SAP bringt den ESA-Zug nicht ins Rollen

29.11.2005
Die meisten Anwender scheuen vor einem Mysap-Umstieg zurück und wählen R/3 Enterprise.
Langsam verabschieden sich die SAP-Anwender von ihren alten Releases. Das Ziel der Reise heißt jedoch nur in wenigen Fällen Mysap.
Langsam verabschieden sich die SAP-Anwender von ihren alten Releases. Das Ziel der Reise heißt jedoch nur in wenigen Fällen Mysap.
Erst sechs Prozent der SAP-Kunden nutzen Netweaver produktiv.
Erst sechs Prozent der SAP-Kunden nutzen Netweaver produktiv.

Abwarten und Tee trinken, scheint derzeit das Motto der meisten deutschen SAP-Anwender zu sein, bringt Nils Niehörster, Geschäftsführer von Raad Consult, die Ergebnisse seiner jüngsten Umfrage auf den Punkt. An einen Umstieg auf die aktuelle Mysap-Produktlinie oder den Einsatz der Integrationsplattform Netweaver beziehungsweise der Enterprise Services Architecture, der SAP-eigenen Interpretation einer Service-orientierten Architektur (SOA), denken derzeit die wenigsten Anwender. "Die große Mehrheit des SAP-Klientels gilt nicht als besonders schnell", resümiert der Marktbeobachter. "Zwar gibt es einige, die frühzeitig neue Techniken einführen, die große Masse jedoch wartet die Erfahrungen der frühen Einsteiger erst einmal ab."

IT-Budgets der SAP-Kunden schrumpfen weiter

Laut einer Umfrage des SAP-Beratungshauses Raad Consult unter rund 2000 deutschen SAP-Anwenderunternehmen werden deren IT-Budgets im kommenden Jahr im Durchschnitt im Vergleich zu 2005 um 0,2 Prozent schrumpfen. Damit scheint der Druck, zu sparen und Kosten zu senken, weiter abzuflauen. Für das laufende Jahr hatten die befragten Firmen noch Kürzungen in Höhe von 1,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angekündigt und auch umgesetzt. Ein Jahr zuvor waren es sogar 2,9 Prozent. "Offensichtlich ist die Schmerzgrenze in den Unternehmen erreicht, und weitere Einsparungen in größerem Stil sind nicht mehr durchsetzbar", interpretiert Raad-Consult-Geschäftsführer Nils Niehörster die Ergebnisse. Ein größerer Anstieg sei in der Regel allerdings auch nicht in Sicht.

Generell sei in den vergangenen Jahren zu beobachten gewesen, dass vor allem kleinere und mittlere Unternehmen ihre IT-Budgets aufstockten, berichtet Niehörster. Dagegen agierten Großunternehmen eher konservativ und drosselten ihre IT-Ausgaben. Dieser Trend werde sich auch im kommenden Jahr fortsetzen, mutmaßt der SAP-Experte.

Die SOA-Connection kämpft

SAP ist nicht der einzige Anbieter von Business-Applikationen, der zurzeit an einer Service-orientierten Architektur (SOA) arbeitet. Auch Hersteller wie beispielsweise Oracle verfolgen ähnliche Pläne und bemühen sich, dies ihren Kunden zu erklären - mit gemischtem Erfolg. So fordern Oracle-Kunden seit Monaten mehr Informationen über das "Project Fusion" und wie es mit den übernommenen Produktlinien von Peoplesoft, J.D. Edwards und Siebel weitergeht. Von der Verunsicherung des Wettbewerbers hofft SAP zu profitieren. Wenn Oracle mit der Integration seiner Zukäufe Schwierigkeiten haben sollte, sei dies eine Chance für SAP, erklärte kürzlich SAP-Vorstandsprecher Henning Kagermann.

Die Chancen SAPs scheinen dabei nicht schlecht zu stehen. Die Befragung von Nicht-SAP-Kunden durch Raad Consult ergab, dass deren Budgets im kommenden Jahr um 0,7 Prozent steigen werden. Dabei äußerten sich die Anwender jedoch nicht immer zufrieden. Raad Consult fragte auch hier Kriterien wie Datenintegration, Stammdaten-Management, Brancheneignung und Flexibilität ab. Vor allem Oracle schnitt in allen Kategorien schlechter ab als der Durchschnitt.

Hier lesen Sie …

• warum die SAP-Anwender Migrationen eher zögerlich angehen;

• was SAP seinen Kunden in Sachen ESA noch erklären muss;

• wie sich SAPs Release-Stände innerhalb der deutschen Anwenderschaft entwickeln.

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www.computerwoche.de/go/

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SAP baut noch an ESA

Seit nunmehr zweieinhalb Jahren propagieren die SAP-Verantwortlichen mit ESA ihre Version einer Service-orientierten Architektur. Im Zentrum steht dabei die Business Process Platform (BPP), die sich im Wesentlichen aus der Integrationsplattform Netweaver und einem Repository für Enterprise Services zusammensetzt. Anwender sollen künftig einzelne Geschäftsprozesse, deren Definition als Enterprise Service im Repository hinterlegt ist, mit verschiedenen Softwaremodulen abbilden können. Angesichts der stetigen Veränderungen der Geschäftsprozesse benötigten Unternehmen künftig eine flexible IT-Infrastruktur, lautet die Begründung für den Umbau ihrer Softwarearchitektur.

Die SAP-Verantwortlichen geben sich zuversichtlich, ihre Klientel von den Vorzügen einer Service-orientierten Architektur überzeugen zu können. Immer mehr Kunden würden auf das ESA-Konzept und die dazugehörige Integrationsplattform Netweaver zurückgreifen, behauptete jüngst Shai Agassi, Vorstand und President der Product and Technology Group von SAP. 2800 Kunden setzten bereits ESA-Komponenten ein. Zudem könne SAP 1500 Referenzanwender für Netweaver vorweisen, und jeden Tag kämen fünf weitere hinzu.

Stellt man den Grad des Netweaver-Einsatzes jedoch in Relation zum gesamten SAP-Lösungskosmos, lesen sich die Zahlen weit weniger eindrucksvoll. Den Ergebnissen der Raad-Consult-Umfrage zufolge haben 19 Prozent der knapp 3200 befragten Bestandskunden zwar Netweaver-Technik in Lizenz genommen. Doch erst sechs Prozent nutzen die Integrationsplattform produktiv. 13 Prozent der Anwender besitzen entsprechende Lizenzen, setzen das Produkt jedoch nicht ein.

Systeme werden komplexer

Dabei dürfte der Integrationsdruck nach Einschätzung des Raad-Consult-Analysten Cristian Wieland künftig noch zunehmen. Derzeit betrieben zwölf Prozent der SAP-Anwender hochkomplexe Umgebungen mit zwei oder mehr Anwendungen von Drittanbietern. Dieser Anteil wird Wielands Prognose zufolge im kommenden Jahr auf fast 25 Prozent zulegen. Trotz dieser Entwicklung wollen die SAP-Kunden bislang wenig von Integrationssoftware wissen. Zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben an, nichts dergleichen einzusetzen. Daran dürfte sich in den nächsten Monaten auch nicht viel ändern. Zwar äußerte mit sechs Prozent nur ein geringer Teil der SAP-Klientel, grundsätzlich keinen Bedarf an Integration zu haben. 69 Prozent der SAP-Anwender gaben jedoch an, innerhalb des nächsten Jahres keine Änderungen in Sachen Integration zu planen. Sie warten erst einmal ab.

Gleiches gilt für das Thema SOA. Erste Auswertungen von Raad Consult haben gezeigt, dass das Thema ESA den SAP-Kunden noch relativ neu ist. So haben lediglich 13 Prozent der 950 befragten Unternehmen aus der Sparte Finanzdienstleistungen und Versicherungen angegeben, ein Projekt in dieser Richtung zu verfolgen. 37 Prozent der Firmen erklärten, sie würden sich mehr oder weniger vereinzelt und sporadisch um das Thema kümmern. 42 Prozent befassen sich noch gar nicht mit Service-orientierten Architekturen. Vergleichbare Trends ließen sich auch in anderen Branchen erkennen, berichtet Wieland.

Wieviel Flexibilität ist nötig?

Währenddessen lässt die SAP-Führungsmannschaft nichts unversucht, um ihren zögernden Kunden die neue Softwarewelt schmackhaft zu machen. Immer wieder predigen sie Flexibilität als größten Vorteil von ESA. Unternehmen müssten künftig in der Lage sein, ihre Prozesse schnell an sich ändernde Marktbedingungen anzupassen. Dies gelinge aber nur mit einer entsprechend flexiblen Softwarearchitektur. Eine Community aus Herstellern, Partnern und Kunden soll diese Idee weiter vorantreiben. "Wir haben den Anwendern den Weg gezeigt", resümierte vor wenigen Wochen SAP-Vorstand Agassi. "Die Geschwindigkeit bestimmen allerdings die Kunden selbst."

SAP-Anwender warten ab

Die haben es aber anscheinend nicht so eilig, wie es die SAP gerne hätte, so die Ergebnisse der Raad-Consult-Umfrage. Interessant ist vor allem die Entwicklung in Sachen Release-Stände während der zurückliegenden zwölf Monate. Im Vergleich von 2004 und 2005 haben die R/3-Versionen ab 4.6c und alle älteren Ausführungen verloren, wobei der Anteil von 4.6c von etwa 61 auf 57 Prozent nur leicht abnahm. Von dem Rückgang profitierte jedoch in erster Linie das Release R/3 Enterprise. Dessen Anteil schoss von etwa 18 Prozent im Jahr 2004 auf aktuell ungefähr 32 Prozent in die Höhe. Dagegen nahm der Mysap-Anteil im Jahresvergleich nur wenig von etwa 15 auf 17 Prozent zu. Diese Entwicklung lässt sich bereits seit etwa zwei Jahren beobachten, berichtet Niehörster. Nach Ankündigung von R3/Enterprise 2003 hätten die Anwender Mysap-Projekte vorerst auf Eis gelegt: "R/3 Enterprise hat Mysap ausgebremst."

Daran dürfte sich so schnell auch nichts ändern, vermutet Niehörster. Bei der Frage, inwieweit die SAP-Anwender mit ihrer bestehenden Systemlandschaft zufrieden sind, ergaben sich zwischen Mysap-Nutzern und Anwendern älterer Release-Stände keine signifikanten Unterschiede. Abgefragt wurden beispielsweise Kriterien wie Datenintegration, Stammdaten-Management, Brancheneignung und die Möglichkeiten, Prozessänderungen in die Software zu übertragen.

Mit Altsystemen zufrieden

Generell seien die Kunden zufrieden mit ihrer SAP-Umgebung, stellt der Marktbeobachter fest. Demnach hätten sich gerade in puncto Flexibilität - das wichtigste Argument der SAP für ESA - die Nutzer älterer SAP-Versionen genauso zufrieden geäußert wie Mysap-Kunden. "Wie soll SAP einem Kunden mit einem Altsystem den Wechsel erklären, wenn sich keine höhere Zufriedenheit mit einem neuen System nachweisen lässt?", fragt sich Niehörster angesichts dieser Antworten.

Die Marktbeobachter von Raad Consult rechnen daher auch mit nur wenigen Migrationsprojekten im kommenden Jahr. 86 Prozent der Befragten gaben an, keine Umstellung zu planen. Von den verbleibenden 14 Prozent erklärten neun Prozent, auf R/3 Enterprise wechseln zu wollen. Lediglich fünf Prozent kündigten eine Migration auf Mysap an.

Die Gründe, die gegen einen Umstieg sprechen, sind vielfältig. In einer Umfrage der Deutsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) vom Oktober 2005 gaben 25 Prozent der abwartenden Unternehmen an, sie sähen keinen Bedarf an einem Wechsel. 22 Prozent erklärten, sie wollten ihren Vertrag wegen der befürchteten hohen Kosten nicht umstellen.

Doch gerade hinsichtlich des Kostenaspekts könnte sich aus Sicht Niehörsters in den kommenden beiden Jahren einiges ändern: "Durch die veränderte technische Infrastruktur der Service-orientierten Architekturen werden die tradierten Preismodelle versagen." SAP müsse deshalb zügig ein neues Preismodell entwickeln, um Anwendern mit ESA-Komponenten eine Kalkulationsgrundlage zu bieten. Niehörster geht davon aus, dass sich die künftigen Preislisten der SAP stärker am Nutzen sowie branchenspezifischen Aspekten orientieren werden.

Pascal Brosset, Senior Vice President für SAPs Pricing-Strategie, hatte vor kurzem in einem computerwoche-Gespräch entsprechende Pläne bestätigt. SAP wolle seine Lizenz- und Preismodelle verstärkt danach ausrichten, welchen Wert die Software beim Kunden schafft. Dabei werde sich das Pricing an allgemein anerkannten Branchenmetriken orientieren. Lizenz- und Preismodelle würden jedoch nicht von Grund auf umgekrempelt, wiegelte der SAP-Manager ab.

Aussagen über Änderungen in SAPs Preisliste hätten in der Vergangenheit regelmäßig für große Unruhe gesorgt, erzählt Niehörster. SAP wolle jetzt nicht die Anwender ausbeuten, sondern vielmehr ein nutzenbezogenes Preismodell entwickeln. Das den Kunden plausibel zu erklären sei jedoch schwierig. Es stehe zu befürchten, dass die daraus resultierenden Unsicherheiten die eine oder andere Mysap-Migration hinauszögerten.

SAP sollte das neue Modell möglichst pragmatisch angehen, mahnt der Raad-Consult-Chef. Schon heute würden die aktuellen Preislisten als undurchschaubar kritisiert, unter anderem, weil sie immer länger geworden seien. Lediglich die jüngste Ausgabe sei dünner ausgefallen, berichtet Niehörster schmunzelnd: "Das liegt aber nur daran, dass die Schriftgröße um zwei Punkte reduziert wurde."