Sanfte VoIP-Migration mit Gateways

15.09.2005
Von Hans-Jörg Schilder
Viele migrationswillige Anwender scheuen die Kosten für neue VoIP-Telefone. Gateways sind eine Option, wie die Erfahrung zweier Unternehmen zeigt.

Der Hit-Technopark in Hamburg saß in der Klemme: Er wollte seinen 60 Mietern den Zugang zur preiswerten IP-Tele- fonie bieten, und das für rund 500 Nebenstellen. Doch die finanzielle Perspektive sah alles andere als rosig aus. "Die Ein- führung von VoIP muss für die Mieter kostenneutral sein, da keiner für seine Telefonie mehr bezahlen möchte", schildert Wolfram Birkel, Geschäftsfüh- rer der Hit-Technopark GmbH, das Problem. Zumal eine Ab- lösung der gekauften Hicom- 300 von Siemens und der Ersatz der bestehenden TK-Strukturen - Anlage plus Telefone - fast 130000 Euro gekostet hätte. Ferner hätten die Kupferleitun- gen auf dem Campus für die VoIP-Telefone erneuert werden müssen. Diese Anschaffung wollte Birkel nicht auf die Mieter umlegen.

Fazit

VoIP-Lösungen von der Stange, die alle Probleme sofort beheben, gibt es nicht. Vieles ist noch neu und muss erst an die Wünsche der Anwender angepasst werden. Dank der raschen Entwicklung bei den VoIP-Gateways und im Bereich SIP existieren nun preisgünstige Alternativen zur Komplettumstellung. "Das VoIP-Gateway ist für uns eine absolut wirtschaftliche Lösung, um die preiswerte Internet-Telefonie einzuführen", erklärt Wolfram Birkel, Geschäftsführer des Hamburger Hit-Technoparks, der bereits Erfahrungen mit einer Gateway-Lösung gesammelt hat.

Hier lesen Sie …

• wie zwei Anwender mit einer Hybridlösung zu VoIP migrierten;

• welche Fallstricke zu beachten sind;

• wie Mitarbeiter kostentransparent über VoIP und ISDN telefonieren können;

• ob sich die Kombination aus VoIP und klassischer TK-Anlage rechnet.

Drei Wege zu VoIP

Um VoIP im Unternehmen zu nutzen, stehen dem Anwender im Prinzip drei unterschiedliche Ansätze zur Verfügung:

• Managed Services: Diese auch als "IP Centrex" bezeichnete Lösung lagert die TK-Anlagenfunktion zu einem Provider aus. In dessen Rechenzentrum werden alle Dienste beziehungs- weise TK-Anlagenfunktionen bereitgestellt. Die Zuführung zum Rechenzentrum erfolgt über IP-Leitungen. Der Kunde bucht Endgeräte und Dienste.

• Hybridlösung: In dieser Variante kann die TK-Anlage beide Techniken (VoIP und ISDN) bedienen. Oft werden VoIP-Gateways eingesetzt, um vorhandene Anlagen um die Funktion VoIP zu erweitern.

• VoIP-TK-Anlagen: Diese reinen IP-Anlagen bedienen ausschließlich die VoIP-Techniken. Die vorhandene LAN-Infrastruktur wird für die Anschaltung der Endgeräte genutzt. Amtsseitig erfolgt die Übergabe der Gespräche meistens per SIP-Trunk.

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VoIP-Konferenz

Was für die IP-Telefonie spricht, welches Maß an Kostenersparnis und welche neuen zusätzlichen Anwendungen durch den Einsatz von Voice-over-IP-Technologie möglich sind, können Sie, verehrte Leserinnen und Leser am 20. Oktober 2005 in Neuss auf einer gemeinsamen VoIP-Konferenz von computerwoche und Tecchannel erfahren. Im Mittelpunkt der Veranstaltung, die sich an IT-Enstscheider und zuständige Projektleiter wendet, stehen Best-Practice-Beispiele sowie Wirtschaft- lichkeitsbetrachtungen von VoIP-Installationen und kon- krete Migrationstipps. Weitere Informationen und Anmeldung unter:

Einen möglichen Mittelweg schlug ihm dann Torsten Holst, Partner der Unternehmensberatung Mendo Consult, vor: "Die Anschaffung eines VoIP-Gateways ist eine preiswerte Lösung, die VoIP sofort bereitstellt." Hierbei wird die bestehende TK-Anlage um die Funktion VoIP erweitert, unabhängig vom Software- und Ausbaustand der vorhandenen Anlage. Holst empfahl ferner die Nutzung des Session Initiation Protocol (SIP) und den Einsatz von Electronic Numbering (ENUM): "ENUM wird schon bald eine bedeutende Rolle spielen, wenn es um die Erreichbarkeit von Unternehmen über VoIP geht."

Die so entstandene Hybridlösung ermöglicht die Erreichbarkeit der Teilnehmer über VoIP ohne Kenntnis spezieller IP-Adressen. Aber nicht nur der Einsatz von ENUM und die SIP-Anbindung war Neuland. Der Hamburger Technopark war zudem einer der Pilotanwender der "Bluefire 1000". Dabei handelt es sich um ein VoIP-Gateway auf Linux-Basis, das die HST High Soft Tech in Bremerhaven herstellt. Die Box enthält vier Standard-ISDN-Anschlüsse, die gegenüber der Telefonanlage als Amt fungieren. Auf der IP-Seite wurde das VoIP-Gateway in der demilitarisierten Zone (DMZ) platziert. Als DMZ wird ein Bereich bezeichnet, der zwischen zwei Firewalls liegt. IP-seitig ist der Technopark direkt an das SDH-Glasfasernetz (Synchronous Digital Hierarchy) der Hansenet mit 10-Mbit/s angebunden. "Trotz zeitweise starker Auslastung der Internet-Leitung durch einen Mieter, der 3D-Filme fürs Fernsehen entwickelt", so Birkels praktische Erfahrungen, "stellen wir keine Qualitätsunterschiede gegenüber ISDN-Gesprächen fest."

Gute Erfahrungen mit VoIP

"Alle haben gesagt, das geht nicht", blickt Birkel stolz zurück. Nur Berater Holst hielt an seinem Vorschlag fest und überzeugte den Vermieter. Nach einer dreimonatigen Einführungsphase wird der Service mittlerweile stark genutzt.

Aus der Sicht der Mitarbeiter hat sich mit der VoIP-Einführung wenig geändert. Sie geben wie gewohnt eine "0" für die Amtsholung ein, wenn sie über das ISDN-Netz von Hansenet telefonieren wollen, oder die "88", wenn sie über das Internet telefonieren.

Kostenreduzierung

"Die Unternehmen wählen gerne die Kennziffer 88, weil die Tarife hier wesentlich günstiger sind und innerhalb des VoIP-Provider-Netzes keine Verbindungsentgelte anfallen", weiß Birkel. "Die Chance auf eine Kostenreduzierung ist enorm, da die Verbindungsentgelte zu anderen ISDN-Teilnehmern bei Nutzung zentraler VoIP/ISDN-Gateways schnell nur noch bei 50 bis 70 Prozent der bisherigen Verbindungsentgelte liegen", konkretisiert Holst das Einsparpotenzial. Mittelfristig rechnet der Berater mit einer stark steigenden Marktdurchdringung von VoIP und ENUM-Registrierungen. Die dann geführten Gespräche mit diesen Teilnehmern sind durch die vorhandenen Investitionen abgegolten, da keine weiteren Verbindungsgebühren anfallen.

In einem Punkt mussten sich die Mitarbeiter jedoch umgewöhnen: Sie hörten kein Frei- zeichen, und bei Gespräche mit anderen ISDN-Teilnehmern wurden die Rufnummern nicht angezeigt. Aber auch diese Schwierigkeiten sind mittlerweile behoben. Ungelöst ist noch das Problem, dass der Verbindungsaufbau spürbar länger dauert. Daran wird zurzeit gearbeitet.

ISDN als Backup

Ist das nicht sehr problematisch für einen geschäftskritischen Service, der ständig in der gewohnten Qualität zur Verfügung stehen sollte? "Bei dem VoIP-Gateway handelt es sich um ein neues Produkt, das ständig verbessert wurde", hält Birkel dagegen. Zusätzlich biete der hybride Ansatz mit ISDN und VoIP auch ein Backup, um einen zweiten Weg für eine ausgefallene Leitung zu erhalten. Sollte es zu Problemen im VoIP-Umfeld kommen, nutzt der Technopark die noch vorhandene ISDN-Anschaltung.

Die oft bemängelte Sprachqualität von VoIP ist beim Technopark kein Thema. "Die Gesprächsqualität ist einwandfrei", berichtet Birkel. Selbst die Nutzung eines Notrufs ist sichergestellt. Sobald die Teilnehmer die 110 wählen, wird über ISDN die Warnzentrale erreicht. "Das ist der Charme der Hybridlösung, die einen zusätzlichen Kommunikationsweg bietet", unterstreicht Holst die Vorteile dieses Ansatzes. Darüber hinaus ist eine solche Lösung, die in Eigenregie betrieben wird, unabhängig von einem Provider. Langfristige Verträge für die Übergabe der SIP-Gespräche (SIP-Trunking) an einen VoIP/ISDN-Gateway-Betreiber existieren nicht und sind auch nicht zwingend erforderlich.

Projekterfahrung

Hatten die Planer im Technopark noch eine dreimonatige Pilotphase benötigt, so dürfte sich diese für ähnliche Projekte dank der gewonnenen Erfahrungen rapide verkürzen. "Beispielsweise war die Registrierung des Rufnummernblocks des Technoparks relativ aufwändig", blickt Holst zurück. Grundsätzlich sollten für die Anschaltung eines VoIP-Gateways an eine vorhandene Telefonanlage, so schätzt der Consultant, drei bis vier Tage ausreichen. Ein weiterer Punkt, bei dem die Projektpartner erst Erfahrungen sammeln mussten, war die Umsetzung einer Accounting/Billing-Lösung, um den einzelnen Mietern die verbrauchten Telefonminuten für VoIP-Gespräche in Rechnung zu stellen. Insgesamt zieht Technopark-Geschäftsführer Birkel ein positives Resümee: "Die Probleme sind gelöst. Wir haben die richtigen Partner gehabt."

Anbindung der Niederlassung

Zufrieden mit der eingesetzten Gateway-Lösung ist auch der Hamburger Fernwartungsspezialist Xnet Communications. Er hat auf diese Weise seine polnische Niederlassung an die Zentrale in der Hansestadt angebunden und dabei ebenfalls VoIP-Gateways von HST High Soft Tech eingesetzt. Jeweils eine "Bluefire 200" in der Zentrale und in der Niederlassung in Posen übermitteln die IP-Sprachpakete. Als Leitung wird ein symmetrischer SDSL-Anschluss mit fester IP-Adresse verwendet. Wolfgang Falz, Geschäftsführer von Xnet, schätzt, dass das monatliche Gebührenaufkommen durch die VoIP-Nutzung von rund 1000 Euro auf 250 Euro gesunken ist. Dieser Einsparung steht die Anschaffung der bei- den Geräte mit 3000 Euro gegenüber.

"Einen hohen Aufwand gab es beim Mapping der verschiedenen Telefonnummern auf die Internet-Adressen", berichtet Falz über seine Erfahrungen mit der VoIP-Einführung. Die polnischen Entwickler sollten nämlich mit der Eingabe einer einfachen Durchwahl von der Zentrale aus erreicht werden. Den Aufwand, um diese Vorgabe des Pflichtenheftes zu erfüllen, kalkuliert Falz grob mit weiteren 1500 Euro. Dadurch ergibt sich bei Xnet eine Amortisationszeit von rund sechs Monaten. "VoIP selbst ist technisch nicht besonders anspruchsvoll", meint Falz im Rückblick. Kniffeliger war es bei diesem Projekt, an der Telefonanlage einen echten ISDN-Basisanschluss einzurichten. Um die Sicherheit zu gewährleisten, verwendet Xnet intern ein virtuelles privates Netz (VPN) und nutzt zudem die vorhandenen Firewalls. "Außer den Gateways haben wir nichts angeschafft und können trotzdem hochwertige VoIP-Verbindungen nutzen", zieht Falz Fazit.

VoIP als Kostenkiller

Ein Testanruf in der polnischen Niederlassung über ein Snom-IP-Telefon beim Recherchetermin in Hamburg bestätigte die guten Erfahrungen von Falz. Zwar wird die ISDN-Qualität nicht ganz erreicht, aber für die interne Kommunikation im Unternehmen dürfte ein Niveau, das einer guten Handy-Verbindung entspricht, absolut ausreichen. Zudem ist dieser Effekt angesichts der erzielten Einsparungen schon fast zu vernachlässigen. Wichtiger im Arbeitsalltag ist ohnehin der reibungslose Übergang für die Nutzer, die durch die einfache Eingabe einer Nebenstellennummer direkt über VoIP telefonieren. (hi)