IT in Versicherungen/Wüstenrot & Württembergische: Ein Großrechnerbetreiber zieht um

RZ-Konsolidierung - die Rechnung geht auf

30.01.2004
Viele Unternehmen sind dabei, Rechenzentrem (RZ) zusammenzulegen, um ihre IT-Kosten zu senken. Der hohe Vernetzungsgrad der Großrechner birgt zahlreiche Herausforderungen. Die Informatiktochter des Finanzkonzerns Wüstenrot & Württembergische hat gezeigt, wie sie zu bewältigen sind.Von Axel Funke*

Der Mitte 2002 als IT-Dienstleister aus dem Konzern Wüstenrot & Württembergische ausgegründeten W&W Informatik GmbH gaben die jeweiligen Vorstände zwei wichtige Aufträge mit auf den Weg: Die Konzernteile sollten informationstechnisch zusammenwachsen und die IT-Kosten innerhalb der nächsten drei Jahre deutlich sinken.

Mit dem Anfang 2003 gestarteten Programm Sport (Strategisches Programm zur Optimierung des Ressourceneinsatzes in der Technik) hatte der für die Infrastruktur verantwortliche Geschäftsführer Klaus-Rüdiger Willer dem IT-Betrieb eine umfangreiche Einsparungskampagne verordnet. Die Messlatte lag recht hoch, das auf zweieinhalb Jahre angelegte Programm sollte Einsparungen von knapp 20 Prozent realisieren und, wie Willer hervorhebt, "sich über einen von Beginn an positiven Cashflow selbst finanzieren".

Eine der Kernmaßnahmen war die Zusammenlegung der beiden Rechenzentren in Stuttgart und Ludwigsburg. An beiden Standorten standen jeweils ein Produktions- und ein Entwicklungsrechner zur Versorgung der insgesamt 16000 Innen- und Außendienstmitarbeiter des W&W Konzerns - alle vier Rechner operierten am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus waren die Entwicklungsrechner veraltet. Eine Situation, in der Ersatzbeschaffungen und Ausbaumaßnahmen ideal mit Konsolidierungsaktivitäten kombiniert werden konnten.

Im Rahmen einer achtwöchigen Analyse und Planung wurde eine detaillierte Kosten-Nutzen-Rechnung erstellt. "Der Nachweis des finanziellen Nutzens und die Wirksamkeit des Programms Sport - und damit der RZ-Zusammenlegung - hat maßgeblich zur Genehmigung des Vorhabens beigetragen", so Geschäftsführer Willer. Die mit der Erarbeitung des Business Case betrauten Mitarbeiter wurden immer wieder ermahnt, aufzuzeigen, welche konkreten Posten des laufenden Wirtschaftsplans wann wegfallen würden. Alles sprach für die Konzentration des Personals an einem Standort und die Reduzierung der Anbindungskosten zwischen den beiden Rechenzentren, also für einen Umzug. Zudem würde die Konsolidierung der aus der getrennten Vergangenheit herrührenden Lizenz- und Wartungsverträge das Budget entlasten.

Planung erforderte interdisziplinäres Team

Zunächst wurde ein Planungsteam mit Experten aus beiden Standorten aufgestellt. Eine Vielzahl sehr verschiedener Aufgaben war abzudecken: Vertragsverhandlungen mit Software- und Hardwarehändlern, Identifizierung und Veranlassung infrastruktureller und baulicher Maßnahmen, Planung von Kommunikation und Abstimmung nicht nur innerhalb der Informatik, sondern auch mit Fachbereichen und Kunden, systemtechnisches Design der Zielplattform, Einbindung in die Netzwerkstruktur, Entscheidung über Hardwarebeschaffungen, um nur einige Aspekte zu nennen. Die frühzeitige interdisziplinäre Aufstellung war ein wesentlicher Erfolgsfaktor, denn Einkauf, Systemtechnik und Netzwerkspezialisten sprechen unterschiedliche Sprachen und brauchen Zeit, bis sie sich verstehen.

Zunächst wurde eine Migrationsstrategie entwickelt, wobei die möglichen Zielstandorte und verschiedene alternative Zielkonfigurationen bewertet wurden. Der Standort für das gemeinsame Rechenzentrum war schnell identifiziert: Das Vorhandensein von zwei ausbaufähigen, räumlich voneinander getrennten Rechenzentren, mit denen auch der Katastrophenfall abdeckbar ist, gab letztlich klar den Ausschlag für Ludwigsburg. Schwieriger gestaltete sich die Wahl der Zielkonfiguration. Ersatzbeschaffung und Umzug der Stuttgarter Rechner nach Ludwigsburg mit Erhalt der Vier-Rechner-Konfiguration war eine Option, der Ausbau der Ludwigsburger Rechner beziehungsweise die Neuanschaffung von Rechnern mündend in einer Zwei-Rechner-Konfiguration war eine weitere unter vielen Varianten. Letztlich entschied man sich für die Zwei-Rechner-Konfiguration, sie versprach die beste Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Modernisierung.

Einen Großteil der anfallenden Umzugsaufgaben konnte die W&W Informatik mit eigenen Mitarbeitern abdecken, externe Unterstützung wurde nur punktuell eingesetzt. Der Berater und Dienstleister Accenture unterstützte das Projekt primär in den Bereichen Projektplanung- und -Management, Qualitätssicherung, Kosten/Nutzenrechnung sowie Methodik und wurde erfolgsbezogen honoriert.

Entscheidungsfähigkeit als wesentlicher Erfolgsfaktor

Bei der Planung trat mehrmals die Frage auf, ob der Umzug technisch den Status quo erhalten oder als Anlass dienen sollte, Strukturverbesserungen vorzuziehen. Dies war im Einzelfall zu entscheiden, wobei stets im Auge zu behalten war, dass das Projekt vor allem Kosten sparen sollte.

Ein wöchentlich tagendes Entscheidungsgremium, besetzt mit Vertretern der ersten Führungsebene, stellte auf Grundlage der vom Planungsteam erarbeiteten Vorlagen sicher, dass die Beschlüsse schnell und verbindlich gefällt wurden. Ohne diese Aufmerksamkeit des Managements hätten die anstehenden Entscheidungen nie im erforderlichen Zeitraum getroffen werden können, womit der Projektplan nicht haltbar gewesen wäre. Diese Erfahrungen gelten jetzt als Vorbild und Vorgabe für alle kritischen Infrastrukturprojekte, so zum Beispiel für den XP-Rollout oder die Umstellung auf Exchange.

Die Migration sollte möglichst ungefährlich sein und der Produktion keine langen Ausfallzeiten auferlegen. Risikominimierung wurde im Wesentlichen durch Reduzierung von Komplexität angestrebt. Als vorteilhaft erwies sich, dass eine Migrationsstrategie mit dem Hardwarelieferanten entwickelt werden konnte, die einen physischen Umzug der Rechner unnötig machte: Durch die Option des kaufmännischen Upgrades konnten die in Stuttgart stehenden Maschinen virtuell auf eine neue Maschine übertregen werden, die bereits vor dem Umzug am Zielstandort aufgebaut und vorbereitet werden konnte. Der kritische physische Transport entfiel damit, Tests vor dem Umzug waren möglich.

"Aufgrund der kurzen Wartungszeiten für das E-Banking war es nicht möglich, die Migration an einem Wochenende durchzuziehen", hebt Projektleiter Hilmar Schulze hervor. Sie wurde deshalb auf drei Wochenenden mit jeweils kurzen Unterbrechungszeiten aufgeteilt. Am ersten Wochenende wurde die Produktionsumgebung auf den neuen Rechner am Zielstandort migriert und die Testumgebung auf den alten Produktionsrechner. Das zweite Wochenende wurde für Verkabelungsarbeiten genutzt. Am dritten Wochenende fand der eigentliche Umzug statt: Die Entwicklung und Produktion aus Stuttgart wurde nach Ludwigsburg transferiert, Storage-Systeme und Arbeitsplätze der Arbeitsvorbereitung und des Operatings wurden umgezogen. "Diese Aufgliederung beschränkte die Ausfallzeiten auf ein akzeptables Minimum und verringerte die Belastung für die an dem Umzug beteiligten Mitarbeiter", fasst Schulze zusammen.

Zusätzlich wurde ein Plan erarbeitet, der schon vor dem eigentlichen Umzug Tests vorsah. Die Migration ließ sich weitgehend vorsimulieren. So verlief der Umzug reibungslos.

Die Anzahl der Mitarbeiter erhöhte sich kontinuierlich während der Vorbereitung: Zunächst war nur ein kleines Team damit beschäftigt, die neue Zielrechnerkonfiguration zu bestimmen und darüber mit den Lieferanten zu verhandeln. Als die neuen Rechner dann im Haus waren, getestet und installiert werden mussten, wurden weitere Mitarbeitet einbezogen. Darüber hinaus waren die bestehenden Notfallkonzepte auf die veränderte Situation abzustimmen.

Tägliche Videokonferenzen zwischen den beiden Standorten

In den letzten zwei Wochen vor dem Umzug wurden die Arbeiten intensiviert. So wurden in täglichen Videokonferenzen zwischen den beiden Standorten die letzten Schritte abgestimmt und der Entscheidungsbedarf tagesaktuell abgearbeitet. Am letzten Tag vor den jeweiligen Umstellungstagen wurde in einem Meeting die Bereitschaft aller Beteiligten festgestellt. Die Umstellungswochenenden selbst wurden minutiös geplant: Ein Drehbuch, das jedem Beteiligten vorlag, beschrieb die Abfolge der miteinander verknüpften Aktivitäten und legte fest, wer was zu tun hatte. Entlang dieser Vorgaben koordinierte eine Einsatzzentrale den Gesamtablauf: Hier gingen die Fertigmeldungen ein und wurden die Folgeaktivitäten angestoßen. So konnten die Mitarbeiter stets über den aktuellen Status informiert werden. Ebenso wurden dort Lösungen für auftretende Schwierigkeiten der bis zu 70 Mitarbeiter an den unterschiedlichen Standorten wie den Rechenzentren und den verschiedenen Testlokationen erarbeitet. Unterstützt wurde die Einsatzzentrale durch lokale Standortkoordinatoren.

Alle Entscheidungsträger mussten an einen Tisch

Ein wichtiges Führungsinstrument an den Umstellungswochenenden waren die regelmäßigen Go/No-Go - Meetings an den zentralen Entscheidungspunkten. Alle Entscheidungsträger aus Projekt und Linie mussten an einen Tisch und über die Aufnahme der Produktion auf der neuen Plattform oder den Rollback entscheiden. Hier zahlte sich die gute Vorbereitung aus. Die Planung sah - da die Aktivitäten auf drei Tage verteilt waren - ausreichende zeitliche Puffer für unvorhergesehene Ereignisse vor. Diese Sicherheitszone bewährte sich am ersten Umzugstag, der aufgrund der Häufung kleinerer Probleme länger als erwartet dauerte.

Trotz umfangreicher Tests wurden die den Umstellungswochenenden folgenden Montage doch mit Spannung erwartet. "Die Leistungsdaten der neuen Rechnerkonfiguration ließen zwar keine Performance-Probleme erwarten, aber bei komplexen Konfigurationen ist man trotz aller Vorbereitungen nie vor Überraschungen gefeit", gibt Projektleiter Schulze zu bedenken. Der Betrieb konnte aber nach allen Wochenenden ohne Probleme von den zirka 16 000 Nutzern aufgenommen werden. Auch drei Monate nach der Umstellung ergaben sich keine durch den Umzug verursachten Produktionsstörungen, die Prognosen über benötigte Kapazitäten haben sich bestätigt.

Nach Abschluss der Migration wurde direkt das Folgeprojekt gestartet, das die Systemlandschaft sowie die Betriebswerkzeuge und -prozesse vereinheitlichen und einen Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitern aus Stuttgart und Ludwigsburg sicherstellen soll.

Dennoch liegt noch ein Großteil der Arbeiten vor der Mannschaft: Bis die W&W Informatik über eine einheitliche Großrechnerkonfiguration und standardisierten Prozessen verfügt, werden noch weitere zwölf Monate harte Arbeit benötigt. (bi)

*Dr. Axel Funke ist Leiter des Rechenzentrumsbetriebs der W&W Informatik in Ludwigsburg.

Angeklickt

- Anfang 2003 wurde das Programm Sport (Strategisches Programm zur Optimierung des Ressourceneinsatzes in der Technik) gestartet.

- Die frühzeitige interdisziplinäre Aufstellung des Planungsteams war ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

- Mehrmals trat die Frage auf, ob der Umzug technisch den Status quo erhalten oder als Anlass dienen sollte, Strukturverbesserungen vorzuziehen.

- Das Projekt sollte vor allem Kosten sparen.

Deshalb klappte der Großrechnerumzug

- Das Projekt hatte hohe Aufmerksamkeit der Führungsebene. Dadurch waren schnelle Entscheidungen möglich.

- Kostenkontrolle - das ganze Rechenzentrum zu erneuern war nicht erlaubt.

- Abstimmung des Umzugs auf den Lebenszyklus der Maschinen sowie intensive Verhandlungen mit dem Hardwarelieferanten sparten Geld.

- Die interdisziplinäre Ausrichtung des Umzugsteams sorgte dafür, dass wichtige Abhängigkeiten rechtzeitig erkannt wurden.

- Externe Berater verstärkten das Projekt-Management.

- Die Vermeidung unnötiger Komplexität und die zeitliche Entzerrung der Umstellung senkte das Risiko.

- Auch nur mittelbar Betroffene wurden rechtzeitig informiert.

- Mit Hilfe eines Drehbuchs koordinierte eine Einsatzzentrale die Umzugsarbeit an den verschiedenen Standorten.

- Engagement und fachliche Kompetenz der Mitarbeiter sorgten dafür, dass auch enge Zeitpläne eingehalten werden konnten.