Interview

"SAP hat einen Hofstaat um sich gesammelt"

10.01.1997

CW: In einem Vortrag haben Sie kürzlich beklagt, daß sich die deutsche Öffentlichkeit nicht kritisch genug mit Ihrem Wettbewerber, SAP, und dessen Produkten auseinandersetze.

Lindner: Ich respektiere die SAP und ihren Erfolg. Sie war für die Softwarebranche Wegbereiter im Client-Server-Geschäft. Was mich aber zusehends stört, ist die besondere Situation hierzulande. Bestimmte Dinge kommen einfach nicht auf den Tisch. In Deutschland gibt es durchaus Kunden, darunter auch sehr große Unternehmen, die SAP-Software einführen und nach ein bis zwei Jahre feststellen, daß sie ihre Ziele damit nicht erreichen.

CW: Und diese Fälle werden Ihnen zuwenig publik?

Lindner: Leider gehen diese Kunden nicht an die Öffentlichkeit und sagen: "Wir haben für unser Geld nicht das bekommen, was wir erwartet haben. Das System ist nicht zum Laufen gekommen, ein Release-Wechsel war problematisch, wir haben das Budget weit überschritten." Die Anwender sind sehr still. Niemand will zugeben, daß er - scheinbar als einziger - eine SAP-Implementierung nicht hinbekommen hat.

CW: Warum setzt sich SAP dann bei Ausschreibungen immer wieder durch?

Lindner: In Deutschland beobachten wir ein besonderes Phänomen. Oft erhält die SAP den Vorzug vor anderen Produkten aus Gründen, die sachlich nicht nachzuvollziehen sind. Wir haben Ausschreibungen verloren, da hieß es in der Endbewertung: Bezüglich Technologie, Implementierungszeit etc. hat J.D. Edwards die Nase vorn, aber wir wählen SAP. Da spielen psychologische Befindlichkeiten eine Rolle, keine sachlichen Argumente. Ich verliere nicht gern, wenn man mir nicht sagen kann, warum.

CW: Welche Instanzen sind es, die die Stellung der SAP hierzulande untermauern?

Lindner: Die SAP hat einen regelrechten Hofstaat um sich gesammelt. Da ist zunächst die Presse. Ich lese alles, was unser Geschäft betrifft, und stelle fest, daß SAP die Schlagzeilen macht. Ich würde sagen, 80 Prozent der Berichte sind positiv. Es gab in der Vergangenheit lediglich mal bei Ihnen in der CW und in der "Wirtschaftswoche" Artikel, die die Schattenseite des SAP-Systems ansprachen.

CW: Ist SAP nicht vielmehr deswegen so erfolgreich, weil es ihr gelungen ist, die wichtigsten Beratungsgesellschaften von ihrem Produkt zu überzeugen?

Lindner: Unbedingt, aber auch wir arbeiten mit den Big Six der Branche zusammen. SAP-Implementierungen sind die aufwendigsten, die es gibt. Der Beratungsaufwand ist immens. Daß die großen und kleinen Consultants ihre SAP-Ressourcen optimieren, ist auch völlig legitim. Kritisch wird es aber, wenn Pflichtenhefte oder Machbarkeitsstudien beim Berater entstehen und der Kunde die Software im Grunde gar nicht mehr selbst auswählt.

CW: Damit haben Sie Probleme?

Lindner: Wenn das gleiche Beratungshaus SAP-Services anbietet und bei der Software-Auswahl hilft, dann habe ich sogar ein sehr großes Problem. Hier ist keine Objektivität mehr gegeben.

CW: Die Big Six sind doch dafür bekannt, daß sie mehrere Produkte - auch die von J.D. Edwards - kennen und beherrschen.

Lindner: Es geht nicht nur ums Beherrschen, es geht auch um Interessen. Wenn ein Beratungshaus heute eine SAP-Einführung vornimmt und daran eine Million Mark verdient, aber an der Implementierung eines einfacher zu installierenden Produkts nur 200000 Mark, wie wird dann wohl die Entscheidung ausfallen?

CW: Wollen Sie damit sagen, daß Beratungsgesellschaften grundsätzlich das komplexere, aufwendigere Paket empfehlen?

Lindner: Sie sind zumindest daran interessiert, ihre Mitarbeiter gewinnbringend einzusetzen. Die müssen ihre Leute beschäftigen, das ist völlig legitim. Bei den meisten Pflichtenheften, die bei uns reinkommen, weiß ich auf den ersten Blick, wer das Rennen machen wird. Die sind schon so verfaßt, daß alles auf SAP hinausläuft.

CW: Aus Ihren Ausführungen könnte man schließen, daß Technologie und Funktionalität bei der Produktauswahl keine so große Bedeutung mehr haben.

Lindner: Leider ist das auch so. Gerade in Deutschland geht es den Entscheidern vor allem um eines: sich in Sicherheit zu wiegen. Ich gebe zu, eine heikle Botschaft. Deshalb appelliere ich auf Veranstaltungen auch immer, die für das Unternehmen beste Entscheidung zu treffen und nicht die für den IT-Boß persönlich günstigste.