SAP-Anwender fordern klaren Fokus auf ERP

27.09.2012
Bei SAP ist derzeit viel von der InMemory-Appliance HANA, Cloud Computing und Mobile Solutions die Rede. Nicht alle Anwender finden das gut. Sie fordern die Walldorfer auf, das ERP-Kernprodukt nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) erinnerte ihren Softwarelieferanten anlässlich der Jahrestagung in Bremen eindringlich an seine Wurzeln: "ERP-Lösungen von SAP bilden das Rückgrat, stehen im Mittelpunkt der Softwarelandschaft und sorgen für Stabilität", sagte der scheidende DSAG-Vorsitzende Karl Liebstückel. Neue SAP-Produkte und zugekaufte Lösungen seien ohne den ERP-Kern nicht lebensfähig.

SAPs Stärke liegt in der Integration

Daher müsse das ERP-System in Zukunft wieder einen Schwerpunkt in SAPs Entwicklungsstrategie bilden, forderte der DSAG-Vorstand. Funktionen, die bis dato der Business Suite vorbehalten waren beziehungsweise nur in der Cloud zur Verfügung stünden, müssten den Anwendern auch wieder im ERP-Kern zugänglich gemacht werden. Die DSAG-Verantwortlichen appellierten daher an SAP, sich wieder auf die alten Stärken integrierter Systeme zu besinnen, die in der Lage waren, Prozesse ganzheitlich abzudecken.

"SAP hatte das im Griff, als es nur ein Produkt gab", erinnert sich Liebstückel. Mit der zunehmenden Produktvielfalt wachse jedoch die Gefahr von uneinheitlichen Benutzeroberflächen, Medienbrüchen und Schnittstellenkomplexität, monierte der DSAG-Vorstand unter dem Beifall des Plenums. Das Portfolio von SAP vergrößere sich ständig durch Eigenentwicklungen und Zukäufe. Deren Integration mache die Gesamtarchitektur in den Anwenderunternehmen jedoch immer komplexer und erhöhe den Aufwand für Pflege und Betrieb.

SAPs Co-Vorstandssprecher Jim Hagemann Snabe ließ sich auf diese Diskussion nicht ein. Die Zeiten, in denen ein System alles lösen konnte, seien vorbei, kommentierte er Liebstückels Ausführungen. "Wir werden nie mehr alles in einem System haben." Die Unternehmen müssten sich mit der neuen Realität abfinden, mehrere Systeme zu betreiben. Die alte Welt komme nicht wieder. In den neuen Landschaften werde ERP allerdings auch künftig eine zentrale Rolle spielen, beteuerte der SAP-Chef.

Zugleich verteidigte Snabe die eigene Strategie, das SAP-Portfolio über das reine ERP hinaus weiter auszudehnen. Die IT-Welt sei in den zurückliegenden Jahren deutlich komplexer geworden, beispiels-weise durch die wachsende Zahl mobiler Devices. Um dieser Komplexität Herr zu werden, müsse SAP über den ERP-Tellerrand hinausblicken und die neuen Themen aufgreifen, um konsistente Landschaften für die Anwenderunternehmen zu bauen.

"Die Zukunft ist Lego", sagt Snabe

Snabe bekräftigte mehrfach, es sei eine der Kernaufgaben von SAP, diese Konsistenz zwischen Softwaresystemen, Daten und Prozessen sicherzustellen. Dafür wollen die deutschen Softwerker künftig verstärkt aus verschiedenen Softwaremodulen zusammengesetzte, vorkonfigurierte Lösungen für bestimmte Prozesse anbieten, die sich zudem als Rapid Deployment Solution (RDS) auch schnell und einfach einführen lassen sollen.

"Die Zukunft ist Lego", stellt der dänische SAP-Chef fest. Die verschiedenen Softwareteile müssten nur von Haus aus zusammenpassen. Diese Integrationsfähigkeit sei in der Vergangenheit die Stärke von SAP gewesen und werde auch in Zukunft den Erfolg des Konzerns sicherstellen. Middleware als Klebstoff für den Zusammenhalt verschiedener Softwareteile einzusetzen hält Snabe dagegen für die falsche Herangehensweise.

Anwender sind skeptisch

Die Anwendervertreter bleiben indes skeptisch. Aus Liebstückels Sicht sei das Gros der Anwender weit von einem einheitlichen Lego-System entfernt. Vielmehr müssten die meisten mit heterogenen Welten aus Lego, Duplo und Fischer Technik fertig werden.

Auch wenn beide Seiten betonten, zu kooperieren und gemeinsam an Lösungen für diese Probleme zu arbeiten, scheinen sich an neuralgischen Punkten die Fronten zu verhärten. So steht beispielsweise die Anwenderkritik an zu komplexen SAP-Systemlandschaften bereits seit Jahren ganz oben auf der Agenda - ohne dass sich bis dato deutliche Verbesserungen oder gar ein Durchbruch abzeichnen. Nun erhöhen die Anwendervertreter den Druck. So hat die DSAG beispielsweise ihren Forderungskatalog, der bislang nur intern für Mitglieder im Netz einsehbar war, im öffentlichen Bereich des eigenen Web-Auftritts publiziert.

Preismodelle und AGBs umstritten

Auch SAPs Preismodelle und Lizenzierungspolitik bleiben umstritten. Die Anwendervertreter mahnen an dieser Stelle ebenfalls seit geraumer Zeit Veränderungen und Nachbesserungen an. Dazu gehörten der DSAG zufolge kundengerechte, flexible und vor allem transparente Preismodelle. Beispielsweise müsste es möglich sein, Teile der eigenen SAP-Landschaften stillzulegen beziehungsweise zu kündigen und aus der Wartung zu nehmen. "Eine Auto, das man nicht mehr fährt, bringt man schließlich auch nicht zum Service", so der Vergleich der DSAG-Vertreter. Liebstückel verweist in diesem Zusammenhang auf den nach wie vor unübersichtlichen Lizenzkatalog SAPs. Hier fänden sich über 1100 Positionen, 40 verschiedene User-Rollen und 20 unterschiedliche Abrechnungsmetriken.

Ärger gab es zuletzt auch um die AGBs von SAP. Der Softwarehersteller hatte diese im Juli vergangenen Jahres überraschend geändert, ohne die Kunden vorzuwarnen. Die neuen Vertragsklauseln seien jedoch extrem schwer zu verstehen gewesen, kritisierten die DSAG-Verantwortlichen. In Verhandlungen habe man drei Tage über die Lizenzen gesprochen und drei Wochen über die AGBs, hieß es. Aktuell befasse sich ein Arbeitskreis mit diesen Punkten, der auch in Kürze erste Ergebnisse präsentieren soll. Auch wenn Liebstückel die Hoffnung auf einzelne Verbesserungen nicht aufgeben will, ist er skeptisch, ob sich SAP in den Kernfragen rund um flexiblere Lizenz- und Wartungsmodelle bewegen wird. Schließlich gehe es hier um das Kerngeschäft der Walldorfer. Und die haben ehrgeizige Ziele. Bis 2015 soll der Jahresumsatz von derzeit rund 14 Milliarden auf 20 Milliarden Euro steigen, die Marge soll 35 Prozent erreichen.

Die Kritik an den Lizenz- und Preismodellen ließ Snabe in seiner Keynote dann auch links liegen. Stattdessen betonte der SAP-Chef die technischen Innovationen, die der Konzern in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht hat. Beispielsweise habe die Datenbank-Appliance HANA das Potenzial, die bislang getrennten transaktionalen und analytischen Welten zu vereinen und somit die Systemlandschaften insgesamt zu vereinfachen. Mit Cloud-Lösungen erhielten die Anwender schließlich mehr Flexibilität - auch in Sachen Pricing, erinnert Snabe. Hier müsse nur das gezahlt werden, was der Anwender auch wirklich nutze.

Doch die Anwender begegnen den technischen Vorstößen aus Walldorf derzeit noch abwartend. Geschwindigkeit allein reiche nicht, konterte Liebstückel die Leis-tungsrekorde, die SAP mit HANA bei Datenanalysen vermeldet. Vielmehr müsse der Anbieter den Kunden nachweisen, inwieweit die neue Technik das Geschäft voranbringe.

Grundsätzlich forderte die DSAG in Bremen, dass sich neue Lösungen einfach und schnell einführen lassen müssten. Auch müsse die Integration beispielsweise von Cloud-Lösungen in bestehende Systemlandschaften reibungslos funktionieren.

Die SAP-Verantwortlichen werden Geduld aufbringen müssen, um ihre Klientel von den Innovationen rund um InMemory, Mobile und Cloud Computing zu überzeugen. Auf Liebstückels Frage, wie viele Anwender Cloud-Lösungen von SAP einsetzten, reckte sich gerade einmal eine Handvoll Finger in die Höhe. Dagegen bekundeten fast alle, das ERP-System zu verwenden. Liebstückels Botschaft an die Verantwortlichen von SAP: "Das hier ist Ihre Kundenbasis!" Von Martin Bayer