integriert. Anwender können dadurch bei Reporting/Analyse und Planung mit einer Datenbasis und gemeinsamen Kennzahlen arbeiten. Ferner werden erstmals Funktionen für ein formatiertes Reporting in Bex bereitgestellt. Diese Lücke im Portfolio hatte SAP bisher mit Hilfe einer speziell paketierten Ausgabe der Berichtssoftware "Crystal Reports" des BI-Spezialisten Business Objects zu schließen versucht. "Dies war ein Trugschluss", erklärte jetzt Heinz Häfner, Senior Vice President Netweaver Operations, gegenüber der computerwoche.

Konkurrenz für Crystal

Die meisten Kunden wollten wegen des übergroßen Aufwands laut Häfner neben Bex kein zusätzliches BI-Produkt für High-end-Reporting betreiben, zumal dieses sich mehr an versierte Analysten wendet. Deshalb habe SAP in Zusammenarbeit mit Kunden ein eigenes Angebot entwickelt, das in erster Linie Standardfunktionen bietet und daher nur bedingt mit Crystal Reports vergleichbar sei. Als Arbeitsumgebung dient künftig der "Bex Report Designer", mit dem sich formatierte und für den Ausdruck optimierte Berichte erstellen und gestalten lassen. Eine wichtige Anforderung war es dabei, beispielsweise eine gute PDF-Unterstützung vor allem für den (Web-)Ausdruck zu bieten.

Die immer wieder von Anwendern und Analysten beanstandete Performance von BW im Reporting will SAP durch das neue Produkt "BI Accelerator" verbessern. Dieses wurde zunächst als "High Performance Analytics" bezeichnet. Es erweitert die bisher in der SAP-Knowledge-Management-Komponente eingesetzte Suchmaschine "Trex" um die Möglichkeit, BI-Inhalte im Hauptspeicher (Cache) von BW zu indizieren. Ziel ist es, individuelle Abfragen aus dem Cache zu versorgen. Dieser Ansatz ist laut SAP-Manager Häfner nicht neu, aber aus der Kombination von Inhalten aus KM- und BI-Anwendungen entstehe dem Kunden ein Mehrwert. Die Technik verwende spezielle Algorithmen und sei weitaus schneller als Abfragen gegen die relationale Datenbank oder über Aggregrate (Summary tables) in BW. Kürzer sind die Antwortzeiten nur beim Abruf vordefinierter Standardberichte. Die Nutzung des BI Accelerators setzt allerdings den Einsatz spezifischer Hardware voraus. Hierzu hatten SAP, Hewlett-Packard, IBM und Intel an Blade-Servern gearbeitet, die als fertige Black-box-Appliances die neue Abfragetechnik implementieren.

Insgesamt sind die BI-Features in Netweaver 2004s nicht spektakulär, sondern stellen vielmehr hilfreiche und nötige Nachbesserungen des wichtigen BW-Release 3.5 dar. Interessant ist beispielsweise eine Re-Modeling-Toolbox, mit der sich Infocubes auch nachträglich anpassen lassen - eine Option, die angesichts des Wildwuchses an Installationen sicher hilfreich ist. Allerdings arbeitet SAP zugleich an einer neuen Vision, die große Auswirkungen auf das BI-Portfolio haben wird. So kündigte der Hersteller erstmal auf der Hausmesse "Sapphire" so genannte Composite Analytical Applications an. Mit ihnen lassen sich, so Roman Bukary, Vice President SAP Analytics, BI und andere Inhalte mit operativen Prozessen und Workflows zu immer wieder neuen Anwendungen kombinieren. "BI und analytische Anwendungen sind die Enabler für die tägliche Arbeit", erklärte Bukary.

Unterstützen BI-Lösungen bisher vor allem einzelne Abteilungen und versierte Anwender bei der Analyse von Geschäftsinformationen, sollen künftig Auswertungen enger mit den operativen Prozessen verknüpft werden und je nach Prozess und Rolle allen Anwendern zur Verfügung stehen. Tatsächlich befindet sich die SAP mitten im Umbau ihrer Infrastruktursoftware hin zu einer Business Process Platform (BPP). "Statt der bisherigen Code-basierenden wollen wir eine modellbasierende Foundation aufbauen, die service-orientiert ist und auf der sich aus einzelnen Bausteinen zusammengesetzte (Composite) Anwendungen erstellen lassen, die sich nach Aufgaben, Rollen und Funktionen richten", warb Bukary. Rund 100 solcher Composite Analytical Applications wie "Order-to-cash" will SAP anhand von Best Practices, Netweaver und der technischen Schützenhilfe durch den Anbieter Macromedia erstellt haben und als eigenständige Produkte verkaufen. Zu ihrer Lizenzierung konnte Bukary derzeit noch nichts sagen.

Nicht alles zerschlagen

Es gehe aber nicht darum, die vorhandene Infrastruktur umzukrempeln, sondern auf ihrer Basis neue Prozesse aufzusetzen. Allerdings bezeichnete der Manager zugleich vorhandene BI-Lösungen als zu "umfangreich" und sprach letztlich deren Modularisierung das Wort. "Wenn der Kunde mit seiner Vertriebslösung glücklich ist, werde ich ihm nicht raten, seine Anwendung zu zerschlagen. Aber was, wenn er zusätzlich gern Informationen aus HR und FI/CO möchte, um beispielsweise zu sehen, welcher Vertriebsmitarbeiter am meisten leistet?"

Bei allen Neuerungen bleiben die bisherigen BI-Techniken und Datenhaltungen wie Data Warehouse oder Data Marts als Informationslieferanten erhalten und Infocubes ließen sich virtuell zusammenführen. Die auf sie zugreifenden Anwendungen bilden hingegen nicht mehr nur BI-Aspekte ab. "In fünf Jahren wird sich vielleicht nicht mehr unterscheiden lassen, wo ein transaktionsgesteuerter Prozess beginnt und ein BI-Prozess aufhört", sagte Bukary. Zentrales Hilfsmittel zum Aufbau solcher Anwendungen ist das neue Werkzeug "Visual Composer". Es stellt eine grafische Design-Umgebung bereit, mit der laut Hersteller auch weniger versierte Anwender ohne Programmieraufwand Anwendungen modellieren und schnell zu Prototypen gelangen können. Sie erinnert damit an Produkte wie "Dynasight" von Arcplan, die bereits seit Jahren im Einsatz sind (siehe Seite 18). Das Besondere am SAP-Ansatz ist aber, dass Anwender (einzelne) Module/Prozesse etwa aus der Mysap-ERP-Welt mit BI-Input sowie Workflows in einem Portal-basierenden "Workcenter" kombinieren können. "Die mögliche Zahl der Composite Analytical Applications ist unbegrenzt. Ihre Zahl hängt davon ab, in welchen Prozessschritten der Kunde Analysen einbindet", sagte Bukary.

Technische Voraussetzungen

Die neuen Anwendungen setzen mindestens Netweaver 2004s, den Web Application Server sowie das Enterprise Portal als Infrastruktur voraus. Zudem ist Visual Composer derzeit noch Teil des aktuellen Ramp-ups und soll erst im zweiten Quartal 2006 allgemein erhältlich sein. Er bietet momentan unter anderem Features für den Datenzugriff, Query-Wizards, einen MDX- und SQL-Editor und eine Modellierungsumgebung. Ein "Visual Composer BI Kit" dient für den Zugriff auf SAP- und nicht-SAP Daten über die "BI Java Connectors". BI-Systeme sind dabei nur eine mögliche Datenquelle. Services für die multidimensionale Analyse und Planung sind aktuell nicht geboten. Laut SAP-Manager Häfner existieren zudem starke funktionale Überschneidungen zum Werkzeug Bex Web Application Designer. Es ist daher geplant, beide Produkte zu vereinen und Visual Composer mit zusätzlichen grafischen Features zu versehen. Schließlich gibt es Überlegungen, das Tool auch zur Modellierungsumgebung für die Integrationskomponente "Netweaver XI" zu machen.

Vor allem aber fehlt es noch an Services, auch wenn die vorgestellten Produkte Standardkomponenten mitliefern. Services müssen bei Bedarf derzeit noch mit dem "Netweaver Developer Studio" entwickelt werden. Erst mit Freigabe der Enterprise Service Architecture (ESA) und der in ihr enthaltenen Enterprise Services Registry in zwei Jahren, hoffen SAP und Partner diese Bausteine in angemessener Zahl und Granularität anbieten zu können. Analysten weisen schließlich darauf hin, dass solche Anwendungen und Service-orientierte Architekturen (SOAs) erhebliche konzeptionelle und technische Änderungen nach sich ziehen. Ganz davon abgesehen, dass Kunden sich mit zertifizierten SAP-Services vermutlich noch tiefer in eine neue Abhängigkeit zum Hersteller begeben, wie ein Insider befürchtet.