Unruhige ERP-Zeiten

SAP und ihre sieben größten Probleme

20.10.2008
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

2. Knick in der Wachstumskurve

SAP-Chef Henning Kagermann: "Leider konnte sich die SAP den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen."
SAP-Chef Henning Kagermann: "Leider konnte sich die SAP den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen."

Die aktuellen Entwicklungen bei SAP geben jedoch wenig Anlass zur Hoffnung, dass das Softwarejahr 2008 gut ausgeht. Die Beben auf dem internationalen Finanzparkett haben SAP mächtig ins Wanken gebracht, obwohl die Verantwortlichen in Walldorf diese Gefahr bis zuletzt vehement bestritten. Die IT stecke in keiner Krise, hatte SAPs Vorstandssprecher Henning Kagermann noch Ende September beteuert. Die internationalen Finanzmärkte seien ins Schlingern geraten, nicht die IT-Branche. Anwenderunternehmen hätten keineswegs aufgehört zu investieren. Ausgaben für Enterprise Software seien aus Sicht des SAP-Lenkers die richtige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Dazu zählt der promovierte Physiker beispielsweise die steigenden Anforderungen in Sachen Flexibilität, da die Firmen sich heute schnell an die sich rasch ändernden Marktbedingungen anpassen müssten.

Nur wenige Tage später waren dann aber ganz andere Töne aus SAPs Führungsetage zu hören. Kleinlaut musste Kagermann Anfang Oktober einräumen, dass die selbst gesteckten Erwartungen für das dritte Quartal des laufenden Geschäftsjahres verfehlt würden. "Die Entwicklung der Finanzmärkte in den letzten Wochen ist für viele Unternehmen dramatisch und beunruhigend", sagte der SAP-Chef. Dies habe in der Folge zu einem abrupten und unerwarteten Abschwung des Geschäfts unmittelbar vor Ende des dritten Quartals geführt. "Leider konnte sich die SAP den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen", lautete das Resümee des Firmenlenkers.

Die Folgen für den Softwarekonzern sind derzeit noch nicht absehbar. Zunächst brach der Aktienkurs des Softwareherstellers um über 16 Prozent ein. Das Management reagierte mit einem rigiden Sparkurs. Alle anstehenden Investitionen vom Dienstwagen bis zum Bürostuhl werden nun genau geprüft. Außerdem verhängten die Walldorfer einen Einstellungsstopp und schränkten die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern ein. Dienstreisen sind nur noch gestattet, wenn es um Kundenkontakte geht. Der SAP-Vorstand will zudem auf zehn Tage Urlaub verzichten und spornte die Belegschaft an nachzuziehen. Zu guter letzt sieht das Sparprogramm vor, alle Mitarbeiter zwischen Weihnachten und Neujahr in den Zwangsurlaub zu schicken.

Ob SAP mit diesen Maßnahmen seine Bilanz retten kann, steht in den Sternen. Insider runzeln indes die Stirn angesichts des Krisen-Managements im Badischen. "Erst die Aufforderung zur Urlaubsspende, dann der Zwangsurlaub - beides geniale Management-Entscheidungen. Kann man SAP überhaupt noch ernst nehmen", fragt ein Kommentator im CW-Forum. "Mit solcher Panik", heißt es weiter, "reagieren selbst die marodesten Unternehmen nicht."

Ist der Panikmodus gerechtfertigt?

Bei all der Panik rund um die jüngsten Zahlen, darf daran erinnert werden, dass SAP keineswegs vor dem Bankrott steht. Hat der Konzern doch in den vergangenen Jahren eine konstante Erfolgsserie hingelegt, die sich sehen lassen kann. Von 1998 bis 2007 wuchs der Jahresumsatz von 4,3 auf zuletzt 10,2 Milliarden Euro. Das Betriebsergebnis legte im gleichen Zeitraum von 901 Millionen auf 2,7 Milliarden Euro zu. Unterm Strich bedeutet das in beiden Kategorien durchschnittliche jährliche Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich. Auch im dritten Quartal ist nicht zu erwarten, dass sich die Bilanz rot färbt. SAP rechnet mit Software- und softwarebezogenen Serviceerlösen in Höhe von 1,97 bis 1,98 Milliarden Euro. Das würde immerhin noch ein Plus von 13 bis 14 Prozent bedeuten. Allerdings hatte die SAP-Führung mit einem Plus von deutlich über 15 Prozent gerechnet. Im zweiten Quartal 2008 legte dieser Posten gegenüber dem Vorjahresquartal noch um 21 Prozent auf 2,06 Milliarden Euro zu.

SAP ist jedoch an den Börsen aufgrund der hohen Profitmargen und der Wachstumserwartungen traditionell hoch bewertet. Deshalb ist das Abwärtspotenzial im Falle "besonderer Vorkommnisse" beträchtlich. Erst im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres haben die Softwerker aus dem Badischen die Markterwartungen enttäuscht. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern erhöhte sich im Jahresvergleich von 581 auf 593 Millionen Euro und blieb damit deutlich unter den Schätzungen der Analysten. Der Überschuss schrumpfte von 449 Millionen Euro im Vorjahresquartal auf 408 Millionen Euro.

Für das SAP-Management muss es jetzt darum gehen, Ruhe in das eigene Unternehmen und das Geschäft zu bekommen. Ende Oktober will der Konzern die Zahlen für das dritte Quartal vorlegen und einen Ausblick auf das gesamte Geschäftsjahr wagen. Bis dato schweigen sich die Softwerker darüber aus, wie das Jahr 2008 ausgehen könnte. Sicher ist aber, dass viel von den nächsten Wochen abhängt. Derzeit läuft das vierte Geschäftsquartal, in dem SAP traditionell den meisten Umsatz im Jahr verbucht. Bis Ende Dezember müssen wichtige Deals unter Dach und Fach sein, auch um die Weichen für das kommende Geschäftsjahr 2009 zu stellen.