Softwarebranche warnt vor Lock-in-Praktiken der Hardwarehersteller

SAGs Pagé: Bundling verhindert Wettbewerb

01.09.1989

MÜNCHEN - Was IBM mit OS/400 und OS/2 EE recht ist, darf Digital Equipment mit VMS 5.1 nicht billig sein. Regte sich gegen das verdeckte Software-Bundling durch den Branchenprimus wenig Protest bei den Third Parties, so entfesselte DEC mit der VMS/RDB-Kopplung einen Sturm der Entrüstung - bislang allerdings nur im Wasserglas.

Peter Pagé zählt zu den Software-Profis, die mit ihrer Meinung ungern hinter dem Berg halten: "Die gesamte Software-Industrie wird schwer geschädigt", orakelt das wortgewaltige Vorstandsmitglied der Darmstädter Software AG (SAG). Die Ursache seines Unmuts: Entgegen ihrer Absichtserklärung vom 23. Juni 1969 macht die IBM wieder vom Marketing-Instrument des sogenannten Software-Bundling Gebrauch; und überdies hat sich Digital Equipment anscheinend entschlossen, diesem Beispiel zu folgen.

Mehr als zwanzig Jahre ist es her, daß sich die unter Monopolverdacht geratene IBM bereiterklärte, Hardware und Software fortan nur noch zu getrennt ausgewiesenen Preisen zu vertreiben. Waren die Beweggründe für dieses "Unbundling" nach Ansicht von Juristen und Branchenkennern auch alles andere als selbstlos (vergleiche CW Nr. 17 vom 23. April 1976, Seite 1: "Unbundling aus eigenem Entschluß?"), so machte doch unbestreitbar erst die Trennung von IBM-Hardware und -Software einen "unabhängigen" Softwaremarkt möglich.

Sollte das Bundling wieder salonfähig werden, so könnte dieser Markt - folgt man Pagé - schweren Schaden erleiden. Wettert der SAG-Vorstand: "Wirkliche Alternativen im Sinne eines Wettbewerbs sind dann nicht mehr möglich. Schließlich handelt es sich ja nicht um Produkte, die man mal eben so über Nacht herstellt; da stehen Entscheidungen für viele Jahre auf dem Spiel."

Was war geschehen? Im April 1987 kündigte die IBM ihr Microcomputer-Betriebssystem OS/2 an - in zwei Versionen: Besteht die "Standard Edition" nur aus dem eigentlichen Betriebssystem, so enthält die "Extended Edition" (EE) zusätzlich einen Communications-Manager sowie einen Database-Manager, der laut Anbieter "zu den relationalen Datenbankprodukten DB2, SQL/DS und QMF paßt".

Der zu erwartende Aufschrei in der Softwareindustrie blieb aus. Immerhin meldete sich jedoch die "Association of Data Processing Service Organizations" (Adapso) zu Wort. Zumindest die Einbeziehung des Datenbankmanagers, so die rund 950 Mitglieder starke Anbietervereinigung mit Sitz in Arlington/Virginia, verstoße gegen die Unbundling-Erklärung von 1969: "Diese IBM-Aktion wirkt sich unmittelbar negativ auf den Wettbewerb im Software- und Service-Markt aus", heißt es in einer Adapso-Erklärung vom Januar des laufenden Jahres.

Ergänzt Pagé: "Der Markt befindet sich heute in derselben Situation wie 1969." Zwar unterschlägt der Darmstädter dabei eine sachliche Divergenz; denn vor 20 Jahren war die IBM aufgefordert, ihre Hardware von der Software zu trennen, während es im aktuellen Fall darum geht, das Betriebssystem und die systemnahe Software separat zu vermarkten. Für den SAG-Vorstand ist dieser Unterschied jedoch marginal: "Damals galt die Hardware als die Basisebene, heute ist das Betriebssystem die Grundlage", führt der SAG-Sprecher aus.

Konsequenzen hatte der Adapso-Protest bis dato freilich nicht. Die Sache wurde bei der Antitrust-Behörde nicht einmal aktenkundig. IBM habe mehr Juristen an der Hand als das gesamte US-Justizministerium, lautete das achselzuckende Eingeständnis des Anbietervereins (vergleiche CW Nr. 33 vom 14. August 1987, Seite 4: "OS/2-Politik weiterhin unter Beschuß").

Vielmehr forderte die unverhüllte Ohnmacht des IBM-Mitbewerbs offensichtlich zur Nachahmung heraus. So setzte sich Digital Equipment im vergangenen Halbjahr gleich zweimal dem Bundling-Vorwurf aus: Seit April ist das Release 5.1 des Proprietary-Betriebssystems VMS auf dem Markt; es enthält eine Runtime-Version des Datenbank-Management-Systems RDB. Auch das DEC-eigene Unix-Derivat Ultrix wird, so munkelt die Branche, demnächst inclusive DBMS vermerktet.

Von seiten der deutschen DEC-Zentrale werden alle Vorwürfe in Richtung Bundling zurückgewiesen. Es handle sich bei dem in VMS 5.1 integrierten DBMS um "ein reines Ablaufsystem"; eine Entwicklung von Datenbank-Applikationen sei damit nicht möglich. "Insofern treten wir den Datenbankherstellern auch nicht auf die Füße", lautet der Kommentar aus München.

Dieses Argument vermag allerdings niemanden zu überzeugen, der mit den Mechanismen des Softwarevertriebs vertraut ist: Branchen-Insider versichern glaubhaft, daß dort, wo die Runtime-Version einmal im Haus ist, die Entwicklungslizenz oft auf dem Fuß folge. Peter Schmietendorf, Geschäftsführer der Frankfurter Cognos GmbH, beurteilt die DEC-Strategie folglich als einen gelungenen Marketing-Coup und belegt das anhand von Erfahrungen, die er mit dem Cognos-eigenen 4GL-Produkt Powerhouse machen konnte: "85 Prozent der Kunden, die eine Runtime-Lizenz erhalten, erwerben bereits innerhalb des ersten Jahres eine Entwicklungsversion."

Eine DEC-eigene Datenbankentwicklung für Ultrix existiert laut Anbieter bislang noch nicht. Es sei richtig, daß Digital Equipment eine Lizenz des DBMS-Produkts "Ingres" von Relational Technology (RT) erworben habe, um auf dieser Basis ein eigenes System zu entwickeln. Die Frage, wie dieses Produkt vertrieben werden soll, sei hingegen noch nicht geklärt.

Vorerst wird nur mit den Säbeln gerasselt

Ungeachtet solcher Beschwichtigungsversuche reagierte die Branche in diesem Fall mit Betroffenheit. Vor allem der RT-Konkurrent Oracle sowie die Software AG of North America reichten bei der Adapso Beschwerde ein. Protest meldete auch ein langjähriger Streiter für den "freien" Softwaremarkt an: Martin Goetz, ADR-Gründer und jetziger Chief Executive Officer der Syllogy Corp., erhob öffentlich Anklage sowohl gegen DEC als auch gegen IBM (vergleiche seinen Kommentar in CW Nr. 33 vom 11. August 1989, Seite 10: "IBM/DEC: Re-Bundling durch die kalte Küche").

Daß der Widerspruch gegen DEC insgesamt lauter ausfiel als gegen IBM, hat nach Ansicht des Adapso-Syndikus Ronald Palenski weniger mit dem jeweiligen Hersteller als vielmehr mit dem betroffenen Marktsegment zu tun: "OS/2 gehört eher in die Mikroecke. Diesmal aber trifft es stärker die traditionellen Adapso-Mitglieder, die vorwiegend im Mini- und Mainframe-Geschäft tätig sind."

Die Erfolgschancen einer Klage gegen DEC wagt der Rechtsexperte noch nicht zu beurteilen: "Bis jetzt haben die beiden Parteien lediglich mit den Säbeln gerasselt." Abgesehen von einem Protestschreiben der frischgebackenen Adapso-Direktorin Luanne James an die Adresse des DEC-Präsidenten Ken Olsen sowie einem ergebnislos verlaufenen Treffen der Kontrahenten am 10. August ist denn auch bislang nichts Konkretes passiert.

Getrennte Preisstellung liegt nicht mehr im Trend

Ebenfalls skeptisch äußert sich der Cognos-Geschäftsführer Peter Schmietendorf. "Ich glaube nicht, daß die US-Hersteller mit ihrer Klage durchkommen." Vielmehr zeichne sich ein letztlich unaufhaltsamer Trend zur Verknüpfung von Betriebssystemen und Datenbank-Management-Systemen ab.

Von im Trend liegen demnach die IBM-Maschine AS/400 sowie deren Vorgängerin System /38: Das jeweilige Betriebssystem schließt im einen wie im anderen Fall bereits ein D---S ein. Dennoch waren die beiden Midrange-Computer bisher kaum ein Stein des Anstoßes für die Software-Branche.

Adapso-Rechtsbeistand Palenski sieht das allerdings anders: "Wir beschäftigen uns schon seit acht Jahren mit diesem Thema; aber die IBM zu bewegen, das ist nicht leicht." Nichtsdestoweniger gelte auch für die /38, was die Adapso 1981 bereits in einem Positionspapier festgeschrieben habe: "Sofern irgend möglich, sollen jedes Produkt und jede Dienstleistung, die IBM anbietet, getrennt von jedem anderen Produkt und jeder anderen Dienstleistung auf der Basis einer separaten Preisberechnung vermerktet werden."

Soweit die Theorie; in der Praxis gilt jedoch: Wo kein Kläger, da kein Richter. Auch Peter Pagé befindet den Fall /38 für "fragwürdig", die Konsequenzen der Anbieterstrategie bei OS/2 EE und VMS 5.1 seien jedoch weitaus gravierender: "Für die /38 gab es nie einen unabhängigen Markt", begründet der Darmstädter seine Ansicht; "da hat sich nichts entwickelt, also kann da auch nichts totgetrampelt werden."

Doch will der SAG-Vorstand den Vorwurf des Bundling nicht nur gegen Digital Equipment erhoben wissen: "DEC ist lediglich der aktuelle Anlaß." Die OS/2-Frage steht seiner Ansicht nach immer noch im Raum: "Das ist damals halt durchgegangen, aber es wurde keinesfalls geklärt." Ronald Palenski wollte denn auch nicht ausschließen, daß im Falle erfolgreicher Verhandlungen mit Digital Equipment die Diskussionen mit IBM neu aufgelegt werden.

Darüber hinaus, so Pagé, bedürfe das Bundling an und für sich einer rechtlichen Untersuchung: "Wir wollen wissen, worauf wir uns gefaßt machen müssen." Für die Software AG, die immer noch einen Großteil ihres Umsatzes mit dem Mainframe-DBMS "Adabas" macht, hätte ein rechtskräftiges Urteil in dieser Angelegenheit weitreichende Folgen.

Obschon konkrete Anhaltspunkte bislang fehlen, sehen nämlich die Marktauguren in dem IBM-Datenbanksystem DB2 einen künftigen Bundling-Partner für das Betriebssystem-Flaggschiff des blauen Riesen, MVS/ESA. Und bereits jetzt wird DB2 als Standard-DBMS für die 370-Familie vermerktet. Insofern warten die Datenbank-Anbieter mit einiger Ungeduld auf ein erlösendes Wort aus Justitias Mund. Pagé: "Es gilt, den Anfängen zu wehren; wir möchten diese Frage geklärt haben - unabhängig vom jeweiligen Anbieter. "

Notfalls, so läßt der Darmstädter Durchblicken, werde die Software AG auch einen Alleingang wagen: "Glücklicherweise gibt es bei der Europäischen Gemeinschaft ein Gremium, das sich mit solchen Fragen beschäftigt", denkt Pagé laut nach.

Die Unixfreundliche Haltung der EG werte er als Indiz für eine generelle Bereitschaft, den "freien" Markt zu unterstützen.

Von den deutschen Software-Anbietern dagegen ist Schützenhilfe kaum zu erwarten: Franz Niedermaier, Geschäftsführer der Oracle Deutschland GmbH mit Sitz in München, wußte eigenen Angaben zufolge überhaupt nichts von der Intervention der kalifornischen Konzernmutter.

Ulf Schiewe, der kürzlich die Geschäftsleitung der Düsseldorfer Sybase-Niederlassung übernahm, gibt sich hingegen optimistisch; er hofft, "weiterhin gute Geschäfte" im DEC-Markt machen zu können: "Das ist nur eine Frage der Differenzierung. Wenn RDB ein überragendes Produkt wäre, dann hätte Digital Equipment das Bundling ja nicht nötig."

Im Bund deutscher Unternehmensberater (BDU) wird das Bundling-Problem offenbar überhaupt nicht diskutiert - wenngleich dies, so ein BDU-Sprecher, "durchaus eine Verbandsaufgabe wäre". Aus den Reihen der Mitglieder sei jedoch noch kein Interesse an diesem Thema bekundet worden; weder die Software AG noch die Oracle GmbH sind Mitglieder in der deutschen Anbietervereinigung.

Besorgnis äußert lediglich der Kölner DBMS-Anbieter Infodas GmbH. Klagt Harald Summa, als Mitglied der Geschäftsleitung zuständig für den Marketingbereich der rheinischen Softwareschmiede: "Es steht zu befürchten, daß die Vorteile unseres Produkts künftig kaum noch diskutiert werden können, weil der Preisvorteil, den DEC mit den integrierten Runtime-Lizenzen bietet, so mancher Verhandlung ein schnelles Ende bereitet."

Nicht nur das Neukunden-Geschäft werde dadurch beeinträchtigt. Da der Anwender die Entscheidung für das Infodas-DBMS Pisa oft weniger als unternehmensstrategisch

denn als projektbezogen ansehe, bestehe die Gefahr, daß das Produkt nach und nach aus den Unternehmen gedrängt werde.

Aber auch für den jeweiligen Kunden, so der lnfodas-Prokurist, ist diese Herstellerstrategie gefährlich. Gehe der Anwender auf das Angebot ein, so begebe er sich damit einen Schritt weiter in die Abhängigkeit von seinem Hardwarelieferanten. Summa: "Das ist der Grund, warum DEC so handelt. Der Kunde soll daran gehindert werden, auf Unix umzusteigen. Kleine Geschenke erhalten eben die Freundschaft.

Sollte es jemals zu einer gerichtlichen Konfrontation kommen, so besteht die Möglichkeit, daß die Bundling-Strategie im nachhinein abgesegnet wird. Bleibt zu fragen, wie die Third Parties auf ein solches Urteil reagieren würden. "Dann wird die Software-Industrie keine Alternativen mehr liefern können, sondern nur noch Lücken füllen", lautet die Antwort von Peter Pagé.

Eine dieser Marktnischen sieht der SAG-Vorstand beispielsweise im Bereich Anwendungsentwicklung. Allerdings kann der Darmstädter nicht leugnen, daß IBM und DEC konsequenterweise nach Kommunikationssoftware und Datenbanksystemen auch Case-Tools in das Betriebssystem einbeziehen könnten. "Das ist ein logischer nächster Schritt", räumt Pagé ein.

Daran, daß eine solche Rechtsprechung mit seiner Vorstellung von freier Marktwirtschaft kollidieren würde, läßt der Softwareveteran allerdings keinen Zweifel: "Bundling bedeutet, die unabhängigen Anbieter werden nicht im Wettbewerb niedergerungen, sondern durch Marktmacht plattgetrampelt."