Sabre-Chef warnt vor Client-Server-Hysterie Windows World: Bill Gates startet NT-Server-Offensive gegen Novell CW-Bericht, Juergen Hill

30.09.1994

DALLAS - Eine Woche nach der "Networld+Interop" in Atlanta sollte in Dallas ein weiteres Messe-Highlight stattfinden: Doch die Konzeption, Informationen in Sachen Desktop, LAN und WAN im Dreierpack "Networks Expo", "Communications '94" und "Windows World" zu liefern, fand bei den messemueden Networkern nicht das gewuenschte Echo. Einzig Bill Gates sorgte mit neuen Ausfuehrungen zum NT Server fuer Messewirbel, der Novell nicht gefallen duerfte.

Von den Veranstaltern Blenheim und Interface Group in Boston noch als Messekonzept der Zukunft propagiert, entpuppte sich das Event in der texanischen Grossstadt eher als Hausmesse mit mehr oder weniger lokaler Bedeutung. Hatte Blenheim mit der damals noch als "Networld" bezeichneten Networks Expo vor einem Jahr in Dallas noch zwei Hallen gefuellt, so schafften es die beiden neuen Partner diesmal nur mit Mueh' und Not, die Standflaeche von anderthalb Hallen zu belegen.

Die Communications, euphorisch als "Gateway to Global Connectivity" angepriesen, das ATM-, FDDI-, Sonet- und andere High-speed-Internetworking-Loesungen zeigen sollte, wurde dem Anspruch der Veranstalter nicht gerecht. Beim Messerundgang fanden sich lediglich Hersteller, die Faxloesungen fuer PC-Netze praesentierten, und dazu einige Anbieter fuer Videokonferenzsysteme.

Ueberhaupt schien in Dallas Schmalhans Kuechenmeister beziehungsweise Standchef zu sein. Zwar wagte kaum ein Hersteller, von so bedeutenden Namen wie Intel, Cogent oder Wellfleet abgesehen, Dallas fernzubleiben - doch die Staende von HP, Chipcom, Cisco und anderen, die in Atlanta durch CeBIT-aehnliche Gigantomanie aufgefallen waren, in der texanischen Oel-Metropole eher wie "groessere Prospektstaender" wirkten.

Ebenso bescheiden war Novells Engagement in Sachen Networks Expo. Waehrend die Networking-Company auf der Networld+ Interop in Atlanta mit mehreren Staenden praesent war, hatte nur Wordperfect als Novells Application-Group den Weg nach Dallas gefunden.

Boese Zungen fragten sich denn auch, ob die Netzwerker womoeglich deshalb zu Hause in Provo geblieben waren, um ihre Hausaufgaben in Sachen Netware-Vertrieb zu machen. Denn der von Dwayne Walker, General Manager of Microsoft Solution Sales and Marketing, in Atlanta angedrohte Plan, Windows NT ueber die Netware- Vertriebskanaele zu verkaufen, nahm in Dallas erste Konturen an.

Auf der Messe war zu hoeren, dass Microsoft in den USA den Value Added Resellers von Netware kostenfreie NT-Schulungen anbietet sowie Netware-User mit um bis zu 50 Prozent reduzierten Kosten fuer die Client-Lizenz koedern will. Damit wuerde der Administrator eines Netware-Netzes mit 50 Anwendern fuer einen NT-Server der Version 3.5 - bisheriger Codename Daytona - rund 1700 Dollar zahlen, waehrend ihn die Netware-Variante 3.12 fast 5000 Dollar kostet. Fuer die Gold- und Platinum-Reseller von Netware gibt es dem Microsoft- Plan zufolge neben einem kostenfreien Training gar Software im Wert von bisher knapp 16000 Dollar fuer rund 100 Dollar. Das Bundle enthaelt neben NT den SQL-Server, den fuer November geplanten Systems Management Server - besser bekannt unter dem Codenamen Hermes -, MS Office sowie Betas des Exchange Servers.

Novell-CEO und President Bob Frankenberg versuchte, den erneuten Angriff der Gates-Company auf die Netware-Bastion gegenueber der amerikanischen "Computer Reseller News" herunterzuspielen. "Das hat Microsoft bereits mit MS-Net und dem LAN Manager erfolglos versucht", sagte der CEO. Waehrend Frankenberg seine Zuversicht damit begruendet, Microsoft wuerden noch Applikationen fehlen, praesentierte Bill Gates im Rahmen seiner Keynote dem Publikum in Dallas "MS Office for Windows NT".

Das Bundle, das die Anwendungen des bisherigen Microsoft Office for Windows als 32-Bit-Versionen enthaelt, soll im Oktober ausgeliefert werden.

Des weiteren zeigte der Microsoft-Chef den Besuchern die Version 3.5 des Windows NT Servers, der kuenftig auch fuer den Motorola- Power-PC erhaeltlich ist. Neben der Interoperabilitaet von NT strich ein sichtlich gutgelaunter Gates waehrend der Praesentation besonders das Transition-Feature heraus. Diese Funktion erlaubt die automatische Migration von einem Netware-3.X-Server auf einen NT-Server, wobei neben den Binderies alle User- und Sicherheits- Accounts automatisch konvertiert werden.

Zudem soll es den NT-Server, der laut Gates stabiler als Netware laeuft, kuenftig in einem Bundle geben. Unter der Bezeichnung Back Office enthaelt das Paket neben NT den SQL-Server, MS-Mail, den Systems Management Server sowie den SNA-Server. Um auch Anwendern mit grossen verteilten Netzen den Umstieg auf NT schmackhaft zu machen, gibt Microsoft die bisherige Politik der Server- Lizenzierung auf, so dass eine Applikation ohne Mehrkosten auf mehreren Servern liegen kann; berechnet wird nur die Zahl der Client-Lizenzen.

Gates betonte in Dallas im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Frankenberg die Bedeutung der vertikalen Loesungen und nannte hierfuer als Beispiel die Partnerschaft mit SAP bezueglich R/3. Ausserdem zeigten auf dem Microsoft Windows Solutions Showcase ueber 20 Hersteller ihre Vorstellungen in Sachen vertikale Integration. Das Angebot reichte von Tools fuer den Zugriff auf Grossrechner ueber Connectivity-Werkzeuge fuer den WAN-Bereich wie Eicons neue "WAN Services for Windows NT" mit Support fuer ISDN, X.25 oder Frame Relay bis hin zu neuen Hardwareloesungen zur Realisierung des Plug- and-play-Konzeptes in Windows '95. Nicht zuletzt deshalb galt das Interesse der Besucher auf dem Microsoft-Stand neben dem neuen NT vor allem der kommenden 32-Bit-Version von Windows fuer den Desktop.

Ansonsten offenbarte der Messerundgang nach dem Ankuendigungsfestival auf der Networld+Interop eine Woche zuvor wenig Neues. Das Gros der Neuvorstellungen war im Bereich der Management-Tools zu finden. So zeigte die On Demand Software & Services Inc. aus Florida die ueberarbeitete Version 4.0 ihres Programms zur Softwaredistribution im Netz. Wesentliche Neuerung an diesem Release ist ein Discover-Feature, das waehrend der Installation neuer Software alle Aenderungen an der Windows- Umgebung protokolliert, um so ein spaeteres Loeschen zu vereinfachen.

Die Antiviren-Softwareschmiede Dr. Solomon's nahm sich mit "Smartdesk" der Sicherheit von Windows und der Verwaltung der grafischen Oberflaeche an. Neben zahlreichen Sicherheits-Features erlaubt das Werkzeug dem Systemadministrator, Anwendern vorprogrammierte einheitliche Windows-Desktops bereitzustellen. Ebenfalls die Netzsicherheit soll die Softwareversion von "Stationlock for LAN" erhoehen, indem sie die von einem Arbeitsplatz im LAN ausgehende Verbreitung von Viren verhindert.

Die Integration von Microsofts kommenden Systems Management Server in die hauseigene NMC-4000-Verwaltungsplattform hatte dagegen die Network Managers Inc. aus North Chelmsford zum Thema ihres Messestandes gemacht. NMC ist als Werkzeug zur Verwaltung heterogener LAN- und WAN-Umgebungen konzipiert. Apropos Windows NT: Xnet Technology kuendigte an, dass ihr fuer Ethernet- Architekturen konzipierter 1800-Parallel-Switch, der Bandbreiten von bis zu 60 Mbit/s realisiert, kuenftig auch fuer den Windows NT Server 3.5 erhaeltlich ist.

Zum Thema Faxen im Netz praesentierten die Optus Software Inc. und die Multitech Systems Inc. zwei neue Loesungen. Bei Optus gab es das "Facsys Fax Messaging Gateway for Windows NT" fuer den unternehmensweiten Einsatz zu sehen. Multitech zeigte auf seinem Stand mit dem "Multiexpress Fax Server" einen Host, der bis zu acht Modems fuer den gleichzeitigen Faxversand oder -empfang verwaltet.

Ungeachtet aller Produktvorstellungen und des sich anbahnenden Showdowns zwischen Windows NT und Netware plagen US-Anwender wie Terry Jones, President von Sabre Computer Services, dem weltweiten Reservierungssystem von American Airlines, ganz andere Probleme. Jones, der ein Netz mit ueber 200 000 Endgeraeten unterhaelt und das bereits fuer tot erklaerte Netware 2.15c faehrt, sucht noch immer verzweifelt nach einem Enterprise Management System, das diesen Namen auch verdient. Zudem vermisst der Netzspezialist funktionierende Werkzeuge zum remoten Management der Desktops. Ebenso fordert der Sabre-Chef endlich Anwendungen, die wirklich netztauglich sind. In Anbetracht der fehlenden Produkte stellte der Netzwerker in seiner Eroeffnungsrede zur Networks Expo fest, das einzige Netz, das heute weitgehend stoerungsfrei arbeite, sei das Telefonnetz.

Ausser von den PR-Schlachten um neue Netzwerk-Betriebssysteme haelt Jones auch wenig von der derzeit grassierenden Client-Server- Hysterie, da diese Architekturen mit ihrem erhoehten Bandbreitenbedarf nur neue, versteckte Kosten zur Folge haetten. Zur Ausgabenreduzierung empfiehlt der Praktiker den Anwendern vielmehr, APIs konsequent zu verwenden, um im Falle eines Falles kostenguenstig auf neue Technologien umsteigen zu koennen, ohne alle Anwendungen neu programmieren zu muessen. Darueber hinaus sieht Jones Sparmoeglichkeiten in der Reduzierung der Server-Zahl. Bei Sabre soll sie von 1700 auf 800 verringert werden. Die Hardware, so Jones, sei heute so zuverlaessig, dass die meisten redundanten Systeme ueberfluessig wuerden.