Kolumne

"SAP vergisst den Mittelstand"

31.05.2002
Martin Ottomeier Redakteur CW

Zumindest die Marktforscher sind sich einig: Die stärkeren Wachstumschancen und das größere Marktvolumen im ERP-Geschäft liegen im Mittelstand. Auch SAP spricht gerne vom Mittelstandsgeschäft und startet gelegentlich eine neue Initiative, um dieses Segment zu adressieren. Die jüngsten Aktivitäten wurden auf der CeBIT entfaltet, als Léo Apotheker die Business Unit Small and Medium Businesses (BU SMB) ausgerufen hat, die sich unter anderem um Entwicklung und Vertrieb der Topmanage-Lösung bemühen soll.

Doch erfolgreiche SAP-Manager scheinen dem Mittelstand nicht lange ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Gerade mal zwei Monate, nachdem er die Mittelstandsinitiative angekündigt hat, wird Apotheker weltweiter Vertriebschef und kümmert sich jetzt um die global agierenden Großkunden. Mit der BU SMB will er nun nichts mehr zu tun haben. Die Verantwortung für dieses Geschäft liegt bei den regionalen Managern.

SAP redet also zwar vom Mittelstand - die Organisation wird aber konsequent auf die Großkunden ausgerichtet. Schon vor einem halben Jahr haben die Walldorfer eine Service-Organisation für ihre weltweiten Kunden aus der Taufe gehoben. Global PSO soll sich speziell um länderübergreifende Projekte kümmern. Die Zahl der Mitarbeiter soll im vierstelligen Bereich liegen.

Insofern passt es ins Bild, wenn nun auch der Vertrieb an dieser Zielgruppe ausgerichtet wird. Großkunden haben viele Vorteile: Man macht mit ihnen viel Geld, die Projekte laufen lang und nicht zuletzt stellt ein Unternehmen nicht ohne Not einige tausend Arbeitsplätze auf eine andere Software um - diese Kunden sind also treu und kaufen mit großer Wahrscheinlichkeit auch künftig neue SAP-Produkte.

Trotzdem denken die Walldorfer kurzfristig, wenn sie glauben, den Mittelstand en passant von oben erobern zu können. Microsoft, Spezialist für das Retail-Geschäft, tritt massiv in den ERP-Markt ein. Neben den großen Deals, den Übernahmen von Great Plains und Navision, hat der Redmonder Softwarekonzern noch kleinere Fir-men zugekauft oder eigene Produkte wie eine CRM-Suite angekündigt. Microsofts Marktmacht ist nicht zu unterschätzen. Und auch die etablierten Player bleiben nicht untätig, wie Exact Software oder Sage.

Und noch blauäugiger ist es zu glauben, mit globalen Kunden langfristig gutes Geschäft zu machen. Der Markt für klassische Unternehmenssoftware wie Rechnungswesen und Produktionsunterstützung ist in diesem Segment praktisch gesättigt. Außerdem steigt die Skepsis, ob wirklich jede technologische Innovation, heiße sie nun CRM oder Collaborative Commerce, mitgenommen werden muss. Die SAP konzentriert sich also auf den falschen Kriegsschauplatz. Den neuen Märkten ist mit der etablierten Denkweise nicht beizukommen.