SAA: Marketing-Reserve auf Abruf

20.07.1990

Ist die System-Anwendungs-Architektur SAA ein Allheilmittel gegen die chronische Kompatibilitätsschwäche innerhalb der IBM-Welt? Mit anderen Worten: Werden verteilte Anwendungen auf /370-, AS/400- sowie PS/2-Systemen unter MVS, VM, OS/400 beziehungsweise OS/2 EE in absehbarer Zeit problemlos laufen? Die Marktforscher der amerikanischen Gartner Group glauben nicht daran (Seite 1: "Blabla statt Technikkompetenz"). Die IBM-Watcher sind skeptisch: "IBM hat in puncto Portabilität der Anwendungen keinerlei Fortschritte erzielt." Mehr noch: Sie sehen Big Blue, was das Commitment zu voller Kompatibilität betrifft, auf dem Rückzug. Gleichzeitig rühre IBM kräftig die Werbetrommel für SAA - so würden die Interessenten getäuscht.

Wir müssen nicht erwähnen, daß der Mainframe-Monopolist die Vorwürfe weit von sich weist. Aufschlußreicher erscheint da schon, daß man sich dabei auf die Anwender beruft. O-Ton IBM: "Customer acceptance of (SAA) products has been excellent, exceeding expectations." Nun läßt sich von außen (Gartner) nur schwer erkunden, was die Anwender von SAA halten. Man darf der IBM andererseits abnehmen, daß sie an ihre eigenen Projektionen glauben will.

Wie dem auch sei, wir halten uns an die Tatsachen: Im Frühjahr 1987 hat IBM die SAA-Architekturbeschreibungen veröffentlicht - seitdem wartet der Markt auf flexible und mächtige Anwendungen, die unter SAA entwickelt wurden. Sind drei Jahre in der schnellebigen DV-Branche eine kurze oder eine lange Zeitspanne? Wann kommt die IBM mit der Software-Ankündigung "RPG wird unter SAA auf /370-Mainframes unterstützt"? Und: Welche Produkte könnte IBM ("acceptance has been excellent") gemeint haben? Officevision für die PS/2-Systeme? Schade, daß dazu keine Zitate aus Anwenderkreisen vorliegen.

Aber ist es überhaupt fair, der IBM üble Pre-Announcement-Praktiken im Zusammenhang mit SAA anzulasten? Die blauen Marketiers bezeichnen SAA selbst als "Rahmenwerk", das den Anwendern als Basis für ihre Software-Entwicklung dienen kann. Für Hardware- und Betriebssystem-Entscheidungen ihrer Kunden, aus denen letztlich Inkompatibilitäten resultieren, kann sie nicht geradestehen. Stets hat die IBM darauf hingewiesen, daß sie über zukünftige Produkte nicht spekulieren will. Eine Garantie für Hersteller-Wohlverhalten gibt es nicht. SAA hin oder her: Es bleibt allein Sache der IBM, das System/370 zu schützen oder sterben zu lassen. Sie wird tun, was sie im Interesse ihrer Aktionäre für richtig hält. Eine Frage: Wie ist eigentlich das plötzliche Engagement der IBM für die Entwicklungsumgebung Unix zu erklären? Schade, daß dazu keine Zitate vorliegen.