SAP und Oracle drängeln an der Kasse

02.10.2008
Von 
Vice President Software & SaaS Markets PAC Germany
Beide Softwarekonzerne wollen veraltete Warenwirtschafts- und Kassensysteme im Handel ersetzen.

Eine IT-Großbaustelle des Handels findet sich an der Kasse, auch "Point of Sale" (PoS) genannt. "Alle zehn Jahre tauscht der Handel die PoS-Lösung aus, und diese Phase hat gerade begonnen", so Peter Kabuth, der bei SAP für die Handelslösungen verantwortlich ist. Kabuth zufolge fließen im Handel etwa 30 Prozent der IT-Investitionen in die Läden, der Löwenanteil davon in PoS-Systeme. Die Firmen schaffen neben der Kassenhardware auch neue Software an.

Seit der Übernahme des Spezialisten Triversity verfügt SAP über eine PoS-Software, die sich mit Hardware von Drittfirmen verbinden lässt. Laut dem SAP-Manager spielen bei der Entscheidung für ein PoS-Produkt die Wartungskosten eine Rolle. Beispielsweise sollen sich Kassensysteme per Fernzugriff einfach konfigurieren lassen. Auch SAPs Erzrivale Oracle will im PoS-Segment mitmischen, und zwar mit Produkten des übernommenen Spezialisten 360commerce.

Laut Lynn Thorenz, auf Handels-IT spezialisierte Beraterin bei Pierre Audoin Consultants (PAC) in München, muss SAP die PoS-Lösung noch erweitern. Dazu zählt die Lokalisierung. Während etwa der Spezialist Wincor Nixdorf Kunden in 40 Ländern unterstützt, ist das SAP-Produkt bislang beispielsweise noch nicht in allen Ländern in Osteuropa verfügbar.

Datenanalyse gefragt

Der Modernisierungsdruck im Handel wächst auch anderswo. Mehr denn je wollen Manager dieser Firmen wissen, was ihre Kunden wo einkaufen. "Aus einer guten Datenbasis lässt sich eben besser analysieren, wie die Kunden ticken", so PAC-Expertin Thorenz. Ihr zufolge suchen die Firmen deshalb nach Wegen, die Qualität ihrer Daten zu erhöhen. Wer das bereits getan hat, investiert in analytische Software, um die bestandsführenden Applikationen zu ergänzen.

Lagerkosten senken

Einerseits hat der Handel in Sachen IT Nachholbedarf, andererseits steht er unter ständigem Margendruck, was den Spielraum für umfängliche IT-Investitionen einengt. Aus diesem Grund geben dem SAP-Experten Kabuth zufolge die Händler ihr Geld zwar einerseits für Innovationen aus, wollen andererseits aber die Lagerkosten drücken und Ausgaben für Personal einsparen. "Der Handel spürt den wirtschaftlichen Abschwung als Erster. Er sucht daher mehr denn je nach Wegen, seine Profitabilität zu steigern", so Christian Harnisch, der für den Softwarekonzern Oracle das Europa-Geschäft mit Retail-Software verantwortet. Schon ein bis zwei Prozent mehr Marge seien für die Firmen ein großer Erfolg.

Dem französischen Oracle-Manager zufolge sind Handelsunternehmen derzeit neben den bereits erwähnten Produkten für ihre Ladengeschäfte vor allem an Applikationen für die Merchandising-Planung und für die Preisfindung interessiert. Sie benötigten Planungswerkzeuge, die ihnen zeigen, wie sich Preisänderungen auf ihren Absatz auswirken: "Schon heute planen und analysieren die Anwender im Handel, doch viele verwenden dazu Excel statt spezialisierter Software." Solchen Unternehmen will Oracle die im Sommer vorgestellte "Retail Suite 13" oder zumindest Teile davon verkaufen. Mit ihr sollen die Händler ihre Prozesse standardisieren können. Oracle zufolge wurden in der Produktsuite handelsspezifische Anwendungen sowie Datenanalysefunktionen integriert.

Der Datenbank- und Applikationsanbieter hatte in den letzten Jahren einige Softwarespezialisten gekauft, darunter Retek, an dem auch SAP interessiert war. Bausteine für die Lieferkettensteuerung sollen dafür sorgen, dass in den Ladenregalen die Produkte vorrätig sind, die der Kunde will. Rückschlüsse über das Kaufverhalten sollen Auswertungen von Absatzzahlen aus den Geschäften liefern - Oracle spricht hier von "Retail Intelligence". Darüber hinaus soll der Regelkreis verhindern, dass der Handel seine Lager mit Ladenhütern füllt, die zwar keinen Umsatz bringen, aber Lagerkosten verursachen.

Weitere Funktionen der Suite ermitteln den besten Preis für ein Produkt. Zudem verspricht Oracle den Händlern Module, mit denen sie ermitteln können, ob ihre weltweiten Filialen profitabel arbeiten. Vermehrt eröffnen die Firmen Geschäfte beispielsweise in Osteuropa und benötigen dort Geschäftssoftware und Kassensysteme, die sowohl die lokalen Steuer- und Finanzgesetze berücksichtigen als auch die Sprachen unterstützen.

Prozesse industrialisieren

Der Hauptkonkurrent von Oracle hat mit "SAP Retail" eine Industrielösung zusammengestellt, die auf der Grundlage der ERP-Software handelsspezifische Ausprägungen bietet. Auch SAP verspricht den Handelsunternehmen, ihre Prozesse von der Kasse bis in die Lieferkette zu steuern sowie über Planungs- und Statistikfunktionen Entscheidungen bezüglich Warenangebot, Preis und Lieferlogistik zu unterstützen. Die Automatisierung hat nach Ansicht der Softwarefirma hier noch nicht so sehr Einzug gehalten wie in anderen Branchen. "Der Handel tickt noch nicht industriell", bringt es SAP-Manager Kabuth auf den Punkt. Dabei ließen sich etwa 85 Prozent der Abläufe des Handels automatisieren.

Die SAP-Software soll nicht nur Daten verwalten und Transaktionen abwickeln, sondern dem Handel darüber hinaus erlauben, genauere Bedarfsvorhersagen zu treffen und die Preise festzusetzen, indem viele Einflussfaktoren berücksichtigt werden.

Wie Oracle baut SAP das Retail-Portfolio aus. Die vom Softwarekonzern übernommene Firma Khimetrics soll den SAP-Baustein für Planung und Nachfüllung ergänzen. Algorithmen berechnen, wie viel ein Produkt in einem Laden im Süden von München kosten sollte, den vorwiegend eine bestimmte Altersgruppe aufsucht. Neben der Warengruppe, bei der der Konsument mehr oder weniger auf den Preis schaut, beeinflussen die Demografie, der Standort eines Ladens und sogar das Wetter die Preisgestaltung.

Darüber hinaus sollen Khimetrics-Funktionen helfen, den künftigen Bedarf für bestimmte Artikel vorherzusagen. Neben Erfahrungen aus der Vergangenheit schließt das die für eine Warengruppe typische Diebstahlsquote ein.

CRM-Ausbau Weitere Entwicklungen von SAP zielen darauf ab, die Qualität der Stammdaten bei Händlern zu steigern. Darum soll das dafür vorgesehene "Netweaver"-Produkt "Master Data Management" in Zukunft in der Lage sein, Daten von generischen Artikeln (auch Sammelartikel genannt) zu verwalten. Sammelartikel sind beispielsweise Kleidungsstücke, die in unterschiedlichen Ausführungen (Farbe, Sorte und Größe) vorliegen. Weiterentwickeln will der Anbieter auch die Kunden-Management-Software "SAP CRM". Erweiterungen des Datenmodells sowie eine für den Handel angepasste E-Commerce-Funktion stehen an.

Mit CRM-Features für den Handel will auch Oracle punkten. Das aus der Siebel-Software hervorgegangene "Oracle CRM" soll Loyality-Angebote, zum Beispiel Kundenkarten, unterstützen. Wenn ein Stammkunde an der Kasse steht, könnte er Sonderkonditionen erhalten. Hierzu kann das Geschäft die CRMApplikation sowohl mit der PoS-Software als auch mit dem Retail-Backend verknüpfen.

Produktstrategie von SAP und Oracle

Obwohl die Ansätze von Oracle und SAP sich ähneln, verfolgen beide unterschiedliche Strategien.

Oracle setzt auf eine Best-of-Breed-Strategie: Der Softwarekonzern vermarktet Retail-Funktionen in einer Suite, die Nutzer über die hauseigene Fusion-Middleware mit eigenen Geschäftsanwendungen, auch denen von SAP, verbinden können. Anwender sollen damit beispielsweise anfangs nur die Merchandising-Features einführen können statt auf einen Schlag die gesamte Suite.

SAP vermarktet ERP mit Handelsaufsatz:

Das Angebot von SAP setzt im Gegensatz zu Oracles Produktkonzept die eigene ERP-Software voraus. Viele Handelsunternehmen steuern ihre Buchhaltung und die Personalverwaltung bereits mit SAP-Software. Diesen Gesellschaften wollen die Walldorfer zusätzlich handelsspezifische Software verkaufen.

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