Web

SAP-Einführung und IT-Sanierung: Bei der Bundeswehr hat es selbst Herkules schwer

11.07.2007
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Angeblich liegt das Vorhaben zur Modernisierung der Bundeswehr-IT im Fahrplan. Doch die eigentlichen Hürden muss das auf zehn Jahre angelegte Projekt erst noch meistern - unter anderem eines der größten SAP-Projekte überhaupt.

IBM und Siemens haben erstmals eine Zwischenbilanz für das Herkules-Projekt gezogen und den weiteren Fahrplan abgesteckt. Demnach liegt die BWI Informationstechnik GmbH, ein Gemeinschaftsunternehmen beider Konzerne, gut im Rennen. Alle bislang anvisierten Meilensteine des rund 7,1 Milliarden teuren Vorhabens seien erreicht worden. Plangemäß habe die Gesellschaft Ende März den Betrieb der zivilen IT-Infrastruktur der Streitkräfte übernommen. Herkules sei zwar durch seine Größe komplex, räumt Jürgen Frischmuth, Mitglied des Bereichsvorstands von Siemens IT Solutions and Services (SIS), ein. Allerdings handle es sich um Standardtechnik. "Das damit verbundene Risiko ist überschaubar."

Nach den langjährigen Querelen und ständigen Verzögerungen rund um Herkules soll es zügig weitergehen. Bis Ende September soll die endgültige Organisation der BWI stehen – das Gemeinschaftsunternehmen soll die Bundeswehr-IT in den kommenden zehn Jahren betreiben. Außerdem wollen die Verantwortlichen noch in diesem Jahr die Analyse und Inventur der bestehenden Infrastruktur abschließen. Parallel soll der Rollout vorbereitet werden. Bis Ende 2010 will BWI die Modernisierung abgeschlossen haben. In den verbleibenden sechs Jahren betreibt die Gesellschaft diese Zielumgebung und hält die Technik auf einem aktuellen Stand.

Zu dem Modell, dieses Vorhaben im Rahmen einer Public Private Partnership (PPP) anzugehen, habe es keine Alternative gegeben, stellt Peter Blaschke, Vorsitzender der BWI-Geschäftsführung klar. "Die Bundeswehr hat festgestellt, dass sie den Stand der Informationstechnik, den sie gerne hätte, nie selbst erreichen wird." Deshalb habe sich das Verteidigungsministerium einen Industriepartner gesucht, der die Mitarbeiter, alle Assets wie PCs und Rechenzentren sowie das Budget der nächsten zehn Jahre bekommt.

Laut BWI-Chef Peter Blaschke hätte es die Bundeswehr alleine nie geschafft, das gewünschte IT-Niveau zu erreichen.
Laut BWI-Chef Peter Blaschke hätte es die Bundeswehr alleine nie geschafft, das gewünschte IT-Niveau zu erreichen.

An dem Kostenrahmen von 7,1 Milliarden Euro über die kommenden zehn Jahre hinweg ist Blaschke zufolge nicht zu rütteln. Die BWI muss mit dem gleichen Budget auskommen, das bislang auch den Streitkärften zur Verfügung stand. "Das Geld, das die Bundeswehr bislang in einem Jahr gebraucht hat, steht uns jetzt als Flatrate über zehn Jahre hinweg zur Verfügung." Dafür erhalte die Bundeswehr mehr Leistungen als in der Vergangenheit. Blaschke nennt Hilfe beim SAP-Rollout, zusätzliche Netzwerke sowie den geplanten User-Helpdesk als Beispiele.

Ob der Leistungsrahmen genauso in Stein gemeißelt ist wie die Kosten, bleibt abzuwarten. Alfred Hummel, Abteilungsleiter Modernisierung im Bundesministerium der Verteidigung, will das Herkules-Vorhaben eng mit dem SASPF-Projekt (Standard-Anwendungs-Software-Produkt-Familien) verknüpft sehen, das eine flächendeckende Einführung von SAP zum Ziel hat. "Wenn SASPF kein Erfolg wird, dann wird auch Herkules nicht erfolgreich sein." Hummel zufolge stellt der Umstieg auf SAP die größte Herausforderung für die Bundeswehr und BWI dar. Dafür wünscht sich der Bundeswehr-Beamte die Unterstützung durch die neue IT-Gesellschaft.

"Das ist vertraglich genau geregelt", meint BWI-Chef Blaschke. Die Bundeswehr sei für das Design und die Entwicklung der SAP-Lösung verantwortlich. Wenn die darauf folgende Testinstallation erfolgreich verlaufe, übernehme die BWI den Staffelstab und kümmere sich um den Roll-out und den Betrieb der Software sowie die Schulung der Mitarbeiter. Die kritischen Momente der SAP-Umstellung liegen demnach auf Seiten der Bundeswehr. Allerdings will die BWI laut Blaschke die Streitkräfte "in ihrer Verantwortung unterstützen", das SAP-Projekt möglichst gut über die Bühne zu bringen. Über die exakte Aufgabenverteilung scheint das letzte Wort aber noch nicht gesprochen. Rudolf Bauer, Geschäftsführer Public Private Partnership von IBM Deutschland, sieht alle Beteiligten in der Verantwortung: Es gelte auch die Aufgaben einvernehmlich zu lösen, die der Vertrag nicht ausdrücklich beschreibe.

Herkules – die Fakten

Ende Dezember 2006 wurden nach siebenjährigen Verhandlungen die Herkules-Verträge unterzeichnet. Mit dem über 17 000 Seiten umfassenden Vertragswerk übernahm die BWI Informationstechnik GmbH, eine Tochter von IBM und Siemens, den IT-Betrieb der Bundeswehr. An der Gesellschaft hält der Bund 49,9 Prozent, Siemens 50,05 Prozent und IBM 0,05 Prozent. Die BWI vergibt Aufträge an die Töchter BWI Systeme GmbH, eine hundertprozentige IBM-Tochter, und die BWI Services GmbH, die zu 100 Prozent zu Siemens gehört. Das Gesamtbudget teilen sich Siemens und IBM etwa im Verhältnis 60 zu 40. Die Public-Private-Partnership, nach Angaben der Betreiber die größte in Europa, ist zunächst auf zehn Jahre angelegt und kostet den Bund 7,1 Milliarden Euro. Im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung hatte der Bundesrechnungshof bemängelt, ein Eigenbetrieb käme um bis zu eine Milliarde Euro günstiger. Die Befürworter hielten dem entgegen, dass die Bundeswehr nicht in der Lage sei, die notwendigen Anfangsinvestitionen im dreistelligen Millionenbereich aufzubringen. Der Marschbefehl an die BWI lautet, Rechenzentren sowie Arbeitsplatzrechner an 1500 Standorten zu modernisieren und zu betreiben, ein flächendeckendes Kommunikations- und Datennetz aufzubauen, die SAP-Einführung zu betreuen sowie Dienste wie E-Mail, Internet und einen User-Helpdesk einzuführen. Nach Ablauf der zehn Jahre kann die Bundeswehr entscheiden, ob sie den Betrieb wieder selbst übernimmt oder eine neue Kooperation eingeht.

Zuvor muss die IT-Gesellschaft jedoch PCs und Rechenzentren auf den neuesten Stand der Technik bringen. Von einem desolaten Zustand der Bundeswehr-IT wollen die BWI-Verantwortlichen zwar nicht sprechen, doch sie bezeichnen die Infrastruktur in weiten Teilen als Flickenteppich. Das liege unter anderem daran, dass die einzelnen Einheiten der Bundeswehr in der Vergangenheit selbstständig ihre IT-Ausstattung angeschafft hätten, meint Blaschke. Außerdem sei in den Jahren, in denen über Herkules verhandelt wurde, nur noch wenig investiert worden. Der BWI-Chef kündigte an, in Zukunft Rahmenverträge von IBM beziehungsweise Siemens zu nutzen, um Hardware sowie Software anzuschaffen.

Gestemmt werden soll die Modernisierung von den etwa 2750 BWI-Mitarbeitern. Davon stammen rund 2400 von der Bundeswehr, 350 kommen von IBM und Siemens. 800 Bundeswehr-Angestellte sollen nach Ablauf eines Jahres wieder zu den Streitkräften zurückkehren. Die Herausforderung für die BWI liege darin, die Integration der Mitarbeiter zu fördern, erläutert Blaschke. Dazu sei unter dem Motto "Wir die BWI" ein eigenes Programm ins Leben gerufen worden. Man dürfe die Leistung der Bundeswehr-Mitarbeiter nicht unterbewerten. Der BWI-Chef äußert Verständnis dafür, wenn zunächst einmal Verunsicherung herrsche. "Dass die Leute abwarten und beobachten, was passiert, ist völlig normal." Auf der anderen Seite bedeute der Einstieg der Industrie aber auch zusätzliche Motivation. Die IT könne nun längerfristig planen und müsse nicht mehr Jahr für Jahr um Budgetmittel kämpfen. Außerdem gehe es für die BWI auch darum, das Know-how zu sichern. Blaschke zufolge sind die Bundeswehr-Mitarbeiter im Schnitt 53 Jahre alt. Viele werden den Abschluss des Herkules-Projekts als Pensionäre erleben.

SAP – eine Herkules-Aufgabe

Seit 1998 bastelt die Bundeswehr im Rahmen des Projekts SASPF (Standard-Anwendungs-Software-Produktfamilien) an ihrem SAP-Umstieg. Experten zufolge soll das Vorhaben rund 750 Millionen Euro kosten. Bis zu 50 000 Nutzer sollen mit dem System arbeiten. Über 216 Altanwendungen würden durch SAP abgelöst. Allerdings scheint die von den Streitkräften propagierte Organisationsumstellung auf Prozessorientierung alles andere als trivial. 2003, nachdem die Programmorganisation bereits zwei Jahre gearbeitet hatte, wurde das Projekt neu ausgerichtet. Der Grund: "Alle prognostizierten Risiken seien eingetreten", hieß es von Seiten des Verteidigungsministeriums. Seitdem bemühen sich die Verantwortlichen die Umstellung in kleineren, überschaubareren Schritten voranzutreiben. Allerdings wird sich auch SASPF deutlich verspäten, wegen der Schwierigkeiten im Projektverlauf, fehlender Funktionen des SAP-Systems und der Verzögerungen bei Herkules. Sollte SAP laut den ursprünglichen Planungen bereits ab dem kommenden Jahr laufen, haben die Verantwortlichen die Zielmarke nun auf das Jahr 2013 nach hinten verlegt.

Der Druck, das PPP-Projekt erfolgreich abzuschließen, ist groß. "Herkules muss ein Erfolg werden", sagt IBM-Manager Bauer – auch in Hinblick auf mögliche Folgeprojekte. Christophe Chalons, Managing Director von Pierre Audoin Consultants (PAC) warnt, dass das PPP-Modell Schaden nehmen könnte, sollten die ersten großen Vorhaben scheitern. Für die Unternehmen geht es dabei um viel Geld. Chalons zufolge hinkt Deutschland in Sachen öffentliche Partnerschaften deutlich hinterher. Während in Großbritannien bereits 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in derartige Kooperationen fließen, sind es in Deutschland erst 0,06 Prozent. Das soll sich in den kommenden Jahren ändern. Ziel der Bundesregierung ist es, bis zum Jahr 2010 etwa 15 Prozent der öffentlichen Investitionen im Rahmen von PPP-Modellen abzuwickeln. Aktuell liegt dieser Anteil bei gerade einmal zwei Prozent. (ba)