Noch keine Konzepte für Top-Manage-Vertrieb

SAP startet neue Mittelstandsinitiative

22.03.2002
HANNOVER (hv/mo) - Mit einer zugekauften betriebswirtschaftlichen Standardsoftware will SAP kleine mittelständische Unternehmen erreichen. Die clevere Lösung aus Israel könnte den etablierten Konkurrenten das Leben schwer machen. Für eine Erfolgsgeschichte braucht SAP aber neue Partner.

Die SAP AG, Walldorf, hat zur CeBIT eine weltweite Mittelstandsinitiative angekündigt und dafür erstmals eine Anwendungssuite zugekauft. Unter der Bezeichnung "Smart Business Solutions" sollen Lösungen für kleinere und mittlere Betriebe angeboten werden, die in der Verantwortung einer neuen Geschäftseinheit mit der Bezeichnung "BU SMB" (Business Unit Small and Medium Businesses) liegt.

Die Walldorfer weichen mit dieser Ankündigung von ihrem bisherigen Weg ab, sämtliche Produkte ausschließlich auf Mysap.com basieren zu lassen. Die neue Software stammt von der israelischen Top Manage Financial Solutions Ltd., deren Firmenwerte die Walldorfer zu einem "fairen Preis" übernommen haben. Top Manage beschäftigt etwa 70 Mitarbeiter und betreut derzeit 800 Kunden mit zusammen rund 5000 Arbeitsplätzen. Die Gesellschaft ist vor allem im Mittleren Osten sowie in Teilen Osteuropas aktiv.

Software für kleine FirmenMit der Software adressiert SAP in erster Linie kleine Unternehmen, zum Beispiel Konzerntöchter, für die R/3 oder Mysap zu komplex sind. "Die Top-Manage-Software spricht primär Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern, also maximal 40 Seats, an", erläutert Nils Niehörster, Geschäftsführer des auf Business-Software spezialisierten Beratungsunternehmens Raad Consult, Münster. Zu den wichtigsten Unternehmen in diesem Segment gehören in Deutschland Sage KHK und Exact Software. Aber auch etablierte Mittelstandsanbieter wie Navision, Bäurer und Infor suchen ihre Anwender in diesem Feld. Um deren Kundenzahl zu erreichen, hat SAP noch einiges zu tun. Die Sage-Gruppe, zu der in Deutschland Sage KHK gehört, zählt weltweit rund 2,8 Millionen Kunden. Allein in Deutschland gibt es 150 000 Installationen.

Laut SAP enthält die Suite eine Reihe von Applikationen speziell für die Belange kleinerer vertriebsorientierter Firmen. Die Software bietet Funktionen für Buchhaltung, Bankwesen, Finanz- und Customer-Relationship-Management, Ein- und Verkauf und Berichtswesen. Abgerundet wird das Angebot durch Analyse-Tools, die Einblicke in das operative Geschäft einer Organisation geben und Teamarbeit unterstützen sollen. Der Bereich Produktion ist ausgeklammert. Die Lösung läuft unter Microsofts Windows-Betriebssystemen und bedient sich der Microsoft-Datenbank "SQL Server".

Anwender sollen die Möglichkeit erhalten, schrittweise in die Mysap.com-Welt hineinzuwachsen. Einen Zeitplan für die Erstellung der entsprechenden Schnittstellen gibt es aber ebenso wenig wie für die Lokalisierung. "Der Vertrag mit Top Manage ist erst einen Tag vor der CeBIT endgültig unterschrieben worden", erläutert Hans Jürgen Uhink, Vice President Small and Medium Business Emea (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) bei der SAP. "Daher ist es noch zu früh, über Details zu reden." Er rechnet nicht vor der zweiten Jahreshälfte mit der Einführung der Software hierzulande, da erst einmal die landesspezifischen Besonderheiten zum Beispiel bei der Buchhaltung implementiert werden müssen. Mittelfristig will die BU SMB aber nach Angaben von Uhink mit der Top-Manage-Lösung mehr Seats verkaufen als mit Mysap. Nach Angaben von Henning Kagermann, Co-Vorstandssprecher der SAP, soll das Mittelstandsgeschäft in drei bis vier Jahren rund 15 bis 20 Prozent des Konzernumsatzes erzielen.

Den Anpassungsaufwand an einzelne Länder schätzt der deutsche Sage-KHK-Geschäftsführer Peter Dewald sehr hoch ein. Die Komplexität in den Buchhaltungs- und Bilanzierungsvorschriften, bei Lohn und Gehalt sowie kulturelle Gepflogenheiten in speziellen Branchen ließen sich nur schwer umsetzen. Daher setze die Sage-Gruppe auf lokale Software, die optimal auf die Gegebenheiten vor Ort zugeschnitten sei. Auch Joachim Hertel, Vorstandssprecher der Infor Business Systems AG, Friedrichsthal, sieht auf SAP viel Arbeit zukommen: "Das neue Produkt zu integrieren und kompatibel zum Rest der SAP-Welt zu machen wird einigen Aufwand erfordern."

Neuer VertriebskanalDie Software soll indirekt über Partner vertrieben werden. Den Mittelstand will SAP jedoch nicht allein mit der zugekauften Software bedienen.

Firmen mit speziellen Anforderungen sollen wie bisher zielgruppengerecht zugeschnittene Lösungen auf Basis von Mysap.com beziehen können. Bislang sind die SAP-Partner darauf spezialisiert, auch im Mittelstand die entsprechenden Anpassungen in der Standardsoftware Mysap.com beziehungsweise R/3 im Rahmen von Projekten vorzunehmen.

Daher will SAP für das untere Segment einen zusätzlichen Channel aufbauen. "Für die Top-Manage-Software brauchen wir viel mehr und neue Partner, da der Vertrieb ganz anders funktioniert", weiß auch Uhink. Zum Vergleich: Sage KHK arbeitet in Deutschland mit 1500 Vertriebspartnern zusammen. Wichtiges Argument ist für SAP nicht der Preis, sondern die Produktqualität. Uhink: "SAP ist nicht für billiges Pricing bekannt. Ich bin sicher, dass wir auch in diesem Segment das teuerste Produkt anbieten werden."

Die potenziellen Mitbewerber geben sich trotz der neuen Konkurrenz gelassen. "Es ist unser tägliches Geschäft, dass Unternehmen, die in anderen Segmenten stark sind, in den attraktiven Mittelstand drängen", schildert Lars Damsgaard Andersen, Geschäftsführer bei Navision. Trotzdem habe man Respekt vor SAP und nehme die Initiative ernst. Aber der Erfolg im Mittelstand hänge davon ab, über den Partnerkanal gut an die Unternehmen heranzukommen. Um gegen die zunehmend internationalere Konkurrenz bestehen zu können, will das vor allem in Europa erfolgreiche Navision nun international stärker expandieren, vor allem in Südamerika, China, Japan und den USA.

Auch Thomas Lünenborg, der als Deputy Director für das Deutschland-Geschäft bei der Exact Software GmbH, Köln, verantwortlich ist, gibt sich gelassen: "Wir unterscheiden uns von SAP nicht nur durch das Produkt, sondern vor allem durch die Kenntnis des Marktes." Insbesondere die nationalen Märkte seien mittlerweile auch im unteren Mittelstand sehr stark gesättigt. "Wesentliche Zuwachsraten traue ich in diesem Geschäft auch SAP nicht zu." Wichtiger seien die Töchter international operierender Unternehmen, die man nicht über ein Händlernetz, sondern nur über einen eigenen Direktvertrieb mit globalen Servicestrukturen erfolgreich gewinnen könne. Hier sei Exact schon heute erfolgreich - also genau in dem Segment, das SAP ebenfalls adressieren will. Gute Chancen werden SAP hierzulande von Thilo Roetger, Geschäftsführer bei Microsoft Great Plains in Deutschland, eingeräumt: "SAP hat auf dem deutschen Markt den Heimvorteil, den Great Plains auf dem amerikanischen hat." Doch auch er erwartet, dass der Channel über den Erfolg einer Lösung entscheidet: "Wir können noch so schöne Software haben, wenn die Vertriebspartner daraus keine vernünftigen Projekte machen, wird sie sich nicht durchsetzen."

Dass SAP es in den USA schwer haben wird, glaubt auch das amerikanische Beratungsunternehmen AMR Research. Dessen Analysten weisen darauf hin, dass bislang sämtliche SAP-Initiativen, den Markt für kleine und mittelständische Unternehmen in den USA anzugehen, fehlgeschlagen sind. Allerdings räumen sie dem Ansatz, mit einem einfachen Produkt über einen Partnerkanal diese Unternehmen anzugehen, gute Chancen ein.

Positiv beurteilt Raad-Geschäftsführer Niehörster außerdem die Produktqualität: "Ich halte die Auswahl dieser Software für einen sehr glücklichen Griff." Insbesondere die Integration von Drag & Relate und der Fokus auf Windows kommen bei ihm gut an. Da SAP angekündigt hat, künftig auch mit Mysap.com die Microsoft-Technik .NET zu unterstützen, dürfte eine Verbindung zwischen Mysap.com und der Top-Manage-Software leicht zu realisieren sein. Damit sei SAP technologisch gegenüber anderen Unternehmen, die den Markt der Töchter von SAP-Kunden adressieren, im Vorteil.