SAP R/3 unterliegt in Sachen Usability

09.06.2006
Die Universität Innsbruck hat einen Test entwickelt, um die Benutzerfreundlichkeit von ERP-Systemen zu ermitteln. Im ersten Prüflauf unterlag SAPs R/3 gegen "Semiramis" von C.I.S.
Die CIS-Lösung hat in allen fünf Kategorien die Nase vorn. Deutliche Wertungsunterschiede gab es bei 28 der insgesamt 53 Fragen. Davon entschied Semiramis 26 für sich - SAP konnte nur zweimal punkten.
Die CIS-Lösung hat in allen fünf Kategorien die Nase vorn. Deutliche Wertungsunterschiede gab es bei 28 der insgesamt 53 Fragen. Davon entschied Semiramis 26 für sich - SAP konnte nur zweimal punkten.

Trotz der weiten Verbreitung von ERP-Systemen, beachten Anwenderunternehmen den Aspekt Usability kaum, so die These der Fakultät Betriebswirtschaft an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Dies sei insofern verwunderlich, als die Mitarbeiter einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit mit den ERP-Systemen verbrächten. Die Effizienz dieser Arbeit hänge auch von der Benutzerfreundlichkeit der Software ab.

Für Anwender: Eine bessere Usability …

• reduziert Schulungs- und Trainingskosten,

• senkt Fehlerraten,

• steigert die Produktivität,

• reduziert die Ausgaben für den Support,

• senkt die Wartungs- kosten,

• steigert die Zufriedenheit der Benutzer,

• erhöht die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter.

Für Anbieter: Eine bessere Usability …

• bringt neue Ideen,

• bewirkt Erfolgssicherheit,

• verbessert Planbarkeit,

• senkt Entwicklungskosten,

• reduziert die Entwicklungszeit,

• verringert Dokumentationskosten,

• bringt neue Kunden,

• steigert Markenwert und Loyalität,

• bringt Vorteile im Marketing.

Was bedeutet Usability?

Usability oder Gebrauchstauglichkeit, wie es nach DIN EN ISO 9241-11 1998 heißt, kennzeichnet die Nutzungsqualität von Software für den Benutzer. Die Norm definiert Gebrauchstauglichkeit folgendermaßen: "Das Ausmaß, in dem ein Produkt durch bestimmte Nutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen." Folgende Kriterien bestimmen also die Usability einer Software:

• Effizienz der Software: Stehen die vom Benutzer eingesetzten Ressourcen in Relation zum Ergebnis?

• Effektivität der Software: Ermöglicht die Software dem Benutzer das Erledigen seiner Aufgaben?

• Zufriedenheit der Anwender: Wie zufrieden ist der Benutzer mit dem durch die Software erreichten Arbeitsziel? Ist der Benutzer gegenüber dem Softwareeinsatz positiv eingestellt?

SAP arbeitet an Oberflächen

SAP bemüht sich seit geraumer Zeit, die Benutzerfreundlichkeit seiner Anwendungen zu verbessern. Dazu lädt der Konzern unter anderem die Anwender ein, sich an den Usability-Aktivitäten zu beteiligen (www.sap.com/community/ pub/survey/2005_08_Usability/ index.epx?topic=BN). Einen Überblick zu den SAP-Initiativen in Sachen User Interface bietet der Konzern unter www.sapdesignguild.org/. Darüber hinaus haben die Walldorfer erst vor kurzem das "Project Muse" angekündigt. Ziel ist, eine neue Benutzeroberfläche für die eigenen Business-Applikationen zu entwickeln. Die Technik soll die Eigenschaften eines Browser-Interface mit denen eines Rich Client kombinieren.

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www.computerwoche.de/

576468: Mit Project Muse will SAP benutzerfreundlicher werden;

573580: ERP-Vergleich: Oracle hat die Nase vorn;

567618: Claus Heinrich, SAP: Zu 100 Prozent fehlerfreie Software gibt es nicht;

565110: Streicheleinheiten für ERP-Anbieter.

Probleme in der Bedienbarkeit von Business-Software sind jedoch keine Seltenheit, heißt es am Betriebswirtschaftlichen Lehrstuhl von Hans Hinterhuber. Rund 60 Prozent der Mängel einer Software hingen mit mangelnder Usability zusammen. Schätzungen zufolge würden 20 Prozent der am Computer verbrachten Arbeitszeit aufgrund vermeidbarer Benutzungsprobleme nicht sinnvoll genutzt.

Im Entwicklungsprozess müsse daher die Qualität der Interaktion zwischen Mensch und Software in den Vordergrund rücken, fordern die Innsbrucker Forscher. So ist beispielsweise der Entwicklungsanteil des User Interface, was die Menge des Codes und den zeitlichen Aufwand betrifft, während der zurückliegenden Jahre kontinuierlich gewachsen. Die Qualität der Benutzerschnittstelle werde immer wichtiger für den Erfolg eines Softwareprodukts. Daher sollten mindestens zehn Prozent des Entwicklungsbudgets für ergonomische Gesichtspunkte aufgewendet werden. Angesichts des Nachholbedarfs könne man jedoch davon ausgehen, dass dieser Anteil auf bis zu 20 Prozent steigt.

Das Ziel

Angesichts dieser Ausgangslage wollten Wissenschaftler aus Innsbruck einen kostengünstigen und leicht handhabbaren Usability-Test für ERP-Systeme (UTE) entwickeln, um einen Vergleich zwischen verschiedenen Produkten zu ermöglichen.

Der Fragebogen

Dafür mussten die Tester 53 Fragen beantworten. Diese teilten sich auf folgende fünf Kriterien auf: Emotion, Softwaresteuerung, Effizienz, Systemunterstützung und Erlernbarkeit. Die Antworten sollten auf einer fünfstufigen Skala von "stimme voll und ganz zu" bis "stimme überhaupt nicht zu" eingetragen werden. Zudem wurde abgefragt, ob die Testperson die Eigenschaft als wichtig empfindet. Auch hier boten die Forscher fünf Bewertungen von "sehr wichtig" bis "absolut unwichtig" an.

Die Testpersonen

Die Wissenschaftler befragten ihre Studenten über drei aufeinander folgende Semester vom Wintersemester 2004/05 bis zum Wintersemester 2005/06. Die Testpersonen konnten im Rahmen von Lehrveranstaltungen der Universität Erfahrungen mit den jeweiligen ERP-Systemen sammeln. Allerdings wurde kein Anspruch auf ein detailliertes Wissen über sämtliche Module erhoben. Die Studenten sollten vielmehr einen Überblick über das gesamte System haben. Dies biete nach Einschätzung der Innsbrucker die besseren Voraussetzungen für einen Usability-Test.

Jeweils am Ende des Semesters wurden die Studenten befragt. Bis dahin hatten sie sich jeweils fünf Wochenstunden mit den ERP-Programmen beschäftigt. Der Usability-Test basierte auf 197 abgegebenen Fragebögen. 113 davon bewerteten Semiramis, 84 SAPs R/3-System.

Die Testkandidaten

Bei dem getesteten SAP-System handelte es sich um eine R/3-Installation, Release-Stand 4.6C. Als User Interface kamen die Versionen 6.40 und 6.20 des SAP GUI zum Einsatz. Von C.I.S. standen die Versionen "Semiramis 4.1" und "Semiramis 2" auf dem Usability-Prüfstand. Beide ERP-Systeme der Österreicher nutzten Microsofts Internet Explorer, Version 6, als Frontend.

Ergebnis: Emotion (13 Fragen)

In dem Bereich Emotion wurde die allgemeine emotionale Reaktion des Benutzers auf die Arbeit mit der Software abgefragt. Die Studenten stuften vor allem das Interface von Semiramis besser ein als das von SAP. Die C.I.S.-Lösung erzielte einen Mittelwert von 2,10, SAP kam auf 3,16. Auch in puncto Erlernbarkeit schnitt Semiramis besser ab. Mehr als die Hälfte der Nutzer gab an, das System sei leicht zu erlernen. Dagegen antworteten 55 Prozent der SAP-Anwender, die ERP-Lösung sei nur zeitaufwändig zu lernen. Rund 30 Prozent der SAP-Nutzer empfanden die Handhabung der Software als einfach. Auf der Semiramis-Seite waren es 63 Prozent.

Ergebnis: Softwaresteuerung (8 Fragen)

Unter dem Punkt Softwaresteuerung fragten die Professoren ihre Studenten, inwieweit sie sich in der Lage fühlten, das System bei der Arbeit zu kontrollieren. Rund die Hälfte der Semiramis-Nutzer gab an, alles im Griff zu haben. Unter den SAP-Anwendern waren es nur knapp 30 Prozent. Mehr als 40 Prozent waren unsicher. Auch die Frage, ob eine abgebrochene Aufgabe zu einem späteren Zeitpunkt problemlos fortgesetzt werden könne, ohne alles neu eingeben zu müssen, entschied C.I.S. mit 69 Prozent gegenüber 47 Prozent bei SAP für sich.

Ergebnis: Effizienz (13 Fragen)

In Sachen Effizienz fragten die Tester nach dem Empfinden der Benutzer, ob die Software ihnen bei der Erledigung der Aufgaben behilflich ist. Hier dominierte SAP in Sachen Schnelligkeit. Fast 39 Prozent der Semiramis-Nutzer bemängelten, das Programm reagiere zu langsam auf Eingaben. Unter den SAP-Anwendern kritisierten dies nur rund 17 Prozent. Über drei Viertel bejahten die Frage, R/3 arbeite schnell genug. Semiramis fand nur eine Zustimmungsrate von rund 50 Prozent. Dagegen wird das Handling der C.I.S.-Lösung als besser eingestuft. 80 Prozent der Nutzer bezeichneten den Aufbau des Benutzermenüs als logisch. Auf SAP-Seite bestätigten dies 54 Prozent der befragten Studenten. Insgesamt stuften 67 Prozent der Semiramis-Anwender das ERP-System als effizient ein. Von den SAP-Nutzern stimmten dieser Formulierung 47 Prozent zu.

Ergebnis: Systemunterstützung (12 Fragen)

Mit den Fragen zum Punkt Systemunterstützung klopfen die Innsbrucker Wissenschaftler ab, inwieweit die Software selbsterklärend ist und ob Dokumentation sowie Benutzungshilfen des Systems zweckmäßig sind. Etwa 60 Prozent der Semiramis-Nutzer gaben an, die vom System angebotenen Anweisungen und Hinweise seien hilfreich und verständlich. Unter den SAP-Anwendern bestätigten dies lediglich rund 47,5 Prozent. Insgesamt schätzten die Studenten den Aufwand, sich in ein SAP-System einzuarbeiten höher ein, als den für die Semiramis-Applikation. 41 Prozent der SAP-Probanden bemängelten, man müsse sich zu sehr einlesen, um mit der Software arbeiten zu können. Von den Semiramis-Nutzern erhoben 21 Prozent diese Kritik. Rund 33 Prozent der Studenten bemängelten, man müsse zu viele Dinge erlernen, um mit der SAP-Anwendung zurechtzukommen. Etwa elf Prozent der Semiramis-Anwender waren bezüglich des C.I.S.-Produkts der gleichen Meinung.

Ergebnis: Erlernbarkeit (7 Fragen)

Unter dem Prüfpunkt Erlernbarkeit fragten die Organisatoren ab, inwieweit die Systeme ein schnelles und leichtes Lernen ermöglichen. Dabei bezogen die Wissenschaftler neben dem erstmaligen Erlernen von Systemfunktionen auch das Wiedererlernen mit ein. Rund 70 Prozent der Semiramis-Nutzer beurteilten das Lernen neuer Funktionen als einfach. Unter den SAP-Anwendern fand dieser Punkt bei 43 Prozent Zustimmung. Fast 42 Prozent der SAP-Fraktion gaben an, das Programm erlaube es, auch einmal etwas gefahrlos auszuprobieren. In der Semiramis-Partei fand diese Formulierung zu 58 Prozent Zustimmung.

Das Fazit

Semiramis zeichnete sich gegenüber der SAP-Lösung durch eine höhere Software-Usability-Qualität aus, lautete das Fazit der Studie. Die C.I.S.-Lösung habe vor allem in den Bereichen Emotion und Erlernbarkeit punkten können. Die geringsten Differenzen hätten sich in puncto Softwaresteuerung und Effizienz ergeben. Die Prüfer hoben in erster Linie die guten Reaktionszeiten der SAP-Lösung hervor. Hier habe R/3 über den gesamten Prüfungszeitraum glänzen können. Dagegen überzeugte Semiramis die Studenten durch das User Interface und den logischen Aufbau.

Der Usability-Test für ERP-Systeme soll in den kommenden Semestern weiterentwickelt werden, hieß es von Seiten der Innsbrucker Universität, um ihn auch außerhalb des Cam- pus einsetzen zu können. Ziel sei es, Unternehmen für das Thema Usability zu sensibilisieren. Dies sei entscheidend für die effiziente Nutzung eines ERP-Systems, mahnen die Wissenschaftler. Bislang wendeten Anwenderfirmen zwar beträchtliche finanzielle Mittel für Anschaffung einer Business-Software auf, die Nutzerfreundlichkeit der Systeme werde dabei allerdings meist unkritisch betrachtet. Das könnte sich ändern. "Ein hoher Grad an Software-Usability muss zum Standard eines jeden ERP-Systems werden", hieß es zum Schluss der Analyse. Der Markt werde dies immer nachhaltiger fordern. Um den Markt erfolgreich zu bedienen, müssten die Anbieter von Business-Software auf diese Forderungen eingehen. (ba)